Ein Besuch bei Zentren für abgeschobene Flüchtlinge in Honduras

Rückkehr ins Ungewisse

Seite 2 – Wieder klein anfangen
Reportage Von

15 Minuten später, nach einem schnellen Abschied von den Kollegen vom Roten Kreuz, ist sie am Bischofssitz in einer parkähnlichen Anlage außerhalb der Hauptstadt angelangt. Dort sitzt Nuñez neben dem Schreibtisch ihrer Kollegin und unterhält sich mit Héctor Pérez. Er ist ein Rückkehrer, dem der Orden helfen konnte. Einer derjenigen, die ohne die erhofften US-Dollar zurückkamen – aber auch ohne sein linkes Bein. »Ich bin vom Dach des Güterzugs gefallen, der mich nach Norden bringen sollte. La Bestia hat mir dann das linke Bein unterhalb des Knies abgetrennt«, erinnert er sich an seine Reise in Richtung USA. La Bestia (die Bestie) nennen die Migranten die Güterzüge, auf deren Dächern sie pro Etappe 20 Stunden und mehr ausharren, um weiter gen Norden zu kommen.

Schnell und billig an die US-Grenze gelangen, das wollte auch Pérez. Doch sein Traum endete auf offener Strecke in einem Wüstenstreifen bei Los Abejones im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Fast verblutet wäre der damals 17jährige, dem die Ärzte später noch den Oberschenkel bis zur Hüfte amputierten, denn das Bein hatte sich infiziert.

Es ist einer von Hunderten solcher Fälle, die Nuñez kennt. Sie ist für das Programm des Ordens für Migranten zuständig, die mit schweren Verletzungen wie Amputationen nach Honduras zurückkehren. Mehr als 700 Namen von Menschen, denen das Hilfsprogramm helfen konnte, stehen in ­ihrem Computer. Der heute 37jährige Pérez, ein kräftiger, großgewachsener Mann, ist einer derjenigen, die am längsten mit ihrer Behinderung leben. »1998, direkt im Anschluss an den Hurrikan Mitch, der Honduras und mehrere Nachbarländer verwüstete, bin ich losge­zogen. Ich wollte US-Dollar verdienen, um meiner Familie beim Wiederaufbau zu helfen. Ein Traum, der sich neben dem Gleis in Luft auflöste«, sagt der Mann, der in Tegucigalpa neben dem Einkaufszentrum »Premier« Handy­zubehör anbietet. Adapter, Kabel, Speicherkarten und Powerbanks hat er im Angebot, von dem Erlös konnte er bis vor kurzem leben. Das kirchliche Hilfsprogramm fördert die Gründung von Kleinstunternehmen, von der Schusterei bis zur pulpería, einem Tante-Emma-Laden. Rund 70 der geförderten Kleinunternehmen funktionieren. Darunter war auch der Laden von Pérez, nur haben ihm die mareros, Mitglieder einer kriminellen Jugendbande, im November 2017 die Tageseinnahmen und alle seine Waren abgenommen. »Seitdem habe ich nur noch ein knappes Angebot und muss mich durchschlagen«, sagt der zuckerkranke Fußballfan genervt.

Kicken trotz Amputation

Eine Invalidenrente oder irgendeine staatliche Unterstützung erhält er nicht. »In Honduras gibt es noch nicht einmal Medikamente im Krankenhaus. Selbst die Handschuhe für die Behandlung muss ich bezahlen«, kritisiert Pérez die Verhältnisse. Ohne die Hilfe seiner Mutter und später seiner Frau, die mit dem Verkauf von Tortillas Geld verdienen, wäre er kaum zurechtgekommen. Auch die Arbeit mit Nuñez hilft ihm. Bei »Conamiredis«, dem ­Programm für versehrte Migranten, arbeitet er seit rund sieben Jahren mit. Er hilft Neuankömmlingen, die ähnliche Erfahrungen wie er gemacht haben, beim Neustart, motiviert und sorgt für Kontakte. Sich nicht unterkriegen zu lassen, obwohl Behinderte in Honduras es sehr schwer haben, sei für ihn selbstverständlich. Jüngstes Beispiel ist die Gründung einer Fußballmannschaft mit ein paar Mitstreitern: »Alles Migranten, alle zurückgekehrt und alle mit einem Arm oder Bein weniger«, sagt Pérez in seiner direkten Art. Aus Kleinstädten wie El Progreso, La Ceiba oder Santa Rosa de Copán kommen die Kicker, aber auch aus den beiden Metropolen San Pedro Sula und Tegucigalpa. Rund um die Weihnachtstage steht ein erstes kleines ­Turnier mit anderen Versehrtenmannschaften an – für Pérez das Highlight zum Jahresende. Möglich gemacht hat das Nuñez. Sie hat über das Rote Kreuz Geld für die Trikots, spezielle Unterarmstützen, ein paar Bälle und für die Fahrten zum Training und zu den Spielen gesammelt.

Das Team von Kapitän Pérez hat das sehr motiviert und die Kicker haben sich einen aussagekräftigen Namen gegeben: »Conamiredis eben«, sagt ­Pérez und lächelt Nuñez zu, die gegenüber sitzt und mit Schwester Lidia ­gerade Organisatorisches besprochen hat. »Die Fußballmannschaft macht ­etwas sichtbar, das in dieser Gesellschaft bisher kaum sichtbar ist: Menschen mit Amputationen, die Sport treiben, sind hier etwas vollkommen Neues«, sagt die 35jährige Ordensfrau. Dass ihr Programm nun ein eigenes Team auf den Rasen schickt, hat sie dem Organisationstalent und der Begeisterungs­fähigkeit von Pérez zu verdanken. Der hat es nun eilig, zur Arbeit zu kommen, denn spätestens am Mittag will er ­seinen kleinen Stand am Einkaufszentrum öffnen. Auch Schwester Lidia mahnt nun zum Aufbruch, denn am Nachmittag will sie den Abschiebe­flieger aus den USA in San Pedro Sula empfangen. Diesmal wird sie Nuñez begleiten, denn unter den Passagieren soll es zwei Krankheitsfälle geben. ­Denen wollen die beiden Hilfe anbieten. Für die anderen Rückkehrer bleibt ­wenig mehr als der seelsorgerische Beistand.
Anmerkung: Die Recherche wurde vom Evangelischen Entwicklungsdienst gefördert.