Die Lehren aus dem NSU-Komplex gelten auch für die Bewertung des Anschlags von Halle

Überwachen und strafen

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Die rechten Netzwerke in den Sicherheitsbehörden mit Namen wie »Nordkreuz« oder »NSU 2.0« sind trotz aufwendig recherchierter Berichterstattung derzeit noch große Unbekannte im Bereich des Rechtsterrorismus. Es lässt sich nur wenig herausfinden über die ­Mitglieder, darüber, wie aktiv diese Netzwerke derzeit sind, oder was der Staat tut, um sie unschädlich zu machen. Klar ist nur: Man hat es hier mit professionell bewaffneten und trainierten Personen zu tun, deren Pläne Todeslisten für politische Gegnerinnen und Gegnern umfassen. Die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız und ihre Familie werden seit mehr als einem Jahr von einem »NSU 2.0« bedroht, dessen Mitglieder Zugriff zu Polizeicomputern hatten. Die Behörden, weite Teile der Politik und die Justiz scheinen nicht bereit zu sein, konsequent gegen diese Netzwerke vorzugehen.

All diese Gruppen hängen Ideologien der Ungleichwertigkeit wie Antisemitismus und Rassismus an und sehnen einen Bürgerkrieg oder einen »Tag der Abrechnung« geradezu herbei. Dafür bewaffnen sie sich und schreiten in einer faschistischen Selbstermächtigung zur Tat, weil sie glauben, durch Gewalt ihre autoritäre, heteronormative und völkische Vision einer Volksgemeinschaft verwirklichen zu können.
Die rechtsterroristischen Netzwerke werden wieder zuschlagen, wenn man sie nicht daran hindert. Die Täterinnen und Täter vergangener Anschläge müssen erkannt, gefasst und zur Verantwortung gezogen werden. Straflosigkeit ermutigt zu weiteren Taten. Die Rede von der Unvorstellbarkeit des Rechtsterrorismus hierzulande gilt es unmöglich zu machen. Dazu bleibt es unerlässlich, weiter antifaschistische Recherche zu betreiben und über das Versagen und die Komplizenschaft in den Behörden aufzuklären.

Die Verbreitung von Rassismus, Antisemitismus, Misogynie und Queerfeindlichkeit in einer Gesellschaft ist ein entscheidender Faktor dafür, dass der rechte Terror überhaupt funktionieren kann. Diese Ideologien der Ungleichwertigkeit gilt es auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu bekämpfen; mit dem Finger auf Neonazis und den Verfassungsschutz zu zeigen, genügt nicht. Das ist eine entscheidende Erkenntnis aus dem Versagen der Linken angesichts des Terrors des NSU. Dass Solidarität kein abstraktes Konzept ist, sondern auf konkreten Beziehungen zwischen Menschen aufbaut, ist eine weitere. Der Mangel an Empathie, den Robert Ogman nach dem Anschlag von Halle in Deutschland berechtigterweise anklagt (Jungle World 44/2019), sollte der Linken eine Warnung sein: Die Überlebenden, die direkt Betroffenen und die durch den Terror in Angst Versetzten brauchen praktische Solidarität und keine leeren Worte. Gäbe es für diese Menschen in der deutschen Gesellschaft mehr Empathie, würden mehr Menschen rechten Terror ernst nehmen und etwas dagegen tun.