21.11.2019
Die Soziologin Cornelia Koppetsch wird für schlechtes Handwerk kritisiert, nicht aber für ihr Verständnis für die AfD

Deutschland steht Koppetsch

Cornelia Koppetschs Buch »Die Gesellschaft des Zorns« enthält allem Anschein nach Plagiate. Vielen Kulturredaktionen erscheint das wichtiger als die Kooperation der Autorin mit der AfD.

Die Soziologie hat sich ihren Weg zurück ins Frühstücksfernsehen erobert. Nachdem ihr einige Zeit die Philosophie den Platz in Talkshows und im Feuilleton streitig gemacht hat, feiert die Disziplin im Genre der Zeitdiagnosen derzeit ein Comeback. Die neuen soziologischen Werke tragen marktschreierisch ihren umfassenden Erklärungsanspruch im Titel: »Gesellschaft der Singularitäten« (Andreas Reckwitz), »Gesellschaft der Angst« (Heinz Bude), »Abstiegsgesellschaft« (Oliver Nachtwey), »digitale Gesellschaft« (Armin Nassehi) und so weiter. Soziale Phänomene wie Digitalisierung oder Abstiegsangst werden aufgebläht zur Gesellschaftsanalyse, was diesen Büchern, ungeachtet ihrer Qualität, den Beigeschmack von Vermessenheit gibt. 

Am Schluss ihres Buches bedankt sich Koppetsch bei ihren »Bekannten aus der AfD, die mir in vielen Diskussionen ihre gesellschaftlichen Sichtweisen dargelegt haben. 

Doch die Strategie geht auf. Eben diese Zeitdiagnosen mit welterklärendem Impetus sind regelmäßig in den Sachbuchbestsellerlisten vertreten. Ihre Machart schwankt zwischen Populärwissenschaft und akademisch-soziologischer Forschung. Thesen, die zwar hübsch formuliert, aber nicht plausibel begründet werden, spekulieren auf die Gutgläubigkeit der Lesenden. 

In »Gesellschaft der Singularitäten« untermauert beispielsweise der Sozio­loge Andreas Reckwitz seine These einer fortschreitenden Individualisierung der Gesellschaft mit Verweis auf das Phänomen des data tracking, »in dem die anonymen Algorithmen den einzigartigen Bewegungspfad des Users registrieren, um ihn in seinen ganz spezifischen Konsumpräferenzen oder politischen Haltungen zu adressieren«. Dabei muss man diesen Umstand nicht als Ausdruck einer fortgesetzten Singularisierung verstehen, sondern könnte genau umgekehrt beschreiben: Ein spezifisches, womöglich besonderes Begehren soll identisch gemacht werden mit dem verfügbaren Warenangebot. Solche Ambivalenz gehört dazu, wenn man eine Gesellschaft beschreiben will, die von Widersprüchen durchzogen ist.

Die großen Zeitdiagnosen, von denen gefühlt jeden Monat eine neue auf den Buchmarkt kommt, wollen soziologische Überlegungen einer breiten ­Öffentlichkeit zugänglich machen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen, wohl aber, dass sie aus ihren Untersuchungen Folgerungen ableiten, die ­weder der Gegenstand noch die angewandten Methoden hergeben.