Otto und ´68. Zwei Ausstellungen im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe

Darauf einen Ostfriesentee

Fünfzig Jahre nach Achtundsechzig scheint jeder radikale Protest weitgehend folgenlos zu bleiben. Eine bunte Inszenierung von »68 – Pop und Politik« im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg erinnert an die politische Kraft einer Kulturrevolution. Wie gemütlich wenige Jahre später die Kulturkonterrevolution war, zeigt eine Ausstellung im selben Haus ein Stockwerk tiefer: »Otto. Die Ausstellung«.

Dass die sich Emanzipierenden immer schon etwas vom Emanzipierten vorwegnehmen müssen, um sich überhaupt emanzipieren zu können, ist für die Dialektik der Befreiung konstitutiv: Ob und wie die Selbstfreigabe bereits ein »freigegebenes« Selbst voraussetzt, ist seit der Französischen Revolution 1789 als Angelegenheit einer – so das von Lenin für die sozialistischen Bewegungen geprägte Wort – »Kulturrevolution« verhandelt worden. Gemeint ist damit nicht nur die Restitution der Menschen innerhalb der als »Kultur« bezeichneten Sphäre, sondern vor allem auch die Aneignung dieser Kultur und schließlich ihre Humanisierung: »Kultur« soll das Experimentierfeld sein, auf dem sich der »Neue Mensch« probieren kann, überdies der Ort für Keimformen der im Ganzen nur als Utopie zu entwerfenden Gesellschaft menschlicher Zukunft.

Zugleich bildete die Kultur schon in der Hochzeit des bürgerlichen Zeitalters ein eigenständiges Welt- und Wertereich, in das sich Emanzipationsbestrebungen ästhetisch ­verhüllt und geschmackvoll aufgehübscht abschieben lassen: Der ­»affirmative Charakter der Kultur«, wie ihn Max Horkheimer und Herbert Marcuse beschreiben, gestattete es, die Idee der Weltveränderung zu bewahren, ohne die Welt tatsächlich zu verändern.

Gerade im und als Pop konnte auch die emanzipatorische Dynamik der Kultur reaktiviert werden: Dies verlieh allen möglichen Artefakten einen radikalen, revolutionären Schein.

Dass die hehren Ideen der Weltveränderung nicht nur das Elend zu ­kaschieren, sondern sogar die Verhältnisse, die dieses Elend bedeuten, zu stabilisieren vermögen, kennzeichnet indes jene Formation der Kultur, die einst im 19. Jahrhundert aus dem Wechselspiel von Hoch- und Massenkultur hervorging und sich im 20. Jahrhundert mit der ­Entwicklung von Kino und Konsumgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und noch in dessen Schatten schließlich als »Pop« konsolidierte.

Unter dem Vorzeichen von Pop hatte sich in den sechziger Jahren eine spätkapitalistische Kulturindustrie vollends als »whole way of life« (so Raymond Williams nach ­einer Formulierung von T. S. Eliot) entfalten können, so dass nun erstmals größere Bevölkerungsgruppen, zumal das Proletariat und die Angestellten, ihr Leben als »kulturellen« Entwurf, also als ganze Lebensweise gestalten konnten; wobei »gestalten« dabei auch bedeutet, dass nunmehr als Pop-Lifestyle die »Veralltäglichung« von Kunst eine immer größere Bedeutung bekam – als Design. ­Bequem und gemütlich gestattet Pop seither »private«, individualistische Nischenlösungen für gesellschaftliche Probleme.

Gerade im und als Pop konnte allerdings auch die emanzipatorische Dynamik der Kultur reaktiviert werden. Dies verlieh allen möglichen ­Artefakten, Produkten und Ereignissen einen radikalen, revolutionären Schein, der schließlich in vielfältiger Weise zum symbolischen Ausdruck der mit der Jahreszahl »’68« verknüpften Proteste und ihren mal mehr, mal weniger subversiven Absichten wurde.

»’68« im Hinblick auf »Pop und Protest« ist nun Thema einer Ausstellung, die das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg präsentiert. Gezeigt werden Filme, Fotografien, Plakate, Kleidung, Möbel, Schallplattencover und dergleichen, verteilt auf zwei Raumbereiche, die als »Teil 1« und »Teil 2« unterschieden sind. Versucht wurde offenbar, die Banalität zu vermeiden, dass Pop ja irgendwie sowieso Protest sei: Die Ausstellung heißt weder »Pop als Protest«, noch »Protest als Pop«; und auch wenn sich der Sache nach und in Hinblick auf »’68« allemal Pop und Protest eben nicht trennen lassen, so zeigt Teil 1 der Ausstellung doch vorrangig »Protest«, während Teil 2 dem dezidierten »Pop« vor­behalten ist. Überdies wird in der Ausstellung auch darauf verzichtet darzubieten, wie um »’68« gelebt wurde (das ist in anderen Museumsabteilungen in der Dauerausstellung zu sehen). Gezeigt werden Exponate – dies allerdings nicht in der sonst üblichen White-cube-Atmosphäre, sondern in dunkel gestrichenen Räumen. Entgegen der Erwartung, beim Thema Pop eine fröhlich-bunte Welt präsentiert zu bekommen, ist hier nun der erste Eindruck düster: Auf wandfüllenden Videoprojektionen ist man zunächst mit der historischen Gewalt konfrontiert, mit dem Vietnamkrieg, dem Rassismus, dem Tod von Benno Ohnesorg und Martin ­Luther King, dem Attentat auf Rudi Dutschke, und beiläufig dudelt als Hintergrundmusik Bob Dylans »The Times They Are a-Changin’«, wie eine Kaufhausmusik mit falschem Glücksversprechen.

Im nächsten Bereich gibt es Jean-Luc Godard (»La Chinoise«, 1966), Andy Warhol, aber auch Harun Farocki (»Die Worte des Vorsitzenden«, 1967), Helke Sander (»Subjektitüde«, 1966), das berühmte Transparent »Unter den Talaren – Muff von 1 000 Jahren« und den »Rechenschafts­bericht des Weiberrats« mit der klugen Parole: »Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!« Sander hat mit den Tomatenwürfen auf die SDS-Männerriege 1968 die Frauenbewegung korrekt radikalisiert; allerdings werden in der Ausstellung solche Ein­blicke in Weg- und Unwegsamkeiten des Protests leider weitgehend aus­gespart.

Im Mittelpunkt des Raums – und damit zentral im Teil 1, »Protest«: Alexander Kluges »Abschied von gestern« (1966), eine große Wand voller Plakate vom französischen Mai ’68, und – als Endpunkt in mehrfacher Hinsicht – Michelangelo Antonionis »Zabriskie Point« von 1970. Auch hier überlagert Gewalt den Zusammenhang von Pop und Protest, nur diesmal, statt in eindringlichen Schwarzweißbildern, bunt, imposant, fast schon meditativ – zu sehen ist unter anderem die Schlusssequenz des Films: die Explosion der Villa, der in Zeitlupe durch die Luft fliegende Hausrat, Kühlschrank, Truthahn, Champagner. Die Explosion ist zunächst lautlos, dann setzt die Musik von Pink Floyd ein – eine Version von »Careful with that Axe, Eugene«.