Präsidentschaftsvorwahlen in Argentinien

Comeback des Kirchnerismus

In Argentinien könnten bald Linkspopulisten an die Macht kommen. Die Finanzmärkte sind bereits im Krisenmodus.

Das Ergebnis war eindeutig. Mit 48 zu 32 Prozent der Stimmen hat die peronistische Allianz Frente de Todos dem konservativen Bündnis Juntos por el Cambio des amtierenden Präsidenten Argentiniens, Mauricio Macri, bei den Wahlen am vorvergangenen Wochenende eine herbe Niederlage beschert – Umfrageinstitute hatten nur einen knappen Vorsprung für erstere vorhergesagt. Die Allianz steht unter Führung von Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández und der ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner als seiner Stellvertreterin.

Das Bündnis Consenso Federal des peronistischen ehemaligen Wirtschaftsministers Roberto Lavagna erreichte 8,7 Prozent der Stimmen. Allein, der Sieg bleibt ohne direkte politische Konsequenzen, denn es waren lediglich die Vorwahlen (PASO) für die Präsidentschaftswahl am 27. Oktober. Diese Vorwahlen werden seit 2011 abgehalten, um nur Parteien zuzulassen, die eine bestimmte Prozenthürde nehmen. Sie ähneln einer Generalprobe für die »richtigen« Wahlen. Ein Sieg der Peronisten bei den Wahlen am 27. Oktober – neben dem Präsidenten werden 130 der 257 Mitglieder der Abgeordnetenkammer sowie ein Drittel der Senatoren gewählt – erscheint somit als sehr wahrscheinlich.

Konsequenzen hatte das Ergebnis der PASO allerdings für die wirtschaftliche Lage in Argentinien. An den internationalen Finanzmärkten hofft man auf einen Sieg Macris im Oktober. Unmittelbar nach den PASO verlor der Argentinische Peso 30 Prozent seines Werts, der wichtigste argentinische Aktienindex, Merval, brach um 38 Prozent ein. Das Vorwahlergebnis hat die seit langem von Rezession und Inflation geprägte Lage weiter verschlechtert.

Macris Politik – bestimmt durch die unpopuläre Entscheidung, sich wieder den Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu unterwerfen – ist von der Wählerschaft zurückgewiesen worden. Am Samstagabend kündigte der argentinische Finanzminister Nicolás Dujovne seinen Rücktritt mit den Worten an, das Wirtschaftsteam brauche eine »bedeutende Erneuerung«. Der Präsident besitzt kaum noch Gestaltungsspielraum. Egal, was er nun tut, die Investoren bereiten sich auf eine Rückkehr der Peronisten an die Macht vor.

Schwere Hypothek

Umso wichtiger ist es gerade den Peronisten, dass Macri sein Mandat vollendet, damit eine geordnete Übergabe stattfindet. Alberto Fernández hat Macri in der Woche nach den Vorwahlen wiederholt aufgefordert, »als Präsident« und nicht »als Kandidat« zu handeln. Macri selbst, der zunächst so wirkte, als hätte er Fassung und Hoffnung gänzlich verloren, gibt sich inzwischen kämpferisch. Nach der Vorwahl hatte er versucht, mit allen Oppositionellen in einen Dialog zu treten. Ziel sei es, »Ruhe auszustrahlen«, um die negativen wirtschaftlichen Folgen der Wahl zu begrenzen. Fernández telefonierte zwar mit dem Präsidenten, stellte jedoch klar, dass er ein Treffen nicht für sinnvoll halte, da seine und Macris »politischen Konzepte gegensätzlich« seien und er Macris Entscheidungen nicht mittragen wolle.

Dabei ähneln die Maßnahmen, die Macri unmittelbar nach den PASO angekündigt hat, der Krisenpolitik, die seine Vorgängerin Fernández de Kirchner verfolgt hatte. Er ordnete Erhöhungen der Mindestlöhne sowie Extrazahlungen von Sozialleistungen an. Außerdem gewährte er kleinen und mittleren Firmen – und damit der argentinischen ­Mittelschicht – Steuererleichterungen. Diese Maßnahmen gelten bis Ende ­Dezember. Für 90 Tage wird außerdem der Preis für Treibstoff ­eingefroren. Ein paar Tage später kündigte Macri zudem an, die Mehrwertsteuer auf Produkte des Grundbedarfs wie Brot, ­Zucker und Mateblätter auszusetzen, ebenfalls bis Ende des Jahres.

