US-amerikanische Schülerinnen und Schüler protestieren für »gun control«

Den Schuss gehört

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Reportage Von

 

Seit dem Parkland-Massaker sind Kinder und Jugendliche im ganzen Land wie elektrifiziert. Ältere Beobachter sprechen von einer Stimmung wie zuletzt zu Beginn der Bürgerrechtsbewegung in den sechziger Jahren. In New York haben die Proteste zumeist die volle Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer sowie des politischen Establishments. In Manhattans Finanzdistrikt beteiligte sich medienwirksam der  Gouverneur Andrew Cuomo (Demokratische Partei) an einem die-in im Zuccotti Park, dem Schauplatz der Occupy-Proteste im Jahr 2011. »Ich denke manchmal, dass ihr Schülerinnen und Schüler mehr Führungswillen zeigt als die sogenannte politische Führung in Washington«, rief er den Jugendlichen zu.

In Washington, D.C., und Umland verließen Tausende ihre Klassenzimmer und marschierten bis auf die Treppen des Kapitols. Einige Abgeordnete erwarteten dort die Protestierenden. Die überwiegend weißharigen Herren aus der demokratischen Partei mussten allerdings beim High-five-Geben und Selfies-Machen mit den Jugendlichen feststellen, dass sie keiner kannte. Die Ausnahme war Vermonts Senator Bernie Sanders – bei dessen Anblick brach die Menge in freudige »Bernie! Bernie!«-Rufe aus.

 

An vielen High Schools wurden die geplanten »walkouts« abgesagt, nachdem anonyme Drohungen im Zusammenhang mit den Protesten eingegangen waren.

 

In konservativ regierten Bundesstaaten stießen die walkouts oft auf weniger Sympathie. Die Argumente gegen sie fallen unterschiedlich aus. Manchmal heißt es, erst Kinder ab einem bestimmten Alter seien politisch mündig genug, um selbst zu entscheiden, ob sie an Protesten teilnehmen. Andere finden, dass die Proteste gerade jüngere Kinder in Angst versetzten oder dass die Kinder dadurch Gefahren ausgesetzt seien. Im Bundesstaat Texas, wird die Teilnahme sogar als Schulschwänzen geahndet und mit einem Schulverweis gedroht. Die American Civil ­Liberties Union (ACLU) ließ daraufhin verlauten, dass die Schulverwaltungen dazu prinzipiell berechtigt seien. Politisch motiviertes Schulschwänzen dürfe aber keinesfalls härter bestraft werden als das übliche.

 

Brooklyn, Protest

Jung und wütend: Schülerinnen und Schüler protestieren auf den Stufen der Borough Hall, dem ehemaligen Rathaus von Brooklyn, New York

 

An einigen High Schools fanden die geplanten walkouts nach anonymen Drohungen nicht statt, etwa in Raleigh, North Carolina, in Bergen County, New Jersey, in Weston, Wisconsin, und in der Romeoville, Illinois. Nicht alle diese Drohungen galten als glaubhaft, trotzdem wurden die Veranstaltungen vorsichtshalber abgesagt. An einer Schule in Illinois und einer weiteren in Virginia fanden die walkouts trotz Drohungen statt. An der Shikellamy High School in Pennnsylvania wurde der Protest kurzfristig wegen eines angedrohten drive-by shooting abgesagt. Zwei Schulen in Clearville, New Jersey, wurden nach anonymen Drohungen ­sogar geschlossen. Die Proteste verliefen überwiegend ohne gewalttätige Zwischenfälle. Nur in Chicago verhinderte die Polizei gewaltsam eine Straßen­blockade während eines walkouts und machte Festnahmen.

Die Jugendproteste geschehen in einer ohnehin schon politisch aufgeladenen und polarisierten Zeit. Die Nation ist geteilt in Trump-Freunde und Trump-Feinde, in MSNBC- und Fox News-Gucker, in Leute, die das Land mit Mauern umgeben wollen, und sanctuary cities. Die Proteste treten nicht nur in die Fussstapfen der neuen ­sozialen Bewegungen von Black Lives Matters bis »Me too«, sie geraten auch mitten in einen erbitterten Kampf um die Zukunft der amerikanischen ­Demokratie. Noch am Tag vor den walkouts feuerte Trump seinen Außen­minister Rex Tillerson, der gemeinsam mit dem Nationalen Sicherheitsbe­rater Herbert R. McMaster als einer der moderaten Kräfte in Trumps Kabinett galt. Auch McMasters Stuhl gilt inzwischen als wackelig. CIA-Direktor Mike Pompeo, bekannt als innen- wie außenpolitischer rechter Allround-Hardliner, soll Tillerson ersetzen. Die Posten­besetzung als Reality-TV-Show ist nur der sichtbarste Ausdruck einer Ent­wickung zum autoritären Staat.

Glatt verläuft diese Entwicklung nicht. Die Trump-Regierung steht unter ext­remem Druck. Die Russland-Ermittlungen des FBI-Sonderermittlers Robert Mueller bringen Trump mehr und mehr in Bedrängnis, während Kandidaten der Republikaner links und rechts Wahlen verlieren. ­Zuletzt verlor bei einer Wahl am Dienstag voriger Woche in Pennsylvania der Republikaner Rick Saccone seinen Kongressitz an einen gemäßigten Demokraten. Der Sitz galt seit Ewigkeiten als republikanischer Erbhof. Trump hatte im Wahlkampf sein volles politisches Gewicht für Saccone in die Wagschale geworfen, was die Niederlage letztlich zu Trumps eigener machte.

Druck wächst seit dem Parkland-Massaker auch auf die mächtige National Rifle Association (NRA), die wichtigste Lobbyorganisation der Waffenbesitzer. Diese, organisiert in der NRA oder der noch extremeren Organisation Gun Owners of America (GOA) treten überwiegend als loyale Trump-Basis mit der entsprechend schrillen Rhetorik auf. Sie haben nun einen formidablen ­Gegner. Weitere landesweite Proteste der gun control-Bewegung sind bereits angekündigt, darunter eine Großdemonstration, zu der in Washington, D.C., am kommenden Samstag ein halbe Millionen Teilnehmende er­wartet werden, und eine Demonstration am 20. April, dem Jahrestag des Columbine-Massakers. Ob daraus tatsächlich »eine neue Bürgerrechtsbewegung entsteht«, wie eine junge Rednerin während des Protests vor Borough Hall durch ihr Megaphon den Demonstrierenden zurief – es bleibt nur zu hoffen.