Otto und ´68. Zwei Ausstellungen im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe

Darauf einen Ostfriesentee

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Der Protest endet hier; »Zabriski Point« ist so in der Ausstellung ein point of no return (was ja frei übersetzt »nichts geht mehr« heißt), wie der Aussichtspunkt Zabriskie Point in der Wüste von Nevada, im Death Valley, irgendwo im Nirgendwo. Und trotzdem muss man wieder zurückgehen, muss umkehren, um zum Teil 2, nämlich zum expliziten Pop-Teil der Ausstellung zu gelangen. Betritt man dort den ersten Raum, wird es sofort bunt: Jane Fonda ist Barbarella im gleichnamigen Film von Roger Vadim (1968); »Barbarella psychadela« besingen The Glitterhouse im Titelsong von Bob Crewe und Charles Fox. Waren die Orte des Protests real – Paris, Hamburg, Berkeley, Vietnam, »Die Straße ist unser Medium« (Peter Weiss) –, so scheinen die Orte des Pop imaginär. »Space Age Design« ist jetzt die Überschrift, »Im Rausch der Werbung« ist zu ­lesen, man ist im Reich der Mode: Paco Rabanne und Mary Quant, Pierre Cardin und André Courrèges, F. C. Gundlach fotografiert Grace Coddington, Jumpsuits und Minikleider aus Spiegelpailletten, dazu die ­Plastik- und Fiberglasmöbel von Eero Aarnio (»Pastilli«-Halbkugelsitz) oder Henrik Thor-Larsen (»Ovalia« – Stuhl in Eiform).

Im nächsten Raum gibt es Musik zu hören und zu sehen: psychedelisch-grelle Konzertplakate und Schallplattenhüllen von britischen und US-amerikanischen Rockbands der späten Sechziger. Ein Schwerpunkt ist das Monterey Pop Festival 1967, von dem auf einer großen Leinwand Ausschnitte gezeigt werden. Davor befindet sich eine Liegefläche aus Kissen, die zum Verweilen einladen soll.

Zu sehen: der Auftritt von Hugh Masekela mit »Bajabula Bonke ­(Healing Song)«. Die Botschaft der Heilung erweitert und verkürzt zugleich die konkreten politischen Ziele des Protests. Was sich spätestens jetzt gewissermaßen als Subtext der Ausstellung, ja vielleicht Subtext der Achtundsechziger-Geschichte ­überhaupt abzeichnet und lesbar wird: wie disparat gerade mit der ­Kulturrevolution, die »’68« bedeuten wollte und bedeuten sollte, »Bild« und »Begriff« auseinandergetreten sind, so dass aus Pop und Protest schließlich Pop versus Protest wurde.

Pop ist ja die erste kulturelle Forma­tion, die ihre Begriffslosigkeit vollkommen und offensiv einer überbordenden Bilderordnung überantwortet. Die fast schon hysterischen Inszenierungen spektakulärer Images sind gerade von der Zeit um 1968 nicht wegzudenken, und zwar gleichermaßen auf Seiten des Protests wie auf Seiten der Einverständnisses; und der Pop bildet selbst für die ­Extreme der beiden Seiten die allgemeine Matrix. Die Kulturrevolution ist bloß noch die kulturelle Revolution der Hippies, die eine Art Avantgarde bildeten, was die in den Siebzigern sich allgemein durchsetzende Integration von Subversion und Dissidenz in den spätkapitalistischen Normalbetrieb angeht.

Die Dialektik der Befreiung war als Projekt der Welt- und Selbstveränderung stillgestellt; übersetzt als folgenlose Empfehlung zur Selbstverwirk­lichung konnte sie dennoch weitergehen. Und sie ging auch weiter. Aus der alten  humanistischen Direktive »Die Freiheit führt das Volk« wird die humoristische Parole »Die Freizeit führt das Volk«; Otto Waalkes hat sich selbst als Freizeitführer ­gemalt, der durch eine Menge lustiger Ottifanten schreitet. In der einen Hand hält er eine Teekanne.

Und dazu prangt auf dem Bild von 2013 der Spruch »Egalité Liberté Ostfriesentee«.

