ექსტრემალური სპორტი - Extremsport im Selbstversuch: Wellness mit Schwefel

Ein fauliges Vergnügen

Schon bei Homer findet Schwefel Erwähnung als Medizin zur Behandlung von Wahnvorstellungen. In Tiflis wird das Schwefelbad arglosen Touristen als Wellness-Kur verkauft. Doch die vermeintliche Wohlfühlbehandlung hat es in sich.

Wer in Tiflis die Metro benutzt, muss über eine lange steile Rolltreppe hinab in den Untergrund fahren. Der sich rasch einstellende Schwefelgeruch und die immer schummriger werdende Beleuchtung legen die Befürchtung nahe, dass man sich vielleicht auf direktem Weg in die Hölle befindet. Tbilisi bedeutet zu Deutsch »warme Quelle«. Der Sage nach wurde die Stadt von König Wachtang I. vor gut 1 500 Jahren gegründet: Er war am Fuße eines Berges auf der Jagd und erlegte einen Fasan. Das Tier fiel in die heißen Schwefelquellen und wurde sofort gar gekocht und konnte verzehrt werden. In einer tierfreundlicheren Version der Geschichte fällt der verletzte Fasan ins Schwefelwasser und wird wieder putzmunter. Da Könige auch geschäftstüchtig sind, gründete Wachtang über den heißen Quellen eine Stadt.

Das Bäderviertel Abanotubani – von abano (Bad) und ubani (Bezirk) – liegt am Rande einer Schlucht im Zentrum der Altstadt. Dort wird das Schwefelwasser der bis zu 47 Grad Celsius warmen Quellen aus dem Berg Mtabori seit Jahrhunderten in den umliegenden Badehäusern genutzt.

Die ersten öffentlichen Badehäuser wurden Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet. Ein Besuch im Schwefelbad galt nicht nur der bloßen Körperreinigung. Die Bäder waren auch ein beliebter Treffpunkt und Ort sozialer Ereignisse, an dem Geschichten erzählt, Neuigkeiten ausgetauscht, Geschäfte gemacht und Heiratskandidaten begutachtet wurden.

Ein Bad im Schwefelwasser soll sich nicht nur wohltuend auf die Atemwege und die Durchblutung auswirken, ihm wird auch eine reinigende Wirkung auf Körper und Seele nachgesagt. Das Wasser tritt warm aus der Erdkruste aus und verfügt neben den Schwefelverbindungen über eine hohe Konzentration von Mineralien. Die über die Haut eindringenden Schwefelverbindungen wirken entzündungshemmend und schmerzstillend. Nach durchgefeierten Nächten verspricht das warme Wasser Erholung und Entspannung.

Ein georgisches Schwefelbad ist keine Komfortzone. Die Gäste unterwerfen sich hier einer zupackenden Behandlung, bei der man am Ende froh ist, sie heil überstanden zu haben.

Die Badehäuser zeichnen sich durch runde Kuppeln aus, sind im Inneren reich verziert und mit Marmor ausgekleidet. Jede Kuppel gehört zu einer Badestube, die man einzeln oder als Gruppe mieten kann. In der Basisversion beinhalten die Räume ein Schwefelbecken und eine Dusche, mittlerweile kann man in manchen Badehäusern aber auch ganze Suiten mit Sauna, Swimmingpool und Room­service mieten. In einigen Badehäusern gibt es auch noch die früher üblichen öffentlichen, nach Geschlechtern getrennten Badesäle. In den Räumen legt man sich in das zwischen 37 und 47 Grad Celsius warme, stinkende Wasser. Wer Russisch oder Georgisch spricht, dem wird erklärt, dass ein heißes Schwefelbad nicht länger als 20 Minuten dauern sollte. Wem diese Information entgeht, dem wird bald angenehm schwindlig.

Ein georgisches Schwefelbad ist allerdings keine Komfortzone. Die Gäste unterwerfen sich hier einer zupackenden Behandlung, bei der man am Ende froh ist, sie heil überstanden zu haben. Die unter vollem Körpereinsatz ausgeführten Massagen waren bereits im 19. Jahrhundert berüchtigt. Heutzutage wird die Hardcore-Variante bei Touristen zumindest nicht mehr praktiziert.

Wenn sich schließlich der Kreislauf nach einigen Minuten im heißen Schwefelbad zu verabschieden droht, hämmert es an der Tür. Was folgt, lässt sich eher als Waterboarding denn als Wellness-Prozedur beschreiben. Eine kräftige und resolute Frau im rosaroten Bademantel tritt ein. Sie trägt einen Plastikeimer, Seife und einen harmlos wirkenden Handschuh. Mit Schwung entledigt sie sich des Bademantels und steht in BH und Unterhose im nebligen Raum.

Am Handgelenk führt sie die arglosen Entspannungssuchenden in den Nebenraum. Massiert wird auf einer gekachelten Stufe, auf der man zunächst sitzen und später liegen soll. Doch zuerst kommt der Handschuh zum Einsatz. Das Instrument bestand früher aus Ziegen- oder Pferdehaar, heutzutage ist es ein grober Baumwollhandschuh. Mit viel Kraft und Schwung schrubbt die ­Badefrau kleine braune Röllchen vom Körper. Nach kurzer Zeit beginnt die Prozedur, ein wenig schmerzhaft zu werden. Denn was aussieht wie die Reste eines alten Radiergummis, ist kein Dreck. Es handelt sich um abgelöste Hautschichten. Die verbliebene Haut rötet sich leicht, ein sanftes Brennen stellt sich ein. Kein Grund zum Aufhören. Sanftes Peeling? Fehlanzeige!

Unerwartet gießt die Frau den ersten Schwall warmen Schwefelwassers über Kopf und Rücken. Glücklich, wer den Mund in diesem Augenblick geschlossen hält. Danach ist der Weg frei für die Seife. Literweise wird Duschgel in einen großen Baumwollsack gegossen. Die Badefrau pustet ein paarmal in ihren überdimensionierten Waschlappen, schüttelt ihn und schäumt Körper und Gesicht ein. Auch hier gilt: Besser Mund und Augen geschlossen halten. Dann reinigt sie alle Stellen des Körpers gründlich. Ohne Scheu vor ­Geschlechtsteilen seift die Badefrau wirklich jeden Winkel des Körpers ein, bevor es zur Massage geht.
Früher liefen die georgischen Masseure ihren Patienten mutmaßlich noch über den Rücken und fügten ihnen schmerzhafte

Dehnungen zu. Glücklicherweise wird diese Marter nicht mehr praktiziert. Nur die letzte Runde Waterboarding erinnert noch an die ehemaligen Prozeduren. Mit einigen Eimern warmen und zum Schluss noch einem großen Schwall kalten Wassers beendet die Badefrau den höllischen Spaß.

Am Ende torkelt man erschöpft und durchgewalkt, aber glücklich aus dem Badehaus. Die Haut fühlt sich glatt und geschmeidig an. Übrigens ist auch ein heißer Sommertag kein Hindernis für einen Besuch im Schwefelbad. Im Gegenteil, die Hitze draußen erscheint dann im Vergleich zu jener drinnen angenehm frisch.