Autonomes Zentrum vor dem Aus

»Es wäre ein dramatischer Verlust«

Dem Rozbrat, einem der wichtigsten linken Kulturzentren in Polen, droht die Zwangsräumung. Marek Jakubowski und Stanislaw Kowalski von der linken Initative »Postkom« im Gespräch.
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Warum wurde »Postkom« gegründet und womit beschäftigt sich die Gruppe?
Marek Jakubowski: Das ist eine Initiative, die sich vor einigen Jahren formiert hat, weil wir das Gefühl hatten, dass Polen oder überhaupt ganz Ost­europa als Themen bei der Linken in Berlin öffentlich kaum präsent sind. Viele Leute betreiben seit Jahrzehnten internationalistische Arbeit in Berlin, beziehen sich aber hauptsächlich auf die Kämpfe in Westeuropa oder auf ­anderen Kontinenten. Obwohl Polen sehr nah ist und viele polnische Menschen in Berlin leben, gibt es kaum Bezüge zur polnischen Linken. Wir wollten das ändern, indem wir polnische Aktivisten einladen, damit sie über verschiedene Initiativen und aktuelle Kämpfe berichten. Ziel ist es, politische und soziale Themen des postkommunistischen Raums in den Fokus zu rücken und interessierte Menschen miteinander zu vernetzen sowie zum Austausch anzuregen. In den vergangenen Jahren haben wir zahlreiche Veran­staltungen und Seminare über Polen und mit Aktivisten aus Polen organisiert.

Warum setzen Sie sich für das derzeit von Räumung bedrohte autonome Zentrum »Rozbrat« in der pol­nischen Stadt Poznań ein?
Jakubowski: Beim Rozbrat handelt es sich um eines der wichtigsten linken politischen Zentren in Polen, wo es nur sehr wenige Institutionen dieser Art gibt. Das Haus wurde 1994 besetzt und ist nicht nur für die linke politische Bewegung von Bedeutung, sondern auch fester Bestandteil des Kultur­lebens über die Grenzen der Stadt hinaus. Die drohende Zwangsräumung hängt mit der Reprivatisierung des Geländes zusammen. Dieses wurde 1948 verstaatlicht, aber beim Übergang zum Kapitalismus von einem privaten ­Unternehmen übernommen. Diese Firma nahm hohe Kredite auf und ging vor einigen Jahren bankrott. Die Bank verkaufte das Darlehen an eine Immo­bilienfirma, die nun den Verkauf des Grundstücks fordert. Am 15. Mai hat ein Gerichtsvollzieher einen Schätzwert für das besetzte Grundstück festgelegt, so dass eine Versteigerung und die Zwangsräumung drohen. Das Datum der Versteigerung ist noch nicht ­bekannt, doch das kann sich schnell ändern. Bereits vor Jahren reichten die Besetzerinnen und Besetzer des Roz­brat Klage ein, um auf der Grundlage offensichtlicher Inbesitznahme die Rechte an dem Grundstück zu bekommen. Sie beziehen sich dabei auf eine heute noch gültige Regelung aus der polnischen Volksrepublik.

 

Ist das Rozbrat mehr als ein Ort für Subkultur?
Jakubowski: Im Gegensatz zu manch einem autonomen Zentrum in Deutschland handelt es sich beim Rozbrat nicht nur um einen Ort linker Subkultur, wo verschiedene Veranstaltungen und Konzerte stattfinden, sondern es ist als soziales Zentrum enorm wichtig für die politischen Bewegungen. Nicht nur politische Initiativen nutzen das Rozbrat, es beherbergt auch die größte anarchistische Bibliothek in Polen und bringt verschiedene Generationen der polnischen Linken zusammen. Wer ins Rozbrat geht, trifft auch viele sogenannte normale Leute, die aus der Stadt kommen und am Geschehen im Zentrum teilnehmen. Das Rozbrat könnte somit auch eine Vorbildfunktion für viele linke Zentren in Deutschland haben.

Gibt es in Poznań eine Solidaritätsbewegung für das Zentrum?
Stanislaw Kowalski: Das Rozbrat ist nach 25 Jahren erfolgreichen Wirkens aus der Stadt nicht mehr wegzudenken und besitzt in Poznań einen ähnlichen Stellenwert wie die Rote Flora in Hamburg, ohne eine touristische ­Attraktion zu sein. Zahlreiche Kulturschaffende aus ganz Polen und Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt haben sich inzwischen mit dem Rozbrat solidarisch erklärt. Sollte das Zentrum zwangsgeräumt werden, wäre das ein dramatischer Verlust für die gesamte Region. Für den 14. September ist eine große Solidaritätsdemonstration in Poznań geplant.

