Essay - Isaac le Maire war der Erfinder der ungedeckten Leerverkäufe

Glanz und Elend des ersten Aktionärs

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Als zweitgrößter Anteilseigner avancierte le Maire zum Mitglied des VOC-Vorstands und wurde einer der Direktoren der Amsterdamer Niederlassung –und damit einer der 17 Direktoren, die die Geschicke des Unternehmens maßgeblich steuerten. Sie legten fest, welche Waren importiert und exportiert werden mussten, bestimmten die Größe der Handelsflotte und entschieden, wie hoch die auszuzahlenden Dividenden an die Anteilseigner sein würden. Der Posten in der VOC wurde nicht nur sehr gut bezahlt, sondern bot ­neben hohem gesellschaftlichen Ansehen auch die Möglichkeit zu einträglichen Nebengeschäften.

Aber dann endete im Jahr 1604 le Maires Höhenflug ganz plötzlich. Was genau passiert war, lässt sich aus den erhalten gebliebenen Dokumenten nicht mehr genau nachvollziehen. Historiker gehen davon aus, dass der Kaufmann seine VOC-Kompagnons betrogen hat. Einen wirk­lichen Beleg dafür gibt es allerdings nicht. Und deswegen kann es genauso gut sein, dass le Maire unschuldiges Opfer einer Intrige geworden ist – sein Aufstieg war schließlich rasant und hatte sicherlich auch Neider auf den Plan gerufen.

Das, was le Maire bis ans Ende seines Lebens beschäftigen sollte, begann am 17. Juni 1602 mit einer Expedition. Jeder der 17 Direktoren der VOC, so die Historikerin Mirjam Janssen, hatte damals die Aufgabe, die Ausrüstung eines Schiffs zu finanzieren. Gleichzeitig konnte er für diese Investition eine große Provision verlangen. Le Maire, so der Vorwurf, hatte zwar Kosten für Takelage geltend gemacht, allerdings keine Beweise wie Rechnungen dafür, dass die Ausgaben auch tatsächlich angefallen waren.

Bei dieser Handelsreise gibt es ­einige Ungereimtheiten: Die Entscheiung für die Expedition fiel beim ersten Treffen der Vorstände im April 1602, aber die Frist für die Einzahlungen der Finanziers hatte bereits wesentlich früher, nämlich am 20. Mai 1601, begonnen. 1,7 Millionen Gulden kamen schließlich ­zusammen, notiert wurden jedoch nur die Namen der sich beteiligenden Herren und nicht die weiterer Investoren. Am 17. Juni segelten acht Schiffe, jedes mit vier Kanonen ausgestattet, aus dem Hafen von Texel, drei weitere folgten erst einen Tag später.

Die Expedition startete mit Schwierigkeiten. Kapitän Wybrand van Warwijck hatte von Anfang an mit widrigen Winden zu kämpfen, zudem stellte sich später heraus, dass er keine Erfahrung mit dem Segeln während der Monsunzeit hatte. Auf Java gründete er zunächst erste holländische Niederlassungen und wollte 1604 mit zwei Schiffen nach China weiterreisen, um Handelsbeziehungen aufzubauen. Die chinesischen Behörden verweigerten jedoch trotz angeblich »riesiger« Bestechungszahlungen ihre Zustimmung und schickten 50 Dschunken, um die seefahrenden Händler aus dem Hafen zu vertreiben. Lediglich in Thailand war man sehr erfolgreich und konnte nicht nur Seide kaufen, sondern auch die dortige Königin dazu bringen, die Holländer gegen die Portugiesen zu unterstützen.

Über den finanziellen Erfolg der Reise ist wenig bekannt, er muss sich aber in Grenzen gehalten haben. Vor der Rückkehr der Schiffe nach rund zwei Jahren waren ihre Aktien zwar rege gehandelt worden, weil ­allgemein große Gewinne erwartet wurden, aber die VOC kam ihren Verpflichtungen nur zögerlich nach. Im Juni 1609 waren nur 25 Prozent der investierten Summe zurückgezahlt worden, einen Monat später entschied die Kompanie, künftige Dividenden in Geld oder Pfeffer auszuzahlen – insgesamt sollen lediglich 65 Prozent zurückerstattet worden sein.

