Die sächsische CDU bereitet rechtem Gedankengut den Weg

Blühende Sumpflandschaften

Die sächsische CDU hat rechte Gewalttäter in Sachsen indirekt ermutigt und eine rechte Hegemonie errichtet.

Zweimal brannte es in den vergangenen Wochen im sächsischen Plauen. Beide betroffenen Häuser wurden mehrheitlich von Roma bewohnt. Kurz vor ­Silvester wurden dabei 19 Menschen verletzt, ein zweijähriger Junge wurde durch Verbrennungen schwer entstellt. Beim zweiten Brand Anfang voriger Woche kamen zwei Menschen in den Flammen ums Leben.

Das Feuer im Dezember wurde vorsätzlich gelegt. Schaulustige riefen vom Straßenrand »Lasst sie brennen« und »Sieg Heil«, Helfer wurden ange­pöbelt. Manche der durch den Brandanschlag obdachlos gewordenen waren daraufhin in dem Haus untergekommen, in dem nun zwei Menschen starben. Am Freitag vergangener Woche teilte die Polizei mit, der mutmaßliche Brandstifter sei festgenommen worden. Sein Motiv gehe auf »zwischenmenschliche Streitigkeiten« zurück. Lokale Medien hatten bereits zuvor eifrig betont, dass die beiden Todesopfer Deutsche gewesen seien – als ob dies einen rassistischen Hintergrund ausschließe.

Seit Monaten wird gegen die Migranten aus der Slowakei Stimmung ­gemacht, eine vom Vogtland-Anzeiger befragte Anwohnerin sagte nach dem jüngsten Brand: »Jetzt geht es sicher bald leiser zu. Die Roma sind ja weg.« Die neonazistische Kleinstpartei »Der III. Weg« hat in der Stadt ein eigenes »Bürgerbüro« und hielt just am Wochenende vor dem zweiten Feuer in der ­Innenstadt eine Kundgebung gegen »kriminelle Ausländer« ab.

»Taten statt Worte!« schloss ihr Aufruf zur Versammlung. Selbst wenn sich also herausstellen sollte, dass die Brandanschläge in Plauen nicht rassistisch motiviert waren: Angesichts dieser Ver­hältnisse, die sich keineswegs auf Plauen beschränken, ist nicht die Frage, ob ­irgendwann wieder ein von Migranten bewohntes Haus brennt und Menschen sterben, sondern nur wann.

 

Die von der CDU seit Jahren in Anpassung an die sächsischen Verhältnisse praktizierte rechte Politik hat nicht die Rassisten zivilisiert, sondern eine ­rechte Hegemonie geschaffen.

 

Brandanschläge in Plauen, Gewalt gegen Geflüchtete in Wurzen, und in Chemnitz musste das örtliche Klinikum seine Hauspostille zurückziehen, nachdem bekannt geworden war, dass im Kreuzworträtsel auf die Frage »Mensch mit schwarzer Hautfarbe« nach einem Wort mit fünf Buchstaben gesucht wurde. Sachsen zeigt sich gerade mal wieder von seiner besonders hässlichen Seite. Eigentlich kein guter Zeitpunkt für den Regierungsantritt von Michael Kretschmer, dem shooting star der sächsischen CDU, der vor zwei ­Wochen im Landtag seine Antrittsrede als neuer Ministerpräsident hielt. Kretschmer aber zeigt sich von der Verrohung auf Sachsens Straßen unbe­eindruckt. »Wir leben im Freistaat Sachsen, einem Land mit mutigen, fröhlichen Menschen, die zupacken« – so beginnen seine Ende Januar im Internet veröffentlichten Stichworte zur Regierungserklärung. In der fast nur im Westen der Republik diskutierten Frage »Warum Sachsen?« steckt hier bereits eine Antwort.

