Theorie und Praxis des Kampfes um bezahlbaren Wohnraum

Grenzen des Mietkampfs

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Dass dieser freie Markt kein natürlicher, dem Wesen des Menschen am besten entsprechender Verteilungsmechanismus von Gütern und Dienstleistungen ist, sondern jene Ungleichheit und Abhängigkeit reproduziert und verschärft, die schon im kapitalistischen Eigentumsverhältnis angelegt ist, wird in der Wohnungsnot besonders deutlich. Kein Wunder, dass seit einigen Jahren linke Aktivisten den Mieterkampf für sich entdeckt haben – häufig genug sind ihre Wohn- und Hausprojekte selbst von Entmietung und Verdrängung betroffen. Tatsächlich sind den Linken hier einige ihrer spektakulärsten Aktionen der jüngeren Vergangenheit gelungen. Sitzblockaden, mit denen Mieter, Nachbarn und Aktivisten gemeinsam Zwangsräumungen verhindern wollen, erfuhren hohe Aufmerksamkeit. Die Kölner Aktion »Alle für Kalle« – der Altmieter Karl-Heinz Gerigk wurde vor vier Jahren aus seiner Innenstadtwohnung vertrieben, die dann luxussaniert wurde – schaffte es sogar in die »Tagesschau«.

Aber die Euphorie der spektakulären Sitzblockaden ist meist schnell wieder verflogen. So heftig die Proteste aufflammen, so schnell verlieren sie auch an Schwung. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist für viele Betroffenen das Wohnen schlicht und einfach Privatsache. Angedrohte Zwangsräumungen und Vermieterterror provozieren heftige Gegenwehr – aber häufig sorgen schon individuelle Lösungen für eine Befriedung des Konfliktes. Mal wird eine Zwangsräumung zurückgenommen, mal wird Mietern eine Umsiedlung angeboten – dann erlischt auch schon der Widerstand. Und wieso auch nicht? Anders als der Arbeitsplatz eignet sich die Wohnung eben kaum als öffentliche Bühne des Klassenkampfs.

Die Hoffnung vieler Linker ist es, die Mieterkonflikte als Teil des proletarischen Lebenszusammenhangs transparent zu machen. Vom proletarischen Lebenszusammenhang sprachen vor 50 Jahren die italienischen Operaisten, als die Arbeiter nicht nur in den Fabriken streikten, sondern schwarzfuhren, für ihre Einkäufe nicht mehr bezahlten und eigenmächtig die Mieten reduzierten. Anders als heutzutage herrschte im Italien der siebziger Jahre eine weitverbreitete Klassenkampfstimmung, in der die Arbeiter die Militanz der Betriebskämpfe auf andere Lebensbereiche ausdehnten.

Friedrich Engels hat 1872 in seiner Schrift über die Wohnungsfrage, die man mittlerweile wieder ohne Abstriche lesen kann, dementsprechend auf einen Widersacher aus der Schule Proudhons geantwortet. Der hatte behauptet: »Was der Lohnarbeiter gegenüber dem Kapitalisten, das ist der Mieter gegenüber dem Hausbesitzer.« Darauf Engels trocken: »Das ist total falsch.« Der Mieter verkauft nicht seine Arbeitskraft an den Eigentümer, sondern ersteht ein Nutzungsrecht. Deshalb ist der Protest gegen den »Mietenwahnsinn«, wie das Motto der Berliner Demonstration vom Wochenende hieß, häufig bloß moralisch – der Vermieter hat nun mal das Eigentumsrecht auf seiner Seite. Man müsste also die Eigentumsordnung direkt angereifen. Der erste Hebel dafür ist aber immer noch der Klassenkampf auf Betriebsebene.

Das leitet zum zweiten Grund über, aus dem Mieterkämpfe sich derzeit so häufig als Strohfeuer erweisen. Eben weil sie nicht eingebettet sind in einen generalisierten sozialen Konflikt um die Aneignung der kollektiven Existenzbedingungen, sind sie an die Politik adressiert: Diese soll Instrumente einführen, die Mieten deckeln, Bodenspekulation verhindern und den Mietern mehr Gegenwehr ermöglichen. Es ist bezeichnend, dass ein Basisaktivist wie Andrej Holm in Berlin Staats­sekretär werden wollte. Delegiert man aber seine Anliegen und Kämpfe an eine übergeordnete Instanz, entmündigt man sich nicht nur selbst, sondern affirmiert genau die Institution, die die Eigentumsordnung aufrechterhält. So erweisen sich politische Maßnahmen wie die Mietpreisbremse für die Eigentümer zuverlässig als Ansporn, Gesetzeslücken und Ausnahmeregelungen auszunutzen. Nahezu ungestraft wird gegen die Preisbremse verstoßen. Selbst die Kanzlerin sieht sie als gescheitert an.

Die Chance auf eine wirksame antikapitalistische Strategie eröffnet sich nur dann, wenn sich die Mieterkämpfe mit anderen sozialen Konflikten verbinden. Die Aufgabe der Linken könnte dann darin liegen, Briefträger zu ­spielen.