Essay - Isaac le Maire war der Erfinder der ungedeckten Leerverkäufe

Glanz und Elend des ersten Aktionärs

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Le Maire gab schließlich alles zu und begründete seinen Schritt unter anderem mit der großen Familie, die er zu versorgen habe. Und, natürlich, mit dem Unrecht, das ihm von Seiten der VOC angetan worden sei. Weitere Konsequenzen gab es zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht, Historiker nehmen an, dass die Republikführung wegen des Achtzigjährigen Krieg keinen Konflikt mit Frankreich riskieren wollte. Die geplanten Leerverkäufe hatten dagegen sehr wohl ein Nachspiel, le Maire wurde gezwungen, auf seinen Amsterdamer Grundbesitz zu verzichten. Er verließ die Stadt und zog nach Egmond aan den Hoef, wo er ausgiebig darüber nachdachte, wie er der VOC am besten schaden und ihr Monopol durchbrechen könne.

Le Maires Träume von einer französischen VOC-Konkurrenz endeten im Frühjahr 1610 ohnehin. Und zwar mit einem Königsmord: Henri IV, auf Deutsch Heinrich IV. von Navarra genannt, hatte bis dahin bereits 17 Attentate überlebt. Dass er ein ehemaliger Calvinist war, der zum Katholizismus übergetreten war, hatte vor allem das Misstrauen von Anhängern des Papstes geweckt, die ihm nicht trauten.

Am 14. Mai 1610 wurde er von ­einem fanatischen Katholiken, dem Mönch François Ravaillac, in Paris unter etwas mysteriösen Umständen umgebracht. Der Attentäter hatte die Entscheidung des Monarchen, die Spanischen Niederlande zu überfallen, als Kriegserklärung an den Papst interpretiert und sich sozusagen in göttlichem Auftrag zum Königsmord entschieden.

Der erste König aus dem Hause Bourbon war am letzten Tag seines Lebens in einer Kutsche unterwegs zu seinem engen Freund, dem erkrankten Offizier und Staatsmann Maximilien de Béthun. Die Karosse hatte auf ihrem Weg zum Quartier de l’Arsenal in der engen rue de la Ferronnerie wegen eines Staus angehalten. Die meisten Begleiter Henris verließen deswegen kurz das Gefährt, so dass er fast allein zurückblieb. Diesen Umstand nutzte der ­Attentäter, um in die Kutsche zu springen und Henri zu erstechen.

Seine Ehefrau Maria de’ Medici führte nach dem Mord für den gemeinsamen, damals neun Jahre ­alten Sohn und Thronfolger Ludwig XIII. bis zu dessen Volljährigkeit die Regierungsgeschäfte – ganz zufällig war sie einen Tag zuvor nach langem Drängen zur Königin gekrönt worden. Und sie revidierte Henris Entscheidung, sich gegen Spa­nien zu stellen, umgehend.

Für le Maire muss diese Entwicklung ein schwerer Schlag gewesen sein, schließlich hatte er große Hoffnungen in das französische Projekt gesetzt. Sein Kontrahent Aerssen blieb in Paris, bis er 1613 abberufen wurde, weil er gegen die Anweisungen von van Oldenbarnevelt Kontakt zu den Hugenotten aufgenommen hatte. Zurück in Holland begann Aerssen einen Rachefeldzug gegen seinen ehemaligen Mentor, der den von le Maire gegen die VOC vor allem in tödlicher Entschlossenheit weit übertraf. Zu dieser Zeit gab es in der Republik schwere Differenzen zwischen zwei protestantischen Glaubensrichtungen, was in letzter Konsequenz zur überraschenden Hinrichtung van Oldenbarnevelts im Jahr 1619 führte.

Der Kaufmann le Maire las in ­dieser Zeit wohl hauptsächlich Reiseberichte, denn er kam zu dem Schluss, dass es eine noch unentdeckte Passage zwischen dem Atlantik und dem Pazifik geben müsse, die, ganz wichtig, südlich der Magellanstraße läge.

Außerdem hatte er während seines Aufenthalts in Paris viel von Richard Hakluyt gehört, der die französische Hauptstadt besucht und sein zwischen 1598 und 1600 erschienenes dreibändiges Werk »English Navigations« vorgestellt hatte. Le Maire hatte diese Bücher gekauft und eingehend studiert, er verstand genügend Englisch, um die Schilderungen der Entdeckungsreisen von Sir Francis Drake und anderen zu verstehen und vor allem zu analysieren und mit Berichten anderer Seefahrer zu vergleichen.