In Deutschland werden wieder härtere Strafen gefordert

Stillstand und Volksempfinden

Mit der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung wächst in Deutschland auch die Begeisterung für ein vergeltendes und sicherndes Strafrecht. Für die Realität des Strafvollzugs interessiert hingegen sich kaum jemand, auch nicht die radikale Linke.

Als Uli Hoeneß vor vier Jahren wegen Steuerhinterziehung für eine eher kurze Zeit hinter Gitter musste, bot das der Fernsehsendung »Hart aber Fair« von Frank Plasberg immerhin Anlass, sich mit der Perspektivlosigkeit des deutschen Strafvollzugs zu befassen. Ende Februar dieses Jahres profilierte sich der Talkshowmoderator dagegen mit starken Sprüchen über das Versagen der Justiz angesichts der Anforderungen des »berühmten Volksempfindens«, das er vor allem durch zu wenige und zu lasche Strafen düpiert sah. Das Lamentieren über zu viel Knast für Steuerhinterzieher, vor allem aber über zu geringe Haftstrafen für Sexualstraftäter oder straffällig gewordene Immigranten, stellt gegenwärtig eine wichtige Facette des gesellschaftspolitischen Diskurses dar. Denn wer bestimmt, als was Gefängnisse genutzt und gesehen werden, hat auch Kontrolle über eines der mächtigsten und symbolkräftigsten sozialen Disziplinierungsinstrumente. Ziel des Strafvollzugs ist immerhin Resozialisierung – und diese ist eng gekoppelt an die Praxis der Sozialisierung. Das Gefängnis wird zwar auch in seinem Selbstverständnis nicht zur Schule der Nation, zeigt aber, wie weit Herrschaft reichen und formen soll.

In der feindseligen gesellschaftlichen Stimmung, die für die Ausgrenzung das Gefängnis braucht, ist die abolitionistische Kritik, die schon das System der Freiheitsstrafen ganz allgemein, in stärkerem Maße aber die konkreten Verhältnisse in den Haftanstalten ins Visier nimmt, inzwischen weit zurückgedrängt. Es gelingt höchstens noch punktuell, den Fokus zu verschieben, beispielsweise wenn ein Leiter einer Justizvollzugsanstalt wie Thomas Galli die Seiten wechselt, Rechtsanwalt wird und den Freiheitsentzug als »allermeistens schädlich« charakterisiert. Dem Ressentiment gegen verurteilte Straftäter und der wachsenden Begeisterung für ein vergeltendes und sicherndes Strafrecht kann so eine gelegentliche Attacke aber wenig anhaben.
 

1977 erschien Michel Foucaults Buch »Überwachen und Strafen – die Geburt des Gefängnisses« auf Deutsch und brachte den Gedanken in die Diskussion, dass Gefängnisse nicht nur ein Disziplinierungsort für Gefangene sind, sondern dass die Gefängnisordnung das gesamte moderne Dasein als »Kerkergewebe der Gesellschaft« bestimmt. Die Situation in den Gefängnissen war – auch maßgeblich dank der radikalen und militanten Linken – ein ge­sellschaftliches Thema. Der Ansatz einer »sozialen Strafrechtspflege« erziehlte mit dem am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen ersten deutschen Strafvollzugsgesetz einen wichtigen Erfolg. Die im Kampf gegen die militante Linke eingeführten Maßnahmen wie Isolationshaft, Kontaktsperre oder Zwangs­ernährung verschärften gleichzeitig die Möglichkeiten der Feinderklärung im Vollzug.

Das Strafvollzugsgesetz ersetzte die juristische Melange aus Strafvollzugsordnung von 1934 und Verwaltungsregelungen aus der Nachkriegszeit und vereinheitlichte den Vollzug, etwa durch die Abschaffung der Zuchthäuser. Zudem etablierte es ein System, das sich am Resozialisierungsgedanken ausrichten sollte.

 

An die Stelle des bundesweit geltenden Strafvollzugsgesetzes von 1977 sind mittlerweile 16 Landesstrafvollzugsgesetze getreten, die zwar viele Übereinstimmungen aufweisen, ebenso aber auch grundlegende Unterschiede. Das erschwert einen effektiven Rechtsschutz für die Gefangenen.

 

Linke und militante Gruppen griffen damals den Foucault’schen Ansatz auf: »Auch wenn die Mauern hoch sind, Knast ist kein abgeschlossenes Gebilde außerhalb der eigentlichen Gesellschaft, sondern kann nur funktionieren, indem gesellschaftliche Institutionen, Firmen, Personen Knast von außen aufrechterhalten: von Ärzten, Psycho­logen, Bullen, Schließern, die sich nach ihrem Tagwerk in ›nette‹ Nachbarn verwandeln und so tun, als wäre nichts gewesen.« Mit dieser Begründung verübten die »Revolutionären Zellen« und die »Rote Zora« 1984 Sprengstoffanschläge auf zwei, wie sie sich ausdrückten, »honorige Firmen, die mit unsichtbaren Abteilungen in fast alle Knäste der BRD investiert haben und sich an der Knastarbeit bereichern«. Die in Bonn und Gütersloh ansässigen Firmen vergaben Arbeitsaufträge in Haftanstalten.

