Essay - Isaac le Maire war der Erfinder der ungedeckten Leerverkäufe

Glanz und Elend des ersten Aktionärs

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Die Entdeckung einer neue Passage bot nur Vorteile: Le Maire würde nicht nur zu weltweiter Berühmtheit gelangen, sondern auch der VOC unglaublich auf die Nerven gehen können. Denn er würde eine solche Route für Handelsreisen nutzen können, ohne gegen die Vereinbarungen mit der Kompanie zu verstoßen. Außerdem hoffte er, dass es nahe Südamerika ein Zuidland, ein großes südliches Land, geben würde und er eine Handelsroute dorthin begründen könne.

Im Jahr 1614 gründete er deswegen die »Austraalse Compagnie«, die unter Führung seines Sohns Jacob und des Kapitäns Willem Cornelisz Schouten die Entdeckungsreise organisieren sollte. Le Maire gab ihnen klare Anweisung: Falls keine neue Route gefunden wurde, war es unter allen Umständen verboten, durch die Magellanstraße zu segeln.

Aber den Ostindien-Handel hatte er auch noch nicht aufgegeben: Sowie die Expedition dort ankäme, so seine Order, müsse sein Sohn Jacob alles daran setzen, den dortigen Gouverneur Gerard Reynst zu umschmeicheln und ihn gegebenenfalls um die Hand einer seiner Töchter zu bitten. Falls Reynst dann entscheiden würde, dass le Maire künftig mit Ostindien handeln dürfe, wäre viel erreicht, und das nicht nur geschäftsmäßig, denn das würde für großen Ärger innerhalb der VOC-Führung sorgen.

Am 14. Juni 1615 segelten die Schiffe »Eendracht« und »Hoorn« aus dem Hafen von Texel. Einerseits wurde die Reise ein Erfolg, denn durch diese Expedition wurde die Route um Kap Hoorn (nach dem Schiff benannt) entdeckt. Andererseits war sie ein Fiasko. Gouverneur Reynst war bereits verstorben, als die beiden Schiffe in Ostindien ankamen, so dass aus den großen Plänen le Maires nichts wurde.

Die VOC hatte außerdem vom Zweck der Reise erfahren und erwirkt, dass die »Eendracht« und die »Hoorn« unmittelbar nach dem Einlaufen ­beschlagnahmt werden sollten, was allerdings nur halb gelang, weil die »Hoorn« zuvor auf See in Brand geraten und gesunken war.

Während Teile der Besatzung in Jakarta blieben, wurden Jacob le Maire und Kapitän Schouten am 15. Dezember zurück nach Holland geschickt. Auf ihre Proteste wurde ihnen lediglich geantwortet, die Antworten auf alle ihre Fragen würden sie in Amsterdam finden. Jacob, der zumindest nach seiner Verhaftung in Ketten gelegt worden war, starb allerdings während der Überfahrt, über die Todesursache des 31jährigen ist nichts bekannt.

Aber die VOC war mit den le Maires noch lange nicht fertig: Unter den in ihrem Auftrag beschlagnahmtem Inventar befand sich auch das Schiffsjournal der »Eendracht«. Und dieses wurde benutzt, um das zu schaffen, was heute »alternative Fakten« genannt wird. Die Geschichte wurde umgeschrieben: Nachdem der Name von le Maires Sohn aus dem Journal entfernt worden war, ver­öffentlichte die Gesellschaft das Schiffsbuch und präsentierte Kapitän Schouten als alleinigen Entdecker der Route um Kap Hoorn.

Isaac le Maire war jedoch keinesfalls dazu bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Er klagte – und gewann. Mehrmals. 1619 urteilte ein Gericht, dass die »Eendracht« und die Schiffsbücher unrechtmäßig beschlagnahmt worden seien. 1622 wurde le Maire Schadenersatz zugesprochen.

Die wahre Geschichte jener Reise scheint damals weltweit noch lange Aufsehen erregt zu haben. In der 1741 auf deutsch erschienenen »Allgemeine Staats- Kriegs- Kirchen- und Gelehrten-Chronicke«, Band zehn, wird sie ausführlich über mehrere Seiten erzählt.

Mit Gerechtigkeit für Isaac le Maire endeten die Prozesse jedoch nicht. Den ersehnten Ostindien-Handel durfte der Kaufmann nicht wieder aufnehmen, obwohl gerichtlich festgestellt wurde, dass er das Recht habe, um Kap Hoorn zu segeln.

Isaac le Maire starb drei Jahre nach seiner Frau Maria am 20. September 1624. Auf seinem Grabstein stand, neben weiteren Lebensleistungen: »Hier liegt begraben Sr Isaac Lemaire, der durch sein Handeln mit den meisten Teilen der Welt von Gott dem Herrn so reichlich gesegnet worden ist, dass er innerhalb von 30 Jahren (außer der Ehre) mehr als 150 000 Gulden verlor.« Das war damals eine gewaltige Summe, gleichwohl entsprach die Zahl auf dem Grabstein nicht den Tatsachen: In Wirklichkeit waren es 1,5 Millionen gewesen (zum Vergleich: ein Gulden entsprechen nach heutigem Wert 60 US-Dollar). Historiker gehen davon aus, dass die Graveure einfach eine Null vergessen hatten – eine später angefertigte Abbildung des Steins gibt den Historikern recht, denn darauf ist zu sehen, dass die fehlende Null wohl nachträglich in den Betrag gequetscht wurde.