Stefan Meining, Historiker, im Gespräch über die Entstehung der ersten Organisationen des politischen Islam in Deutschland

»Ungestört und unbeobachtet«

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Interview Von

Ein zentrales Thema Ihres Buches ist die Frühgeschichte der Isla­mischen Gemeinschaft Deutschlands (IGD), einer der wichtigsten islamistischen Organisationen in Deutschland. Die IGD ist ein Gründungsmitglied des Zentralrates der Muslime. Es gab bei der IGD und der Freimanner Moschee immer wieder Querverbindungen zur Muslimbruderschaft.
Eine wichtige Person für die Entstehung der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands – wie auch für den ­politischen Islam in Europa – ist Said Ramadan. Sein Schwiegervater ­Hassan al-Banna war übrigens Begründer der Muslimbruderschaft, ­einer seiner Söhne ist der Islamwissenschaftler Tariq Ramadan. Als Freiwilliger in den jordanischen Einheiten versuchte Said Ramadan, die israelische Staatsgründung zu verhindern. Schließlich kam er nach Europa, da er in seiner Heimat Ägypten als Muslimbruder mit Verhaftung und Verfolgung rechnen musste. In Europa schuf er mit enormem strategischen Denken unter den Augen der Behörden Strukturen, die bis in die heutige Zeit nachhaltig wirken. Als islamischer Internationalist war Said Ramadan für Studenten, die in den fünfziger und frühen sechziger Jahren in die Bundesrepublik kamen, ein Vorbild. Ramadan fungierte bereits zu dieser Zeit als Organisator und Führungsfigur der Muslimbruderschaft. Er war zentral daran beteiligt, die Münchener »Moscheebau-Kommission« zu gründen – die später in »Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland« und 1982 in Islamische Gemeinschaft Deutschland umbenannt wurde.

Welche Rolle spielten dabei ehemalige Wehrmachts- und SS-­Angehörige?
Strukturell betrachtet ist die IGD ein Produkt der Zuwanderung muslimischer Studenten aus der islamischen Welt wie auch der Relikte der NS-Freiwilligenbewegung. Seit den frühen sechziger Jahren spielen die ehemaligen Angehörigen von Wehrmacht und SS jedoch keine Rolle mehr. In den Anfängen der IGD und für die Moscheebaukommission hatten Verbindungen aus der NS-Zeit jedoch eine wichtige Bedeutung. So etwa zum bereits erwähnten Theodor Oberländer, der 1923 am Hitlerputsch teilgenommen hatte, Wehrmachts­offizier war und als völkischer Revisionist des Friedensvertrags von Versailles und politischer Nationalitätenforscher eine Neuordnung des »­Ostraums« verfolgte – in den Worten von Götz Aly: ein »Vordenker der Vernichtung«.

Welche Rolle hat Oberländer in den Anfängen des politischen Islam in Deutschland gespielt?
Von 1953 bis 1960 leitete Oberländer das Bundesvertriebenenministerium, in dem auch von Mende als Chef des Forschungsdienstes Osteuropa arbeitete. Das Bundesvertriebenenministerium war zentral daran beteiligt, mit Nurredin Nakib Chodscha Namangani einen ehemaligen SS-Soldaten zum »Hauptimam für die mohammedanischen Flüchtlinge« zu machen. Die Arbeit eines 1957 ­eigens dafür gegründeten islamischen Vereins wurde mit jährlich 21 000 DM aus Bundesmitteln unterstützt. Mit seiner Islampolitik zielte Oberländer darauf ab, die deutschen Vorkriegsgrenzen wiederherzustellen. Um irgendwann einmal wieder Schlesien, Ostpreußen und all die anderen »verlorene Gebiete« wiederzuerlangen, setzte Oberländer auf die »heimatlosen Ausländer« als Verbündete, auf Männer, die schon im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite gestanden und sich durch ihre Loyalität ausgezeichnet hatten.

In München trieb Namangani zusammen unter anderem mit Said Ramadan und Hassan Kassajep – der in der Wehrmacht als Major und Bataillonskommandant einer kaukasischen Freiwilligeneinheit Karriere gemacht hatte – den Bau einer Moschee in München voran. Letztlich scheiterte der Plan des Bundesvertriebenenministeriums, die »heimatlosen Ausländer« und arabischen Studenten in einer Gemeinde zusammenzufassen. Selbstüberschätzung und fehlendes Wissen über die Verbindungen der Studenten um Said Ramadan zur Muslimbruderschaft führten zum vorzeitigen Ende eines Projektes, den Islam in den Dienst der Wiedererstarkung zu stellen. Nach und nach verließen auch die deutschen Akteure wie Theodor Oberländer, der 1960 zurücktrat, die politische Bühne. Un­gestört und unbeobachtet konnten Said Ramadan, der die Leitung des Moscheebauprojektes übernahm, und seine Nachfolger dann ihre Netzwerke ausbauen.

Mit welchem Ergebnis?
1967 wurde der Grundstein für die Moschee in München-Freimann gelegt. Das Islamische Zentrum München war Sitz der IGD. Deren heutige Bedeutung ist das Ergebnis einer 50jährigen Aufbauarbeit prominenter Vertreter des politischen Islam. Strategisch ging es diesen Akteuren stets um die Verbreitung des Islam, verstanden als allumfassende Lebensordnung. Im Kalten Krieg sollte der Islam dem Westen als Waffe im Kampf gegen die Sowjetunion dienen. Doch die Muslime um Said Ramadan ließen sich nicht benutzen, sondern nutzten Freiräume und Freiheiten, die ihnen westliche Regierungen bereitwillig gegeben hatten. Sie agierten mit Flexibilität und Weitsicht – im Unterschied zu anderen islamistischen Fundamentalisten wie den Taliban.


Stefan Meining: Eine Moschee in Deutschland. Nazis, Geheimdienste und der Aufstieg des politischen Islam im Westen. Verlag C.H. Beck, München 2011, 316 Seiten, 19,95 Euro

 

Geändert am 10.09.2018 um 12