Der türkische Präsident hat für ­Syrien andere Pläne als der syrische Diktator

Wettkampf des Wahnsinns

Im Kampf um das nordsyrische Afrin hat Syriens Diktator Bashar al-Assad der kurdischen Miliz YPG Hilfstruppen geschickt. Das läuft Plänen des türkischen Präsidenten Erdoğan für Syrien zuwider.

Bashar al-Assads Schritt sorgte für Verwunderung. Am Dienstag vergangener Woche wollte der syrische Dik­tator die Kurdinnen und Kurden im nordsyrischen Afrin mit ein paar Hilfstruppen unterstützen. Truppen aus dem Lager Assads hatten gerade erst versucht, die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) von einigen Ölfeldern zu vertreiben; dabei bilden die SDF und die kurdische Miliz YPG, die Afrin verteidigt, eine Einheit. Überrascht mag auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gewesen sein, denn kurz bevor die ersten schiitischen Milizionäre mit ihren Pickups Richtung Afrin aufbrachen, hatte er versichert, er habe sich mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani und mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geeinigt, dass keine Truppe nach Afrin verlegt werden solle.

Die türkische Regierung ließ wissen, Assads Truppen würden nur dann in Afrin akzeptiert, wenn sie die YPG entwaffneten. Daraus schlossen einige Kommentatoren, ein solches Szenario sei das eigentliche Ziel der Türkei. Man kann es aber auch so lesen: Wer den türkischen »Antiterrorkampf« stört, wird angegriffen. Das legitimiert dann auch Attacken auf Assads Truppen.

Assad ist zwar auf Putins Hilfe angewiesen, aber er ist nicht dessen Marionette. Putin kann Assad nicht fallen lassen, denn damit würde auch die russische Politik in Syrien scheitern. Erdo­ğan wiederum verfolgt langfristige ­Ziele und ist nicht bereit, die türkisch-syrische Grenze wie vor dem syrischen Bürgerkrieg von Assad schützen zu ­lassen.

Entsprechende Vorschläge, geäußert etwa vom ehemaligen türkischen General­stabschefs İlker Başbuğ, lehnte Erdoğan strikt ab. Wie die langfristigen Ziele der türkischen Politik in Syrien aussehen, wird an der Errichtung auf Dauer angelegter politischer Strukturen in dem bereits besetzten Gebiet bei al-Bab sichtbar, das die türkische Armee und mit ihr verbündete Rebellentruppen vergangenes Jahr vom »Islamischen Staat« (IS) erobert hatten. Außerdem hat Erdoğan Kämpfer aus etwa 30 Rebellengruppen unter dem Namen »Nationale Armee« für den Angriff auf Afrin aufgestellt. Dieser verdeutlicht den Anspruch, dass es sich dabei um die eigentliche Ver­tretung der syrischen Nation handle.

 

Erdoğan beruft sich nicht nur auf Terrorbekämpfung, sondern auch darauf, der syrischen Nation zu ihrem Recht zu verhelfen, die er als sunnitisch und arabisch definiert.

 

Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt hat die türkische Armee die Beobachtungsposten im Gebiet von Idlib, die der Türkei in Verhandlungen mit Russland und dem Iran zugestanden wurden, zu Stützpunkten ausgebaut und errichtet weitere. Assad musste seine Offensive gegen Idlib deshalb vorerst aufgeben und wendete sich gegen Ghouta. Der nachlassende Druck auf Idlib ermöglichte es der Türkei, von dort weitere Rebellen zum Kampf gegen Afrin abzuziehen.

Mit Idlib und der »Nationalen Armee« hat Erdoğan ein Faustpfand bei Verhandlungen um die künftige Gestaltung Syriens in der Hand. Der türkische Journalist Kadri Gürsel meint, in Afrin gehe es Erdoğan darum, das türkisch kontrollierte Gebiet bei al-Bab mit Idlib zu verbinden. Sollte das gelingen, würde die von Assad in jahrelangen Kämpfen zurückeroberte zweitgrößte syrische Stadt Aleppo von einem halbmondförmigen besetzten Gebiet eingefasst, das sich im Westen, Norden und Nordosten der Stadt erstreckt und in dem die aus mehrheitlich islamistischen Syrern bestehende »Nationale Armee« und türkische Soldaten stehen. Dadurch werde die Türkei zum Herrn über die Zukunft Syriens. Dies könne aber nicht im Sinne der syrischen, ­iranischen und russischen Regierung sein, so Gürsel.

