Wie Rechtsterroristen in ­Europa zusammenarbeiten

Europa der Bewegungsrechten

Die Zahl rechtsterroristischer Anschläge in der EU steigt, die Gruppen vernetzen sich. Auch Gilles de Kerchove, der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung, warnt vor der wachsenden Gefahr.

Mehrere Hundertschaften der Polizei sicherten am 23. März 2019 ein Rechtsrock-Konzert mit mehr als 500 Teilnehmern im ostsächsischen Ostritz. Dutzende Medienvertreter tummelten sich um den Veranstaltungsort und wurden beim Versuch, das Gelände zu betreten, von Konzertbesuchern mit Bierbechern beworfen, bedroht und in einigen Fällen geschlagen. Die Berichterstattung über Ostritz schaffte es bis in die »Tagesschau«.

Wenige Kilometer entfernt, in Mü­cka, fand zur selben Zeit ein Konzert statt, das weniger Aufmerksamkeit erregte. Auf dem Gelände der Neonazi-Bruderschaft »Brigade 8« trafen sich einer »Exif«-Recherche zufolge rund 200 Neonazis zu einer sogenannten Geburtstagssause. Unbehelligt von Polizei und Presse nahmen daran führende Mitglieder der mittlerweile verbotenen Gruppe »Combat 18« teil. Unter ihnen war der mutmaßliche Schatzmeister Stanley R., der im September 2017 gemeinsam mit anderen Neonazis nach einer Schießübung in Tschechien von der Spezialeinheit GSG 9 festgenommen worden war. Auch Grzegorz J., ein führendes Mitglied von »Combat 18« aus Polen, sowie zahlreiche andere Mitglieder des Netzwerks waren in Mücka dabei.

Eine wichtige Rolle bei der internationalen Vernetzung rechtsterroristischer Gruppen spielt das Bataillon Asow in der Ukraine.

Bei einigen der Besucher standen in der vorvergangenen Woche Polizisten vor der Tür, um das Verbot von »Combat 18« in Deutschland durchzusetzen. Martina Renner, die Sprecherin der Linkspartei für antifaschistische Politik im Bundestag, bezeichnete »Combat 18« im Gespräch mit dem Deutschlandfunk als »die maßgebliche Struktur des Rechtsterrorismus in Europa«. Dem Verbot waren zahlreiche Ankündigungen der Sicherheitsbehörden voraus­gegangen. »Das Verbot ist richtig, aber es kommt viel zu spät«, sagte Renner. Seit Jahren ist bekannt, dass das Netzwerk sich auf einen »Rassenkrieg« vorbereitet und sich einige seiner Mitglieder bewaffnen. Zudem war es nicht nachvollziehbar, warum der bewaffnete Arm des Netzwerks »Blood & Honour« in Deutschland legal blieb, während dieses bereits seit dem Jahr 2000 verboten ist. In zahlreichen Untersuchungsausschüssen und im Prozess gegen die Haupttäter des NSU vor dem Oberlandesgericht in München wurde deutlich, dass »Blood & Honour« die Mordserie des NSU überhaupt erst ermöglichte.

Überschattet von islamistischen Terrorattacken steigt die Zahl der Todesopfer rechtsextremer Terroranschläge weltweit an. Regionale Schwerpunkte dieser Entwicklung sind dem Global Terrorism Index des australischen Institute for Economics & Peace zufolge Westeuropa und Nordamerika. Die Gesamtzahl der rechtsterroristischen Vorfälle hat sich in Europa im Vergleich zu 2014 mehr als verdreifacht. Der EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove, sagte im Gespräch mit der Jungle World, dass es deutliche Anzeichen dafür gebe, »dass das Risiko eines durch Rechtsextremismus motivierten Terrorismus in Europa zunimmt«. Er verwies auf die Schießereien bei Oslo im August 2019 und den Anschlag von Halle im Oktober 2019. Beide Taten seien »von gewalttätigen rechtsextremistischen Ansichten motiviert« gewesen.

Auch Erik Marquardt (Grüne) fordert »eine bessere Zusammenarbeit der europäischen Behörden und gemein­same Standards, damit rechtsextreme Vereine wie ›Combat 18‹ nicht in manchen Ländern verboten, aber in anderen erlaubt sind.« Marquardt ist Mitglied des europäischen Parlaments und sitzt im Ausschuß für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. »Man hat das Gefühl, dass sich bekannte Figuren in Regierung und Verfassungsschutz in den letzten Jahren stärker gegen ein Verbot von Seenotrettung als gegen das Verbot faschistischer Strukturen eingesetzt haben«, sagte er der Jungle World.

In Europa gab es in den vergangenen Jahren eine ganze Serie von rechtsterroristischen Taten: Am 3. Februar 2018 fuhr der Neonazi Luca Traini durch die italienische Kleinstadt Macerata und schoss auf Menschen mit dunkler Hautfarbe. Sechs Personen wurden schwer verletzt. Die italienische Polizei stellte am 16. Juli 2019 in Gallarte und Rivanazzano eine Mittelstreckenrakete, Handfeuerwaffen, Gewehre und NS-Devo­tionalien sicher (siehe Seite 5). Unter den drei Verhafteten aus Italien und der Schweiz befindet sich der ehemalige Grenzschützer Fabio Del B., der in der Vergangenheit erfolglos für die neo­nazistische Partei Forza Nuova (FN) kandidierte. In Großbritannien ermor­dete der Neonazi Thomas Mair am 16. Juni 2016 die britische Labour-Abgeordnete Jo Cox. Mit den Worten »Britain first« eröffnete er das Feuer auf sie und stach nach den Schüssen auf sein Opfer ein. Seine Vorgehensweise wird in internationalen Neonazi-Foren als »White Jihad« gefeiert.

