»Wer hat die härtesten Schläger?«
Was geht in der gewaltbereiten Neonaziszene in Südbrandenburg vor? Diese Frage stellte sich nach einer der größten Razzien der vergangenen Jahre gegen die extrem rechte Szene, die Mitte April in der Region Cottbus und in weiteren Städten in Brandenburg sowie in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin stattfand. Wie die Behörden mitteilten, bestehe gegen 16 Personen dringender Tatverdacht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung – »Schnelle Eingreiftruppe« soll sich die Organisation genannt haben.
Ein Mitglied der Identitären Bewegung soll an der Spitze der selbsternannten »Schnellen Eingreiftruppe« stehen.
Die Verdächtigen seien zwischen 22 und 45 Jahre alt, sagte der brandenburgische Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke. Einige hätten einst der inzwischen aufgelösten Hooligangruppe »Inferno Cottbus 99« angehört oder seien in der 2012 verbotenen neonazistischen »Widerstandsbewegung Südbrandenburg« aktiv gewesen, die teilweise auch unter dem Label »Spreelichter/Die Unsterblichen« aufgetreten war. Die Beamten hatten neben Waffen, Propagandamaterialien, Pyrotechnik und Bargeld auch eine Fülle an NS-Literatur gefunden. Die Durchsuchungen betrafen 29 Wohnungen, Ladengeschäfte und Büros allein in Brandenburg. Darüber hinaus wurden auch zwei Objekte in Berlin, eines in Sachsen und eines in Mecklenburg-Vorpommern durchsucht. Nach Behördenangaben sollen sich etwa zwei Dutzend Neonazis als »schlagkräftige Truppe« formiert haben und jederzeit bereit gewesen sein, »um – so sagten sie es wörtlich – gegen Kanaken oder Zecken vorzugehen«, sagte Mörke.
Fraglich ist jedoch der tatsächliche Zweck einer solch straffen Organisation. Für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner allein jedenfalls wäre sie kaum noch nötig gewesen: Antifaschistische oder antirassistische Organisationen sind seit über einem Jahrzehnt in Cottbus kaum noch relevant. Von daher spricht einiges für die Theorie des leitenden Cottbuser Oberstaatsanwalts Bernhard Brocher, wonach die extrem rechte Szene sich in erster Linie vernetzt hat, um »die Hells Angels in Cottbus aus ihrer Position« zu verdrängen. »Es geht darum, wer hat die größte Power, wer kann die meisten Leute mobilisieren, wer hat die härtesten Schläger«, sagte der Staatsanwalt dem Tagesspiegel. Vor sechs Jahren löste sich das Chapter der Hells Angels in Cottbus auf. Der damalige Polizeidirektor Sven Bogacz verkündete öffentlich, dass die Auflösung »unter Wirkung des hohen polizeilichen Druckes erfolgte«.
Cottbus sei für die Rechtsextremen zu einem Spielfeld geworden, »in dem sie austesten, wie weit sie gehen können«.
Aber das ist höchstens die halbe Wahrheit. Kenner der Szene sehen die Auflösung des Chapters als direkte Folge einer langjährigen Auseinandersetzung zwischen den Rockern und der örtlichen Neonaziszene. Nur einen Monat vor der Auflösung wurde in der Cottbuser Innenstadt ein Mitglied der Hells Angels mit zwölf Messerstichen lebensgefährlich verletzt. Die Täter kamen aus einem extrem rechten Milieu aus Hooligans, Kickboxern und Türstehern. Der Haupttäter war ein stadtbekannter Neonazi, bis zu deren Verbot aktiv in der »Widerstandsbewegung Südbrandenburg«, international erfolgreicher Kämpfer des Kickbox-Teams Cottbus (KBTC) und gehörte nach Informationen des Antifaschistischen Infoblatts (AIB) zur Gründungsgeneration von »Inferno Cottbus 99«. Gemeinsam mit einem weiteren örtlich bekannten Neonazi war er Markeninhaber des Kleidungslabels »Boxing Connection/Label 23«. Während die beiden Mittäter von der Polizei in der Lausitz nach drei Monaten gefasst wurden, entzog sich der Haupttäter beinahe vier Monate lang seiner Verhaftung und konnte erst im österreichischen Salzburg festgenommen werden. Er soll zusammen mit zwei weiteren Kämpfern des Cottbuser Kickbox-Teams auf dem Weg zu einer Hochzeit eines Lausitzers aus dem rechten Hooliganmilieu gewesen sein. Nach Informationen des AIB ist der Neonazi seit seiner Haftentlassung wieder in der lokalen Neonaziszene aktiv. Ob auch er Ziel der Razzien war, ist bisher nicht bekannt.
Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linkspartei) wies in einer Stellungnahme auf gemeinsame Demonstrationen des Vereins »Zukunft Heimat« mit der AfD, Identitärer Bewegung (IB) und neonazistischen Hooligans hin. Cottbus sei für die Rechtsextremen zu einem Spielfeld geworden, »in dem sie austesten, wie weit sie gehen können«.
Nach Recherchen der Lausitzer Rundschau soll ein Mitglied der IB sogar an der Spitze der selbsternannten »Schnellen Eingreiftruppe« stehen. Der 29jährige studiert an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus und soll die Chatgruppe der Organisation administriert haben. So dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass die Polizei bei der Razzia auch zahlreiche Aufkleber und Propagandamaterialien der Identitären fand.
Bisher rechnen die Ermittler der mutmaßlichen kriminellen Organisation neun Straftaten zu. Dabei handelt es sich um Körperverletzungen, Verstöße gegen das Waffengesetz, Sachbeschädigungen, Bedrohungen und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Darüber hinaus prüfen die Behörden in 39 weiteren Fällen, ob Personen aus dem Netzwerk involviert waren. Darunter sind der Fackelmarsch von hundert Neonazis durch die Cottbuser Innenstadt im Januar 2017 sowie der bei der Aufstiegsfeier von Energie Cottbus im Mai 2018 aufgeführte Mummenschanz mit Ku-Klux-Klan-Masken und einem Banner mit der Aufschrift »Aufstieg des Bösen«.
Der in Potsdam ansässige Verein »Opferperspektive«, der Betroffene rechtsextremer Gewalt in Brandenburg berät, begrüßte, »dass die landesweite Bedeutung der Gefahr, die von der rechten Szene in und um Cottbus ausgeht«, erkannt wurde. Seit Jahren weist die Opferperspektive darauf hin, »welche Gefahr für potentiell Betroffene durch rechte Gewalttäter in der Stadt existiert«. Die Stadt sei »nicht ohne Grund in den vergangenen Jahren trauriger Spitzenreiter der rechts und rassistisch motivierten Gewaltstraftaten im Land Brandenburg«. Jedoch habe in den vergangenen Jahren »durch die Überlastung der Gerichte aus Sicht der Opfer de facto Straffreiheit für rechte Täter in Cottbus« geherrscht, so Martin Vesely von »Opferperspektive e. V.«. Zahlreiche Angriffe seien noch immer nicht vor Gericht verhandelt worden. Die Beratungsstelle befürchtet, dass auch die derzeitigen Strafverfahren im Sande verlaufen werden, wenn die Justiz nicht endlich konsequent rechte Gewalt verfolge.