Für Putin gab es gute Gründe, Erdo­ğan den Angriff auf Afrin zu gestatten. Dass die Spannungen zwischen der Türkei und den USA sich verschärft haben, kann er als Erfolg verbuchen. Doch langfristig könnte er sich ver­kalkuliert haben, denn bereits seine Syrien-Konferenz in Sotschi Ende Januar ist de facto geplatzt. Weder kamen die Kurden, noch hat die türkische Regierung aus Dankbarkeit dafür gesorgt, dass eine vorzeigbare Beteiligung der syrischen Opposition zustande kam. Die USA sind trotz der türkischen Drohung nicht aus Syrien abgezogen und Putin muss nun mehr Rücksicht auf Erdoğan nehmen.

Assad war vom ersten Tag an wegen des Einmarschs seines ehemaligen Verbündeten Erdoğan besorgt. Die Ressourcen für eine ernsthafte Verteidigung Afrins hat Assad nicht. Aber auch wenn die Entsendung einer überschaubaren Streitmacht nach Afrin an der militärischen Lage nichts ändert, so hat er doch klargemacht, dass er nicht willens ist, den türkischen Einfluss in Syrien einfach hinzunehmen.

Die Fronten sind damit abgesteckt. Assad besteht darauf, weiterhin die einzige legitime Macht in ganz Syrien zu sein und diese Stellung gegen möglicherweise zu Recht unterstellte neoosmanische Ambitionen Erdoğans zu verteidigen. Überdies gibt der ­syrische Präsident auch »den Zionisten« eine Mitschuld an der türkischen ­Invasion.
Erdoğan beruft sich nicht nur auf Terrorbekämpfung, sondern auch darauf, der syrischen Nation, wie er sie sieht, zu ihrem Recht zu verhelfen. Dass in seiner »Nationalen Armee« auch Menschen kämpfen, die nicht aus Syrien kommen, stört ihn nicht.

Er definiert die syrische Nation als sunnitisch und arabisch. Damit kann er auch die große Zahl von Araberinnen und Arabern agitieren, die in der von den Kurden mit Unterstützung der USA dominierten Zone in Syrien leben. Die USA scheinen für jene Bevölkerungsgruppe kein politisches Programm zu haben und lindern auch nicht deren ökonomische Not. Das könnte sich eines Tages bitter rächen. Außerdem kann Erdoğan diese Versäumnisse gegen den Aleviten Assad nutzen. Ein Wahlbündnis von Parteien, die antikurdisch und sunnitisch ausgerichtet sind, schmiedet Erdoğan derzeit auch in der Türkei. So wird die türkische Syrien-Politik auch im kommenden Wahlkampf eine wichtige ­Rolle spielen.

Allerdings hat sich Erdoğans »Nationale Armee« in Afrin als ineffektiv ­erwiesen. Ihre Führer sind zerstritten und häufig korrupt. Russland kontrolliert den Luftraum und kann die Türkei jederzeit aussperren. Putin scheint sich indessen, entgegen Gürsels Annahme, mit dem Gedanken angefreundet zu haben, Assad am Ende einen Frieden mit einer Opposition aushandeln zu lassen, die man international als halbwegs gemäßigt verkaufen kann und die finanziell, militärisch und ­politisch von der Türkei abhängig ist. Die USA hätten keine vorzeigbare Alternative.

Aber es ist nicht erkennbar, auf welchen Kompromiss sich Erdoğan und Assad einigen könnten. Daher könnte Assads Entsendung einiger Kämpfer nach Afrin eine neue Runde im syrischen Krieg einläuten.