Ein Jahr später fuhr der Waliser Rechtsextreme Darren Osborne mit seinem Van gezielt in eine Gruppe Muslime. Eines seiner Opfer wurde getötet und mehrere Menschen wurden verletzt. Zur Jahreswende 2016/2017 verübten Mitglieder der »Nordischen Widerstandsbewegung« in Schweden eine Serie von Bombenanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und einen linken Buchladen. Am 4. Februar 2018 verübte die neofaschistische Gruppe Falanga aus Polen einen Brandanschlag auf ein ungarisches Kulturinstitut in der Ukraine.

Eine der bisher schwersten rechts­terroristischen Attacken in Europa verübte im Juli 2011 Anders Breivik, der 77 Menschen tötete. Der Attentäter David Sonboly tötete am 22. Juli 2016, dem fünften Jahrestag des Osloer Breivik-Attentats, neun Menschen im Münchner Olympia-Einkaufszentrum und verletzte weitere fünf schwer. Die Tatwaffe war eine Glock 17, wie sie auch Breivik benutzte.
Der Mord an Walter Lübcke am 2. Juni 2019 war in Deutschland der vorläufige Höhepunkt rechtsextremer Attacken auf Politiker.

Eine wichtige Rolle in der internationalen Vernetzung rechtsterroristischer Gruppen spielt das Bataillon Asow in der Ukraine. Unter der Führung des Neonazis Andrij Bilezkyj wurden im Mai 2014 rechte Hooligans rekrutiert, um als Freiwilligenmiliz gegen prorussische Separatisten vorzugehen. Die National Militia ist der paramilitärische Arm des Bataillons Asow, der in der Ukraine legal operiert. Die dem Bataillon nahe­stehende »Wotan-Jugend« übersetzte zu Beginn des Jahres 2019 das Manifest des Christchurch-Attentäters Brenton Tarrant und verbreitete es in der Ukraine. Über verschiedene rechte Kampf­sportveranstaltungen haben Asow-Kämpfer beste Kontakte zur europäischen und auch deutschen Neonazi­szene. Einer »Exif«-Recherche zufolge bestehen enge Verbindungen zwischen dem in Deutschland aufgewachsenen und aus der Ukraine stammenden Neonazi Ivan B. aus Rostock und dem Bataillon Asow.

Im Sommer 2019 soll Ivan B. an paramilitärischen Übungen in der Nähe von Kiew teilgenommen haben. Er ließ sich dort mit einer AK 47 ablichten. Etwa zur gleichen Zeit postete die »Junge Alternative« (JA) aus Mecklenburg-Vorpommern ein Bild von ihm und begrüßte ihn als neues Mitglied.

Der grenzüberschreitende Rechtsterrorismus ist nach Auskunft von de Kerchove Anlass für die Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der europäischen Behörden. Im jährlichen »Terrorism Situation and Trend Report« von Europol finden sich jedes Jahr Dutzende Fälle, in denen rechtsterroristische Anschläge von den zuständigen Behörden vereitelt wurden. Die Zahl der Verhaftungen in diesem Zusammenhang steigt demnach seit drei Jahren stetig an.

Europol stellt aber auch fest, dass es zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten der EU bedeutsame Unterschiede bei der Zusammensetzung der rechtsterroristischen Szene gibt. Ein funktionierendes Netzwerk kann der Europol-Bericht nicht ausmachen. Der Rechtsterrorismus der vergangenen Jahre, so de Kerchove, weise »eher auf die Ein­beziehung von Einzelpersonen oder Gruppen von Einzelpersonen als auf die Einbeziehung von organisierten Netzwerken oder Organisationen hin«.

Die gewalttätige Neonaziszene hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich stark ausdifferenziert und zahlreiche Neuentwicklungen erlebt, die der Führung durch eine einzelne Person oder Organisation widersprechen. Anderseits wird der Ausdifferenzierung des rechtsextremen Milieus spätestens mit Beginn der Pegida-Demonstrationen durch das Konzept einer politischen Bewegung entgegen­gewirkt. Nimmt man die Idee des »Great Replacement« (Großer Austausch) als Bezugspunkt eben jener Bewegung, dann lassen sich deutliche Verbindungen feststellen zwischen der AfD, dem Institut für Staatspolitik, Pegida, den Identitären, der NPD, dem Rassemblement National in Frankreich, der ita­lienischen Lega und Chrysi Avgi in Griechenland bis hin zu »Combat 18«, dem Attentäter von Halle, Stephan Balliet, Anders Breivik oder Brenton Tarrant.

Funktionäre der AfD wie Alexander Gauland, aber auch der österreichische Identitäre Martin Sellner, Götz Kubitschek vom Verlag Antaios, zahlreiche Pegida-Redner und Kader anderer ­europäischer Rechtsaußen-Parteien propagieren den Mythos vom »Großen Austausch«. Es gibt immer wieder Neonazis, die in dem festen Glauben handeln, eben jenen vermeintlichen Austausch mit Waffengewalt aufzuhalten.