Der Streit zwischen le Maire und der VOC über den angeblichen Ausrüstungsbetrug wurde derart intensiv und vor allem öffentlich geführt, dass sich schließlich sogar die oberste religiöse Institution der Stadt, der Kirchenrat, einschaltete und zu vermitteln versuchte. Am 23. Dezember 1604 kam er zu folgendem Ergebnis: In der ganzen Stadt würden sehr unerfreuliche Gerüchte über Isaac le Maire verbreitet, über deren Wahrheitsgehalt allerdings nichts weiter bekannt sei. Daher werde man mit ihm das Gespräch suchen. Bis zur Klärung des Falls sollte er, einem vom Historkier Lodewijk Petram gefundenen Dokument zufolge, allerdings vom Abendmahl ausgeschlossen werden, was den sehr gläubigen Issac wohl tief getroffen haben dürfte.

Ein Pastor namens Plancius und sein Amtsvorgänger Philips Cornelisz wurden mit der Untersuchung beauftragt, die allerdings ergebnislos endete. Die beiden Würdenträger hatten zwar herausgefunden, dass zwischen den von seinen ehemaligen VOC-Kollegen vorgebrachten Beschuldigungen und den Schilderungen le Maires eine sehr große Diskrepanz bestand, und sie scheinen auch le Maires Standpunkt durchaus zugeneigt gewesen zu sein. Über etwaige weitere Untersuchungen existieren allerdings keine Aufzeichnungen mehr. Anderthalb Jahre später versetzte le Maire die Kirche in Aufregung: Er hatte eine seiner Töchter einem jungen Mann aus dem mittlerweile katholischen Antwerpen versprochen, sie würde künftig auch dort wohnen. Von gleich zwei Pastoren wurde der Kaufmann Kirchenbüchern zufolge deswegen streng ermahnt.

Die Takelagenaffäre zog sich unterdessen weiter hin. Der Historiker Petram geht davon aus, dass der Kaufmann Kontofälschung betrieben hatte. Einen wirklichen Beleg dafür gibt es allerdings nicht – außerdem war das fragliche Schiff ganz sicher mit neuer Ausrüstung losgesegelt, denn die Expedition war ein großes Ereignis, bei deren Auslaufen viele Menschen zuguckten, denen Second-hand-Segel sicher aufgefallen wären. Die Frage war eigentlich nur, wer die Takelage bezahlt hatte. Ein Verhör durch die Amsterdamer ­Regierung brachte kein Ergebnis, weil die anderen Direktoren die ­Kooperation verweigerten. Warum sie das taten, ist nicht bekannt. Zu ­einer geregelten Buchführung und zur Archivierung der Reiseberichte wurden sie allerdings erst ab dem Jahr 1617 verpflichtet – insofern hätten sie auch gar keine Belege für ihre Anschuldigungen präsentieren können.

Gleichwohl wurde le Maire am 22. Februar 1605 von der VOC gezwungen, als Direktor zurückzutreten. Er musste sich verpflichten, keinen Handel östlich des Kaps der Guten Hoffnung zu treiben. Außerdem war es ihm untersagt, mit seinen Schiffen auf dem Weg nach Westen die Magellanstraße zu benutzen. Privatpersonen und Unternehmen durfte er zudem keinerlei Ratschläge für den Handel mit Ostindien geben. Als Sicherheit musste er einige seiner Ländereien an die VOC übergeben. Dass die Verurteilung ohne Beweise erfolgen konnte und ein Teil der ­Sicherheitszahlung in die Taschen der VOC-Führung floss, entsprach dem Rechtsverständnis jener Zeit. Gleichwohl dürften diese Sanktionen der Grund für le Maires lebenslange Opposition gegen die mäch­tige Ostindien-Kompanie gewesen sein.
Zunächst konzentrierte sich der Kaufmann allerdings nur auf den Getreidehandel mit europäischen Küstenstädten. 1608 sah er dann die Gelegenheit gekommen, sich erstmals an der VOC zu rächen.

Der französische König Heinrich IV. ­hatte schon seit längerer Zeit mit einer eigenen ostindischen Handels­gesellschaft gelieb­äugelt, es fehlte allerdings das Know-how. Erste Unterredungen mit bekannten holländischen Kaufleuten wie Balthazar de Moucheron und Pieter Lyntgens ­waren ergebnislos verlaufen. Der Jurist Pierre Jeannin, der 1572 versucht hatte, das Massaker in der Bartolomäusnacht zu verhindern, wurde schließlich als Finanzintendant mit dem Projekt betraut, und nahm Kontakt zum in Ungnade gefallenen Isaac le Maire auf.

Damit begann für le Maire eine Zeit, in der er sich wie in einem Agentenkrimi gefühlt haben würde, wenn es damals schon Agentenkrimis gegeben hätte. Es wurde spioniert, Vertrauen gebrochen und mit hinterlistigen Tricks gearbeitet, bestochen, beschattet und intrigiert.