Knapp zehn Jahre später sprengte die RAF den fast fertiggestellten Neubau der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt in Hessen – und verzögerte damit deren Inbetriebnahme um vier Jahre. Dass in der RAF-Erklärung zum Anschlag der Justizvollzug selbst kaum ein Thema war, zeigte aber auch, dass der Knastkampf längst aufgegeben worden war. Das Anschlagsziel hatte trotz der erheblichen Auswirkungen nur noch eine symbolische Dimension. Während sich die RAF 1998 auflöste, ist die wiederaufgebaute JVA Weiterstadt heute die größte Strafanstalt des Landes Hessen.

Der Strafvollzug ist durch die Förderalismusreform gegen den Widerstand der Strafrechtspraktiker und vieler Strafrechtswissenschaftler 2006 in die Regelungskompetenz der Länder ge­geben worden. An die Stelle des bundesweit geltenden Strafvollzugsgesetzes von 1977 sind mittlerweile 16 Landesstrafvollzugsgesetze getreten, die zwar viele Übereinstimmungen aufweisen, ebenso aber auch grundlegende Unterschiede. Das erschwert einen effektiven Rechtsschutz für die Gefangenen. Mehr Normen schaffen schwierigere Bedingungen für Anwälte, die sich spezialisieren müssen.

 

Ein erfolgloses Modell

 

Gemeinsam ist dem Vollzug allerdings nach wie vor, dass sich in zentralen Fragen seit langem nichts mehr tut. So wird beispielsweise der hart erkämpfte Angleichungsgrundsatz – »Das Leben im Strafvollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie möglich anzugleichen« – durch eine erhebliche Ungleichbehandlung in einem zentralen Lebensbereich konterkariert: Auch heute noch versagen Strafvollstreckungskammern Gefangenen den Zugang zu Büchern, weil in ­ihnen Gefängnisse »durchgängig als Knast« bezeichnet werden oder, wenn es sich um Ratgeber für Gefangene handelt, »suggeriert« wird, »dass effektiver Rechtsschutz auch bei einem berechtigten Interesse weitgehend nicht erreicht werden könne und teilweise ein kollusives Zusammenwirken zwischen der Anstalt, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten bestehe«. So begründete das Landgerichts Arnsberg am 22. Januar die Nichtaushändigung des Buches »Wege durch den Knast«. Das Oberlandgericht Karlsruhe hat noch Ende vorigen Jahres entschieden, einem »fremdsprachigen Untersuchungsgefangenen« stehe kein Rechtsanspruch auf Teilnahme an einem Deutschkurs zu. Auch das wirft die Frage auf, was die Verhältnisse hinter Gittern heute von dem bloßen Wegsperren in früheren Zeiten unterscheiden soll.

 

Es fällt auf, welche Bevölkerungsgruppe den Großteil der Insassen ausmacht. Während sogar in der Bundeswehr mittlerweile zwölf Prozent Frauen Dienst an der Waffe leisten, sind in den Gefängnissen ganz überwiegend junge bis mittelalte Männer in einer ganz besonderen, hierarchisch-archaischen Institution zusammengezwungen.

 

Dass das Bundesverfassungsgericht ebenfalls Ende vorigen Jahres einem schleswig-holsteinischen Strafgefangenen Recht gab, der sich gegen überteuerte Telefontarife wehrte, ist nicht wirklich ein Trost: Es dauerte fast zweieinhalb Jahre vom Antrag des Gefangenen bis zur Entscheidung der Verfassungsrichter – die das Verfahren zudem ans Schleswig-Holsteinische Oberlandgericht zurückverwiesen. Für einen Gefangenen, für den die Telefonate eine zentrale Verbindung mit der Welt sind, ist das eine sehr lange Zeit. Auch der Anspruch der Gefangenen auf physische Unversehrtheit ist nicht gewährleistet. In den Anstalten ist Gewalt an der Tagesordnung, mindestens jeder vierte Strafgefangene wird Opfer physischer Gewalt.
 

Betrachtet man die Haftanstalten, so wird rasch klar, dass sie ein durch und durch erfolgsloses Modell sind. Sie sind ein Relikt aus dem 18. und 19. Jahrhundert, das sich schon längst überlebt hätte, wenn es wirklich nur darum ginge, Straftäter möglichst erfolgreich (wieder) in die Gesellschaft einzugliedern. Es fällt auf, welche Bevölkerungsgruppe den Großteil der Insassen ausmacht. Während sogar in der Bundeswehr mittlerweile zwölf Prozent Frauen Dienst an der Waffe leisten, sind in den Gefängnissen ganz überwiegend junge bis mittelalte Männer in einer ganz besonderen, hierarchisch-archaischen Institution zusammengezwungen. Der Frauenanteil liegt unter sechs Prozent.

Die statistischen Daten zeigen zwar, dass die Zahl der Gefangenen seit Jahren stetig zurückgeht. Derzeit sitzen in Deutschland knapp 64 000 Menschen in den Straf- und Untersuchungshaftanstalten, deutlich weniger als noch vor zehn Jahren. Auch im internationalen Vergleich steht Deutschland pas­sabel da: Während hier etwa 77 von 100 000 Menschen die Freiheit entzogen wird, sind es in Schweden und Finnland zwar nur 57, in Frankreich aber 101 und in den USA sogar 666.

Der Trend ist allerdings umkehrbar, da er nicht durch eine Abkehr von der Idee des Gefängnisses als Institution der Abschreckung und Disziplinierung und durch die Entwicklung alternativer Bestrafungs- und Resozialisierungsmodelle vorangetrieben wird.