Vor einigen Jahren wurde der Widerstand von Mietern aus der Stolarska-Straße in Poznań gegen ihre Vertreibung auch in Berlin bekannt. Wie ist dort die Situation?
Kowalski: Das Haus in der Stolarska-Straße, dessen Mieter von der Wohnmafia belästigt wurden und sich dagegen gewehrt haben, steht bis heute leer. Die Mieter sind umgezogen, manche von ihnen haben Sozialwohnungen erhalten. Die für die Belästigung Verantwortlichen sind nach einem über sechs Jahre andauernden Prozess zu Gefängnisstrafen von zwei Jahren verurteilt worden.

 

Das blieben nicht die einzigen ­Mieterproteste in Poznań. Wann begann dort die Mieterbewegung?
Kowalski: Als Ende der neunziger Jahre erstmals massenhaft Menschen zwangs­geräumt wurden, bildeten das Rozbrat und die Federacja Anarchist­yczna (Anarchistische Föderation) die Grundlage der Mieterbewegung. ­Unter dem Motto »Poznań Miasto dla Ludzi« (Poznań, Stadt für die Menschen) wurden die ersten Räumungsblockaden organisiert. 2011/2012 ­wurde auf Initiative von Aktivisten aus dem Rozbrat zusammen mit entschlossenen Mietern aus einem Wohnhaus, das entmietet werden sollte, der Mieterverein »Wielkopolskie Stowarzyszenie Lokatorów« (WSL) gegründet. Dutzende Räumungen konnten seitdem verhindert werden.

Gibt es ähnliche Mietenproteste auch außerhalb von Poznań oder ist die Stadt in Polen eine Ausnahme?
Kowalski: Natürlich gibt es auch anderswo Mieterproteste, beispielsweise in Warschau. Solche Proteste sind aber zurzeit noch auf die polnischen Großstädte beschränkt. Dabei ist vor allem das Thema Reprivatisierung aktuell und wichtig. Ähnlich wie in Deutschland versuchen Mieter, sich zu ver­netzen.

In Poznań ist die anarchosyndikalistische Basisgewerkschaft Inic­jatywa Pracownicza (Arbeiterinitiative, IP) in der dortigen Amazon-­Filiale aktiv. Gibt es Kontakte zum Zentrum?
Kowalski: Man kann sagen, dass die sozialen Kämpfe, die mit der Tätigkeit der IP verbunden sind, auch fest mit dem Zentrum verknüpft sind. Vor 15 Jahren hat sich die IP sogar im Rozbrat ­gegründet.

 

Gibt es Kontakte zwischen den unter­schiedlichen Kämpfen wie Mieterinitiativen und Basisgewerkschaften in Poznań?
Kowalski: Man muss sagen, dass die linke Bewegung jenseits der Sozial­demokratie in Polen sehr klein ist und Aktivisten zwangsläufig in den wenigen verbliebenen linken Zentren nicht nur in Kontakt miteinander treten, sondern auch aufeinander angewiesen sind. Häufig haben sich Aktive deshalb nicht nur auf ein Thema spezialisiert, sondern sind in unterschiedlichen ­Bereichen tätig. Rozbrat ist ein Paradebeispiel dafür. Eine Basisgewerkschaft wie die IP unterstützt beispielsweise nicht nur Kämpfe im gewerkschaft­lichen Bereich, sondern engagiert sich auch für sozialen Feminismus, Antifaschismus und Klimagerechtigkeit.

Haben Linke in Poznań Probleme mit Rechten und Neonazis?
Kowalski: Abgesehen von der national-konservativen Regierung (gebildet von der Partei Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit, PiS, Anm. d. Red.) und ihrer Mehrheit im Parlament, tritt der außerparlamentarische Teil der extremen Rechten wesentlich aggressiver als früher in Erscheinung. Das äußert sich darin, dass nicht nur Veranstaltungen dieses Milieus zugenommen haben, sondern auch gewalttätige Angriffe, wie zuletzt im Juli im ostpolnischen Białystok auf eine LGBTIQ-Demonstration. Das Rozbrat war immer wieder Ziel von neofaschistischen Angriffen, die aber erfolgreich abgewehrt werden konnten. Es ist zu befürchten, dass diese Bedrohung nicht kleiner wird. Im Oktober sind Parlamentswahlen. Auch wenn nicht damit zu rechnen ist, dass die extreme Rechte den Einzug ins Parlament schafft, wird das nicht zur Beruhigung der Lage führen, sondern dazu, dass die Rechten ihre Aktivitäten im militanten Bereich fortsetzen.


Marek Jakubowski und Stanislaw Kowalski haben die Gruppe Postkom gegründet und organisieren seit 2012 Veranstaltungen über die außerparlamentarische Linke in Polen. Am 2. September ist vor dem Polnischen Institut in Berlin eine Kundgebung für das von der Räumung bedrohte autonome Zentrum »Rozbrat« im polnischen Poznań geplant, die die beiden organisieren. Da sie in antifaschistischen Gruppen tätig sind, wollen sie nicht abgebildet werden.