Kretschmer hatte im Dezember die Geschäfte seines Vorgängers Stanislaw Tillich übernommen, der wegen des Debakels der sächsischen CDU bei der Bundestagswahl zurückgetreten war. »Die Leute wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt«, so hatte Tillich Ende September den Wahlerfolg der AfD erklärt, die mit 27 Prozent der Stimmen stärkste Kraft in Sachsen geworden war. Kurz darauf übergab er sein Amt an Kretschmer, der nun die CDU auf den rechten Kurs bringen soll. Das erfordert auch, dem rassistischen Milieu, das die CDU zurückgewinnen will, zu ­attestieren, es sei nicht rechtsextrem, und über die von diesem Milieu aus­gehende Gewalt zu schweigen.

»Die CDU ist eine Partei, neben der es rechts nichts Demokratisches geben darf. Wir müssen alle integrieren«, hatte Kretschmer bereits Ende 2015 gefordert und sich stets dagegen gewehrt »Asylkritik« und Rechtsextremismus gleichzu­setzen. In der verschriftlichten Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten findet sich denn auch keine Erwähnung der rechten Gewalt, sondern bloß die formelhafte Ablehnung »aller Arten von Extremisten«. Das einzige Beispiel, das Kretschmer in ­diesem Zusammenhang nennt, ist ein Anschlag auf das »Haus des Jugendrechts« in Leipzig, zu dem sich Linksautonome bekannt hatten.

Schon Kurt Biedenkopf (CDU), der erste sächsische Ministerpräsident, attestierte den Sachsen, sie seien »immun gegen Rechtsextremismus«, der zudem ein westdeutsches Importprodukt sei, wie er Pogromen in Heidenau und Freital zum Schutz seiner Landsleute erneut betont hat. Kretschmer schließt ­daran an und sorgt sich nicht um den Schutz der wenigen Migranten im ­Freistaat, sondern nur um dessen Ruf. Als im Mai vergangenen Jahres eine Studie der Bundesregierung zu extrem rechten Einstellungen in Ostdeutschland erneut das Offensichtliche belegte, warf Kretschmer dem verantwortlichen Göttinger Institut für Demokratieforschung vor, es unterstelle Menschen rechtes Gedankengut, bloß weil sie sich für ihre Heimat engagieren und ein positives Verhältnis zu Identität, Leitkultur und Patriotismus hätten.

Wie dieses spezifisch sächsische Heimatbewusstsein aussieht, erfuhr Kretschmer kurz nach seinem Amtsantritt im Dezember. Der Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) hatte ihn zur Bürgersprechstunde nach Chemnitz geladen. Ihm an die Seite gestellt wurde Holger Reinboth, der parteilose Bürgermeister des kleinen Dorfes Arzberg, als Vertreter des »besorgten Bürgers«. Über Kretschmer sagt er: »Man muss ihm ja auch ein bisschen Bonus geben. Michael Kretschmer ist der erste sächsische Ministerpräsident.« Nach zwei Wessis (Biedenkopf und Milbradt) und einem Sorben (Tillich) sei er schließlich der erste »echte Sachse«. Durchs Publikum geht ein erstauntes Raunen und leises Gelächter, die MDR-Moderation bleibt stumm, Kretschmer selbst schaut irritiert und lächelt unsicher, wirkt fast verschüchtert angesichts des völkischen Kompliments, dem niemand widersprach. Diese sächsisch-völkische Identität, die sich hier live im Fernsehen als Rassismus offenbarte und selbst den in Sachsen geborenen  und aufgewachsenen langjährigen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich zum Fremden erklärte, hat die »sächsische Union« mit hervorgebracht.

