Steffen Hess über die Chancen und Risiken der Digitalisierung ländlicher Regionen

»Digitalisierung ist kein Selbstzweck«

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Was bedeutet es für Menschen in ländlichen Regionen, digital abgehängt zu sein?
Ein Zugang zu digitalen Diensten ist inzwischen ein wichtiger Faktor für Teilhabe geworden. Jedoch ist Teilhabe auch immer etwas, was vor Ort im direkten Kontakt passieren muss.

Was nützen Ihre Apps eigentlich in Regionen, in denen kein Breitbandnetz vorhanden ist?
Unsere Lösungen funktionieren auch mit sehr wenig Bandbreite. Wenn sich eine Region schwer tut, in Infrastrukturausbau zu investieren, kann man, indem man digitale Dienste in eine Region bringt, den Druck erhöhen, auch die ­digitale Infrastruktur auszubauen. Am Ende sollte man aber nicht in Lage geraten, daß indem man zwar überall für Infrastruktur gesorgt, aber noch nicht über sinnvolle Dienste nachgedacht hat.

Welche technischen und gesellschaftlichen Hindernisse bringt es mit sich, die Strategie einer »smart city« auf den ländlichen Raum zu übertragen?
Im ländlichen Raum hat man teilweise andere Strukturen und Bedürfnisse, die man beachten muss. Dort geht es beispielsweise darum, Mobilität herzustellen, wohingegen es beim »smart city«-Ansatz ja darum geht, Mobilität zu verringern.

Bei den Apps, die von Ihnen in den Modellregionen getestet werden, handelt es sich um Formen digitaler Nachbarschaftshilfe. Vernetzen sich die Menschen nicht auch ohne Apps?
Ehrenamt und Nachbarschaftshilfe sind in ländlichen Regionen verbreiteter als im urbanen Raum. Grundsätzlich wird es aber immer schwieriger, diese Strukturen aufrechtzuerhalten. Die klassischen Dorftreffpunkte, an denen man sich austauscht und sich gegenseitig hilft, verschwinden zusehends, weswegen wir den Ansatz verfolgen, eine ­digitale Lösung als Werkzeug einzusetzen, um Menschen, die den gleichen Bedarf oder ähnliche Interessen haben, zusammenzubringen. Eine App muss dann dazu führen, dass sich Menschen wieder besser analog treffen können. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Ich kann nicht eine App in ein Dorf werfen und davon ausgehen, dass dort dann alles digital wird.

Wie stellen Sie sicher, dass die Technologie den Menschen dient und nicht umgekehrt?
Indem wir die Lösungen für Probleme oder Bedürfnisse, die die Menschen in unseren Pilotdörfern selbst formuliert haben, mit den Menschen vor Ort zusammen erarbeiten. Dadurch haben wir ein Modell geschaffen, das weder auf Werbung noch auf dem Verkauf von Daten basiert. Wir haben uns bewusst gegen die klassischen digitalen Geschäftsmodelle anderer Anbieter entschieden. Damit unterscheidet sich ­unsere Lösung stark von dem, was am Markt sonst angeboten wird.