Das Bundesverfassungsgericht hat das Streikverbot für Beamte bestätigt

Gehorchen statt streiken

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Angesichts dieser Ausgangslage hatten sich die Betroffenen Hoffnungen gemacht, dass die deutschen Verfassungsrichter ihren Straßburger Kollegen folgen und das Streikverbot auf­heben würden. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Das BVerfG urteilte stattdessen ganz im Sinne des Erfinders des deutschen Berufsbeamtentums, des preußischen »Soldatenkönigs« Friedrich Wilhelm I. Die von ihm erarbeiteten Grundlagen des heutigen Beamtenrechts wurden von seinem Nachnachfolger Friedrich Wilhelm II. 1794 mit dem »Landrecht für die preußischen Staaten« erstmals in einem Gesetz zusammengefasst. Ein Blick ins Grundgesetz zeigt, dass dort nirgendwo von einem Streikverbot für Beamte die Rede ist. Stattdessen wird darin seit 1950 auf die »hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums« verwiesen, mit denen die preußischen Regelungen aus dem 18. Jahrhundert ­gemeint sind. In seiner Entscheidung stellte das BVerfG in der vergangenen Woche fest, dass zu diesen »hergebrachten Grundsätzen« auch das Streik­verbot gehört.

Der anachronistische Urteilsspruch auf Basis »hergebrachter Grundsätze« stieß bei Gewerkschaftsfunktionären auf Unverständnis. »Hundert Jahre nach dem Ende der Monarchie, der Gründung des Freistaats und der Begründung des modernen deutschen Arbeitsrechts wäre es endlich an der Zeit gewesen für ein Ende des Streikverbots für Beamtinnen und Beamte«, sagte beispielsweise der bayerische GEW-Vorsitzende Anton Salzbrunn. Auch die GEW-Bundesvorsitzende Marlis Tepe zeigte sich enttäuscht. »Das ist ein schwarzer Tag für Demokratie und Menschenrechte«, so Tepe am Dienstag vergangener Woche. Das Gericht schreibe damit die bisherige Rechtsprechung fest und vollziehe einen Rückschritt ins vergangene Jahrhundert, kritisierte sie. Die GEW-Vorsitzende kündigte an, dass ihre Gewerkschaft das Urteil eingehend prüfen und dann über weitere Schritte entscheiden werde. Beobachter halten einen Gang vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof für wahrscheinlich.

Für Unmut sorgte nicht zuletzt die Begründung des BVerfG, in der die Richter die Argumentation des beklagten Dienstherrn beinahe vollständig übernahmen. So warf der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) den Befürwortern eines Streikrechts für Beamte im Rahmen der Verhandlung »Rosinenpickerei« vor. Auf dieselbe Wortwahl griffen auch die Verfassungsrichter zurück. Des Weiteren befürchtet das BVerfG wie de Maizière, dass ein Streikrecht für bestimmte Beamte eine Kettenreaktion zur Folge hätte, die das gesamte System des Berufsbeamtentums in Mitleidenschaft ziehen würde. Eine Spaltung in Beamte mit Streikreicht und solche ohne sei unbedingt zu verhindern.

Angesichts der Spaltung der Belegschaften durch die Politik der Bundesregierungen der vergangenen Jahrzehnte erscheint diese Argumentation mehr als fragwürdig. So sind nur noch drei Viertel der Lehrkräfte verbeamtet. Während die etwa 200 000 angestellten Lehrerinnen und Lehrer für ihre Arbeits- und Lohnbedingungen streiken dürfen, wird dieses Recht ihren verbeamteten Kollegen verweigert. Noch deutlicher zeigt sich die Diskrepanz in den privatisierten Nachfolgeunternehmen der Post. Noch etwa jeweils 40 000 Beamte arbeiten bei Post und Telekom. Ihnen wird nicht nur das Streikrecht verweigert, sie werden gelegentlich auch als Streikbrecher eingesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1993 in einer Präzedenzentscheidung lediglich zur Voraussetzung gemacht, dass der Einsatz freiwillig geschehe.

Bei Anhängern des Obrigkeitsstaats stößt das BVerfG-Urteil freilich auf Begeisterung. Dazu gehört nicht nur die Bundesregierung, sondern auch Standesorganisationen wie der Deutsche Beamtenbund (DBB) und dessen Lehrerverbände. »Mit seiner Entscheidung hat das oberste deutsche Gericht unsere Rechtsauffassung zum Beamtenstatus einhundertprozentig bestätigt«, sagte der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach. »Die Verfassung ­garantiert mit dem Berufsbeamtentum und seinen Grundsätzen in einem ausbalancierten Verhältnis von Rechten und Pflichten ganz bewusst einen streikfreien Raum, in dem eine ständige staatliche Aufgabenerledigung sichergestellt wird«, so Silberbach. In einer Stellungnahme gibt der DBB zudem einen tiefen Einblick in sein obrigkeitsstaatliches Denken: »Es ist tief im Berufsethos der Beamten verwurzelt, das besondere Dienst- und Treuverhältnis auch zu leben. Und das bedeutet, den Staat am Laufen zu halten, immer und unter allen Umständen«, heißt es dort.

Fernab von allem Pathos der Staatstreue verweist der dem DBB angeschlossene Deutsche Lehrerverband (DLV) auf den Grund, warum sowohl Standesorganisationen als auch Bundesregierung dem Berufsbeamtentum und dem damit verbundenen Streikverbot eine solch hohe Bedeutung beimessen. Ein öffentlicher Dienst, gespalten in Angestellte und Beamte, in dem letztere auf die Für­sorgepflicht ihres Dienstherren angewiesen sind und es ihnen untersagt ist, für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lohnbedingungen zu streiken, gilt als Vorteil in der Staatenkonkurrenz. »Der Beamtenstatus für Lehrkräfte ist nicht überholt, sondern ein wesent­licher Standortvorteil eines modernen, bürgerfreundlichen funktionierenden Staatswesens«, heißt es daher in der Stellungnahme des DLV zum Urteil des BVerfG.