Wegen des Rückzugs der USA gewinnt Russland in Syrien an Einfluss

Der Sieg der Konterrevolution

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Der neue Nahe Osten hat sich einmal mehr gewandelt. Die Verhandlungen zwischen Russland und Israel vor der Eroberung der südwestsyrischen ­Rebellengebiete zeugen deutlich davon, wer hier regional gerade die ehemalige Rolle der USA übernommen hat. »Der israelische Ministerpräsident fährt ­öfter nach Moskau als nach Washington«, brachte es Yousef al-Otaiba, der Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in den USA, auf den Punkt. »Ich sage das, um auf diese Weise deutlich zu machen, wie anders der Nahe Osten geworden ist.« Benjamin Netanyahu reist nach Moskau, um Bedingungen auszuhandeln – etwa den Abstand, den iranisch kontrollierte Truppen und die Hizbollah vom Golan zu halten haben –, an denen sich dann US-Präsident Donald Trump bei seinen Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin orientiert.

Die Rolle der USA und deren Interessen bleiben unter Trump so widersprüchlich wie dubios und schwer durchschaubar. Der US-Präsident droht dem Iran polternd per Twitter, doch die Pläne der Machthaber in Teheran werden durch den US-amerikanischen Rückzug gefördert. Das iranische ­Regime hat mehrfach betont, dass es nicht gedenkt, sich aus Syrien zurück­zuziehen, was auch immer Israel und Russland aushandeln. »Die Region ­erlebt eine fundamentale Veränderung der Machtverhältnisse«, dozierte der Hizbollah-Funktionär Ali Damush Mitte Juli. »Die USA haben begonnen, ihre Niederlage in Syrien zu akzeptieren.«

Schiitische Milizionäre und iranische Soldaten kann man schließlich auch in syrische Uniformen stecken. Selbst der US-amerikanische Geheimdienstkoordinator Daniel Coats hat jüngst auf der Sicherheitskonferenz in Aspen die Einschätzung vertreten, Russland habe weder den Willen noch die Möglichkeit, dem iranischen Einfluss in Syrien etwas entgegenzusetzen. In Israel hat man auf die neue Lage pragmatisch reagiert. Wichtig wird beim Abkommen mit Russland vor allem gewesen sein, dass die russische Luftabwehr Angriffen auf die ­Hizbollah auch weiterhin nicht im Weg steht. Die israelische Luftwaffe kann den iranischen Vormarsch bremsen, die Iraner aber nicht aus Syrien ver­treiben. Wie weit die durchaus zynische israelische Realpolitik wirklich trägt, ist eine offene Frage.

Mit der Aufgabe des syrischen Südwestens haben die USA deutlich ­gemacht, wohin trotz aller widersprüchlichen Wendungen die Syrien-Politik der Regierung Trumps als Nächstes führen dürfte: zum Rückzug auch aus dem Osten des Landes, wo sich die ­kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) ohne Unterstützung der USA gegen die stärkeren Kriegsparteien nicht halten könnte. Soweit bisher bekannt, könnte ein zukünftiges russisch-US-amerikanisches Abkommen über Syrien schlichtweg die Übergabe der SDF an Russland und Assad sowie den Rückzug der rund 2 000 US-Soldaten aus dem Norden Syriens vorsehen.

Auch die Zukunft der mit über drei Millionen Flüchtlingen völlig überbevölkerten Region um Idlib im Norden des Landes ist ungewiss. Hier herrschen Islamisten unter dem Schutz der ­türkischen Armee in einer Art neoosmanischem Protektorat. Erobern ließe sich dieses Gebiet kaum, zumal die Frage wäre, was das Regime in Damaskus mit den vielen überwiegend sunnitischen Flüchtlingen anfangen soll, die man ja zuvor aus anderen Landesteilen vertrieben hat. Ein erstes unheilvolles Zeichen haben die USA auch hier ­gesetzt, indem sie im März die Zahlung von 200 Millionen Dollar zur Finan­zierung von 150 syrischen NGOs in Idlib plötzlich aussetzten. Die Ersparnis für die USA ist gering, der Zusammenbruch dieser Hilfsinfrastruktur aber spielt den Islamisten in die Hände, an die sich die Menschen nun wenden müssen. »Jeder von uns, der in den vergangenen Jahren in die Syrien-Politik involviert waren, muss in den Spiegel schauen und das Scheitern erkennen«, sagte Tony Blinken, der unter US-Präsident Barack Obama stellvertretender Außenminister war. »Wir haben versagt. Und das Versagen geht weiter. Das Leiden geht weiter.«