 

Der Opfermythos ist in die kollektive Identität eingegangen

 

Seit den neunziger Jahren befeuert sie gemeinsam mit den heimischen Medien einen identitären Heimat- und Opferdiskurs. Kinder, die während der Hochwasserkatastrophen geboren wurden, heißen beim MDR »Flut­kinder«; eine Abendserie trägt den Titel »Wem gehört der Osten?« Das Gefühl, betrogen worden zu sein, mochte in der Nachwendezeit angesichts der Zer­störung der ostdeutschen Wirtschaft noch eine gewisse Berechtigung ­haben. Die Sachsen verschafften der dafür maßgeblich verantwortlichen CDU allerdings auch bei den Landtagswahlen 1994 und 1999 die absolute Mehrheit. Mittlerweile ist der Opfermythos fraglos in die kollektive Identität eingegangen. Einer Studie im Auftrag der Sächsischen Zeitung zufolge sehen sich zwei Drittel der Sachsen als Bürger zweiter Klasse. Selbst Jugendliche, die zehn Jahre nach der Wende geboren wurden, fühlen sich verraten und »ihrer« Geschichte beraubt. Ihr Hass auf Migranten entsteht aus dem Gefühl der Konkurrenz; der Befürchtung, dass ­diese den Platz einnehmen könnten, den sie nie hatten. Der völkische Stolz ergänzt die Opferidentität: »Deutscher von Geburt, Sachse von Gottes Gnaden«, konnte man im Meißner Sozialausschuss auf dem T-Shirt eines CDU-Kreisrats lesen.

Die von der CDU seit Jahren in Anpassung an die sächsischen Verhältnisse praktizierte rechte Politik hat nicht die Rassisten zivilisiert, sondern eine ­rechte Hegemonie geschaffen. Statt den braunen Sumpf auszutrocknen, wie es Kretschmer 2015 im Bundestag nach den rassistischen Pogromen in Sachsen gefordert hatte, steht die CDU knietief darin und schaut zu, wie die sächsischen Verhältnisse fortwährend schlimmer werden. Mit ihrem stolzen Gerede von Heimat und Identität hat sie den Boden bereitet, auf dem nun die Gewalt gedeiht.

Kretschmer ist offenbar fest entschlossen, seine Politik der Integration des rassistischen Milieus fortzuführen, obwohl immer deutlicher wird, dass sich die CDU damit selbst abschafft. Die CDU kann als »Altpartei« das völkische Bedürfnis nicht befriedigen. So wird die sächsische Union nach den Landtagswahlen im Sommer 2019 möglicherweise nicht nur vor der Frage stehen, ob sie entgegen den bisherigen Erklärungen doch mit der AfD koaliert, sondern sogar vor der, ob sie bereit ist, als Juniorpartner einem AfD-Ministerpräsidenten zu dienen. Am Beispiel Sachsens kann man erkennen, dass runde Tische mit Nazis und der Versuch, das rassistische Milieu zu integrieren, den Rechtsextremismus nicht schwächen,  sondern nur dessen gesellschaftliche Relevanz erhöhen.

Vor allem aber sollten die sächsischen Verhältnisse eine Warnung sein. »Ich sehe die Ostdeutschen als Seismographen. Hier formt sich eine öffentliche Meinung, die sich später oft bundesweit durchsetzt«, hatte Kretschmer vor drei Jahren mal erklärt. Diese Drohung sollte man ernst nehmen. Denn zumindest in der Flüchtlings- und Migrationspolitik scheint sie sich bereits zu bewahrheiten. »Was gestern als Unverschämtheit galt, ist heute Gesetz«, schob Kretschmer damals stolz hinterher, mit Blick auf Forderungen der sächsischen CDU nach weiteren Verschärfungen des Asylrechts, die sich später in den verschiedenen »Asylpaketen« der Bundesregierung wiederfanden. Sollte die Große Koalition zustande kommen, wird Horst Seehofer (CSU) als Heimat- und Innenminister, der von der Ablehnung der »Ehe für alle« über Forderungen nach Obergrenzen bis zur Bewunderung für Viktor Orbáns Grenzzäune vieles mit Kretschmer ­gemeinsam hat, zeigen, dass die sächsischen Verhältnisse längst auch die deutschen sind.