»Otto. Die Ausstellung« gibt es im Stockwerk unter »68. Pop und Protest« zu sehen: Und das sind zum einen Bilder aus den vergangenen Jahren, Hommagen und Verballhornungen bekannter Gemälde und berühmter Künstler – von Caspar David Friedrich bis Keith Haring, von Franz Marc bis Charles M. Schulz (Snoopy), von Katsushika Hokusai, in dessen Wellen Otto einen Ottifanten surfen lässt, bis zum »Dalifant« und zu »Otti-Wan Kenobi«. Zum anderen sind das die Fernseh- und Plattenproduktionen der Siebziger – und insbesondere hier lässt sich gleichsam der Teil 3 von »Pop und Protest« entdecken, die Dialektik der Befreiung mit falscher Synthese: Otto lieferte das ­aufgeklärte Abendprogramm für die abgeklärten Post-Achtundsechziger. Man will seine Ruhe, aber trotzdem seinen Spaß; immerhin hat man sich das Farbfernsehgerät einiges kosten lassen. Die Otto-Show 1973 hat schon 15 Prozent, weitere Shows haben mitunter 20 Prozent, einmal sogar 44 Prozent Einschaltquote. Otto hampelt auf der Bühne, präsentiert ­Kalauer und Klamauk, was mal verklemmt-sexistische Zoten sind, dann aber immer wieder auch gut grotesker Polit-Ulk. Ottos früher Rap »Dubček, Dubček, Dubček, Mao Tse-tung, King Kong, Idi Amin« ist ein Klassiker, berechtigterweise auch deshalb, weil mit solcher Form die Banalisierung jedweden politischen Inhalts antizipiert wird.

Die »68«-Ausstellung zeigt Pop und Protest als Extreme kultureller Innovationen, die sich Ende der Sechziger zu berühren schienen. Die Dialektik der Befreiung entfaltete sich damals in neuen Bedürfnissen, artikulierte sich als Forderung nach ihrer Befriedigung – auch soweit, dass die Befriedigung der Bedürfnisse selbst zum Bedürfnis wurde. Marcuse entdeckte darin die ästhetische, ja erotische ­Dimension einer neuen Sensibilität der politischen Bewegung. Seine These, die er im Juli 1967 auch auf dem Londoner Kongress »Dialectics of Liberation« vortrug: Der Spätkapitalismus erreicht mit der Überfluss­gesellschaft ein Stadium, in dem eine radikale Befreiung, nämlich eine ­Befreiung vom Kapitalismus möglich wäre; eben diese Möglichkeit revolutionärer Humanisierung der Gesellschaft wird aber von der Überflussgesellschaft selbst absorbiert; in Pop und Protest kristallisierten sich die Möglichkeit der »echten Befreiung« (Marcuse) und zugleich die mobilisierten Abwehrkräfte des Kapitalismus, um diese Befreiung zu ver­hindern – ohne sie als Idee, als Vorstellung aufzugeben.

Die Bilder von Pop und Protest wurden zu Ideologemen, die Dialektik der Befreiung wurde – gerade vermittels der Verallgemeinerung einer Pop- und Protestkultur – kontaminiert durch das, was Peter Brückner Anfang der achtziger Jahre »Nivellement« nannte: eine Angleichung der Lebensweisen.
Derart konnte eine »kulturelle« Einebnung der Klassenverhältnisse ­inszeniert werden, die Kulturrevolution wurde zur bloßen kulturellen Revolution – ständig neue Gadgets, neue Tapeten, neue Moden und neues Programm. Das Insistieren auf Klassenverhältnissen wurde der Kunst überlassen: Danièle Huillet und Jean-Marie Straub drehten 1984 nach Kafkas »Amerika«-Roman den Film »Klassenverhältnisse«, der in Hamburg spielt. Zu diesem Film und ­seinen Entstehungsbedingungen ist ein paar Hundert Meter und fünf Jahrzehnte vom Museum für Kunst und Gewerbe entfernt im Kunstverein in Hamburg gerade eine Ausstellung zu sehen.

 

»68. Pop & Protest« Bis 17. März 2019
»Otto. Die Ausstellung« Bis 17. Februar 2019

Beide Ausstellungen sind im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen.