Die Bundesregierung hebt ohnehin milde Sanktionen gegen die Türkei auf

Neue Hermes-Bürgschaften für den Sultan

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Ob die Aufhebung der milden Sanktionen Erdoğan sonderlich helfen wird, ist fraglich. Die wirtschaftliche Lage des Landes ist schlecht. Längst steht Erdoğan mit seiner Wirtschaftspolitik mit dem Rücken zur Wand.

In seiner Hilflosigkeit setzte er die türkische Notenbank, der er einst größeren Freiraum einräumte, unter Druck, die Zinsen nicht zu er­höhen. Folgt sie ihm, besteht die Gefahr einer Hyperinflation und einer heftigen Verteuerung von Importen. Die Türkei hat Auslandsschulden von etwa 450 Milliarden Dollar – angesichts des großen Außenhandelsdefizits wird es immer schwieriger, die Kredite zu bedienen. Auch ausländische Unternehmen dürften vorsichtiger werden. Der deutsche Industrie- und Handelskammertag warnte Anfang Juli seine Mitglieder: »Für ausländische Investoren – nicht zuletzt aus Deutschland – ist die Unabhängigkeit der Zentralbank ein entscheidendes Kriterium bei der Bewertung der Attraktivität der Türkei als Investitionsstandort und Exportmarkt.« Die Rating-Agentur Fitch hat die Türkei auf Ramschniveau herabgestuft, Investitionen und Kredite gelten jetzt als »spekulative Anlage«. Bei einer Verschlechterung der Lage sei mit Ausfällen zu rechnen. Die Auslandsinvestitionen in dem Land haben sich innerhalb eines Jahres halbiert: von 4,2 Milliarden Dollar im ersten Halbjahr 2017 auf 2,1 Milliarden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres.

Folgt die Notenbank Erdoğan nicht, sondern erhöht die Zinsen, um die ­Inflationsrate zu senken, die bereits bei 15 Prozent liegt, verteuern sich die ­Kredite in der Türkei. Das von Schulden und Inlandskonsum getriebene Wirtschaftswachstum würde einbrechen. Bereits jetzt spüren viele Türken die Folgen der Wirtschaftspolitik Erdoğans. Vor einem Jahr verdienten Beamte ­umgerechnet mindestens 778 Euro im Monat. Ihr Gehalt wurde auf umgerechnet 577 Euro gesenkt. Bei steigenden Lebenshaltungskosten bedeutet das ein Absinken in die Armut.

Auch die Zahl der Touristen, für die Türkei eine wichtige Devisenquelle, ist leicht rückläufig. Dass die Bundes­regierung ihre Reisewarnungen nach dem Ende des Ausnahmezustands leicht entschärft hat, macht das Land für Urlauber nicht attraktiver. Nach wie vor warnt das Auswärtige Amt vor willkürlichen Verhaftungen deutscher Staatsbürger. Wer das Land bereist, solle sich zudem in ein elektronisches ­Er­fassungssystem eintragen, um im Krisenfall schneller konsularische Unterstützung zu erhalten.

Einer der wenigen Trümpfe, die Erdoğan derzeit noch hat, ist die Furcht der deutschen und anderer europäischer Regierungen vor weiteren Flüchtlingen. Die Türkei ist der Vorposten, der für die EU die Grenzen dicht machen soll. Das Elend der Flüchtlinge soll sich in der Türkei, im Libanon oder in Nordafrika abspielen, bloß nicht auf dem Hoheitsgebiet der EU. Auch deswegen hat die Bundesregierung wenig Inter­esse an einem weiteren Abgleiten der Türkei in eine Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Debatte über Mesut Özil kommt ihr da vielleicht gar nicht so ungelegen, lenkt sie doch von ihrer ­politischen Kungelei mit Erdoğan ab.