Linke Proteste und die Meinungsfreiheit

»Lucke hat ein Monster geschaffen«

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So konnte es nicht überraschen, dass am 16. Oktober Hunderte Antifaschisten, neben Studierenden auch die Gruppe »Omas gegen rechts«, lautstark gegen Luckes erste Vorlesung nach seiner Rückkehr protestierten. Als die Sprechchöre nicht abebbten, verließ er das Rednerpult. Es kam zu keinerlei körperlicher Gewalt, lediglich einige zusammengerollte Papierkügelchen wurden geworfen. Davon distanzierte sich der Hamburger AStA-Vorsitzende Karim Kuropka. Er kritisierte aber vor allem den Tenor der medialen Reaktionen auf die Proteste: »Wir hatten das Gefühl, dass einzig die Störung der Vorlesung eine Nachricht wert war, aber nicht die eigentliche Kritik, der Herr Lucke sich stellen muss.«

Sebastian Zachrau vom studentischen Dachverband FZS sagte der Jungle World, er sehe keinen Anlass für eine Distanzierung von den gewaltfreien Protesten. Auch verteidigt er den Protest: »Obwohl die kritische Auseinandersetzung mit Lehrinhalten ständig als wichtige Kompetenz von Studierenden bezeichnet wird, darf diese anscheinend nicht so weit gehen, dass Lehrinhalte als inhaltlich falsch und politisch untragbar verworfen werden.« Wie Kuropka kritisiert auch Zachrau Lucke als wirtschaftsliberalen Rechten: »Die strikte Trennung zwischen neoliberalen Konservativen und Rechtsnationalisten ist nicht durchzuhalten.«. Der FZS-Vertreter erinnert daran, dass Lucke bei der Gründung der AfD gezielt auf Personen aus der extremen Rechten zugegangen sei. Daher sei es nicht verwunderlich, dass sich nach Protesten neben AfD-Politikern auch die rechtsextreme Plattform PI-News mit Lucke solidarisierte. »Es ist absurd, wie manche politische Akteure den demokratisch gewählten Studierendenschaften ihr politisches Mandat entziehen wollen und zeitgleich nach Wissenschaftsfreiheit rufen, sobald Studierende versuchen, gegen menschenfeindliche Positionen von manchen Professorinnen und Professoren vorzugehen«, sagte auch das FZS-Mitglied Jakob Bühler.

Ein späterer Bremer SPD-Vorsitzender (l.) und ein späterer Hamburger SPD-Staatsrat (r.) am 9. November 1967.

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Der Protest gegen Lucke steht in einer langen Tradition studentischer Aktionen gegen rechte und autoritäre Strukturen an den Universitäten. »Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren« hieß es beispielsweise vor 52 Jahren auf einem Transparent, das zwei Studenten, der spätere Bremer SPD-Landesvorsitzende Detlev Albers und der spätere Hamburger SPD-Kulturstaatsrat Gert Hinnerk Behlmer, an der Hamburger Universität anlässlich einer Rektoratsübergabe in die Kameras hielten. Diese Tradition scheint mittlerweile völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Sonst wäre kaum zu erklären, dass nach dem Anschlag von Halle, dem Mord an Walter Lübcke und den ständigen Angriffen auf Geflüchtete eine gewaltfreie antifaschistische Protestaktion als Angriff auf Demokratie und Meinungsfreiheit diskutiert wird.