All das kostet jedoch Geld – schätzungsweise fast 656 Millionen US-Dollar. Woher diese Summe kommen soll, ist unklar. Im vergangenen Jahr hatte Macri vom IWF eine Kreditzusage über 57 Milliarden US-Dollar erhalten – gebunden an eine strenge Austeritätspolitik. Seinem Nachfolger hinterlässt er somit eine schwere finanzielle und politische Hypothek.

Dass Macris geringe Popularität seine Wiederwahl gefährden würde, war schon seit langem klar. Seine zentralen Wahlversprechen von 2015, das Ende der Inflation und einen »Investitionsregen« aus dem Ausland, konnte er nicht erfüllen. Angesichts seiner Schwäche war das einzige Problem der ­Opposition ihre eigene Zerstrittenheit – ein altes Laster des Peronismus. Lange wurden Fernández de Kirchner Ambitionen auf eine erneute Präsidentschaft nachgesagt. Doch dann gewann Alberto Fernández sie als Partnerin. Er war in Néstor Kirchners und ihrer Amtszeit Kabinettschef, wurde danach jedoch einer ihrer Kritiker.

Unterstützung durch soziale Bewegungen

Sich selbst hielt Fernández de Kirchner im Hintergrund, was auch in der Wahlnacht deutlich wurde. Während sich Alberto Fernández in Buenos Aires von seinen Anhängern bejubeln ließ, blieb Cristina Kirchner in ihrer patagonischen Heimat. Die Kandidatur des Duos entwickelte große Anziehungskraft. Sergio Massa, der einst versprochen hatte, Fernández de Kirchner ins Gefängnis zu stecken, obwohl er ihr früher als Kabinettsminister gedient hatte, unterstützt das Duo nun mit seinem peronistischen Frente Renovador, ebenso die meisten Gouverneure. Nur einige wenige schlossen sich Lavagnas oder Macris Bündnis an.

Wichtig für den Erfolg der Allianz Frente de Todos war auch die Unterstützung durch verschiedene soziale Bewegungen. So ließ sich beispielsweise Ofelia Fernández, eine der Leitfiguren der feministischen Kämpfe für das Abtreibungsrecht aus dem vergangenen Jahr, auf die Wahlliste von Frente de Todos setzen. Auch die peronistischen Gewerkschaften, die zuletzt mit Macri zusammengearbeitet hatten, unterstützen die Allianz.

Die meisten Beobachter – und auch die politischen Gegner – gehen davon aus, dass eine Rückkehr des Kirchnerismus ansteht. Die beiden Kirchners gelten als Vertreter des linkspopulistischen Flügels des Peronismus. Ihre Amtszeiten waren vom Ausbau des Sozialstaats, Protektionismus und öffentlichen Investitionen geprägt. Begleitet wurde das von nationalistischer Rhetorik, der Kooperation mit anderen linken Regierungen der Region und der Vereinnahmung sozialer Bewegungen. Zu Cristina Kirchners Erbe gehören des Weiteren Probleme wie Inflation und Korruption, die in Argentinien allerdings ohnehin weit verbreitet ist.

Traditionell gibt es auch einen rechtspopulistischen, arbeiterfeindlichen, gesellschaftlich konservativen Flügel des Peronismus. Dieser war in den zurückliegenden Jahren neoliberal geprägt. Beide können sich mit Fug und Recht auf die Präsidentschaften Juan Domingo Peróns (1946 bis 1955 und 1973 bis 1974) berufen. Von diesem stammt auch das Bonmot: »Wir Peronisten sind wie Katzen: Wenn wir kreischen, glaubt man, wir zerfetzen uns. Aber in Wirklichkeit reproduzieren wir uns.« Auch nach 70 Jahren scheint das noch zu funktionieren.