Die Umwälzungen in der deutschen Autoindustrie treffen die Beschäftigten hart

Die Krise der Beschäftigten

Die Ausbreitung des Coronavirus setzt auch der deutschen Autoindustrie zu. Für tatsächlich gravierende Veränderungen sorgen auf lange Sicht jedoch die Umstellung auf die Elektromobilität und die Digitalisierung – mit Auswirkungen auch für die Arbeitnehmer.

Produktionsstopps, unterbrochene Lieferketten – die Ausbreitung des Coronavirus bereitet der Weltwirtschaft erhebliche Probleme. Er trifft besonders die Autoindustrie, da die Epidemie in einer Region Chinas ausbrach, die für deren Produktion wichtig ist. In Italien verbreitet sich das Virus in der Region zwischen Mailand und Turin, dem Zentrum der dortigen Autoindustrie, wo Zulieferer Teile für Fabriken in Süddeutschland produzieren.

Den deutschen Autoherstellern kommt das ungelegen. In China erzielen deutsche Konzerne zwischen 22 Prozent (Daimler) und 37 Prozent (Volkswagen) ihres Umsatzes. Die Nachfrage ging bereits 2019 zurück, der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) erwartet für 2020 noch einmal einen Rückgang um sieben Prozent. »Der Weg, der vor uns liegt, wird steinig«, sagte die neue Präsidentin des VDA, Hildegard Müller, in der vergangenen Woche dem Tagesspiegel. In Deutschland werde die Zahl der neu erworbenen Autos in diesem Jahr um sechs Prozent auf 3,4 Millionen sinken, schätzt der Verband. Dazu kommen der EU-Austritt des vereinigten Königreichs, der Handelskonflikt mit den USA und die Strafzahlungen für den Dieselbetrug.

Die vielbeschworene Krise der Autoindustrie dient auch als Rechtfertigung dafür, dass der Staat die »Elektrowende« von Konzernen subventioniert, die Milliardenprofite erzielen.

Die seit Jahren prognostizierte Krise der deutschen Autoindustrie scheint also angebrochen zu sein. Es sei »von größtem gesamtgesellschaftlichem Interesse, auch in Zukunft eine wettbewerbsfähige, innovative und beschäftigungsstarke Industrie in Deutschland zu haben«, heißt es in einem Papier vom jüngsten »Autogipfel« im Bundeskanzleramt Mitte Januar, an dem Vertreter der Konzerne, Gewerkschaften, Betriebsräte und Fachminister teilnahmen. Zuvor hatte die Regierung bereits Kaufprämien für Hybrid- und Elektroautos in einer Höhe von bis zu 6 000 Euro pro Auto beschlossen, um deren Absatz in Deutschland zu fördern.

Die Elektromobilität bildet die eigentliche Herausforderung für die deutschen Konzerne. Die Rekordprofite der vergangenen Jahre erwirtschafteten sie mit dem Verkauf von PS-starken Autos mit Verbrennungsmotoren, E-Autos waren nur ein Nischengeschäft. 2019 verkaufte der Marktführer Tesla, der Marktführer bei Elektroautos weltweit gerade einmal 361 000, batteriebetriebene Fahrzeuge, BMW und Daimler jeweils etwa 100 000. Seit 2020 gilt eine EU-Verordnung, die Autohersteller mit einer Strafe belegt, wenn die von ihnen produzierten Autos im Durchschnitt nicht deutlich weniger CO2 pro Kilometer ausstoßen als bisher. Das lässt sich nur mit möglichst vielen E-Autos erreichen. Diese Politik soll bis 2030 weiter verschärft werden. Das heißt auch: Je mehr Elektroautos ein Konzern absetzt, desto mehr Autos mit Verbrennungsmotoren kann er verkaufen.

In der deutschen Debatte heißt es oft, die deutschen Firmen hätten die Entwicklung der E-Autos »verschlafen«. Dabei sind es gerade die mit Verbrennungsmotoren erzielten Profite, die es den Konzernen erlauben, in die neuen Technologien zu investieren. Der Staat schafft mit Subventionen die nötigen Absatzmärkte und die Infrastruktur. Der US-amerikanische Konzern Tesla hat noch nie Gewinne erwirtschaftet und finanziert seine Entwicklungen allein durch Risikokapital.

Die derzeit sinkende Profitabilität der Autoindustrie hat weniger mit Missmanagement oder Absatzschwierigkeiten zu tun als mit den hohen Investitionen, die nötig sind, um konkurrenzfähig zu bleiben. Daimler steigerte zum Beispiel seinen Umsatz im vergangenen Jahr auf 172,7 Milliarden Euro, konnte aber wegen steigender Kosten weniger Rendite erzielen.

Aber die Investitionen könnten sich bald auszahlen: Einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey zufolge werden die deutschen Autokonzerne wahrscheinlich bereits dieses Jahr mehr als eine Million Elektroautos bauen. So bereinigen die Unternehmen ihre CO2-Bilanz und können mit dem Verkauf konventioneller Autos weiterhin Geld verdienen, ohne gegen EU-Auflagen zu verstoßen. Die vielbeschworene Krise der Autoindustrie dient auch als Rechtfertigung dafür, dass der Staat die »Elektrowende« von Konzernen subventioniert, die Milliardenprofite erzielen.

Aber auch die Ungewissheit ist groß. Es ist unklar, welche Technologien sich beim E-Antrieb durchsetzen werden, bei der Entwicklung von Systemen für selbstfahrende Autos führen Unternehmen aus dem Silicon Valley, zudem gibt es neue Konkurrenz. Der chinesische Autohersteller Geely, Großaktionär bei Daimler und Besitzer von Volvo, hat 2019 sein erstes Entwicklungszentrum in Deutschland eröffnet.

Wer darin den Anfang vom Ende der Autogesellschaft vermutet, dürfte jedoch enttäuscht werden.

Der US-Konzern Tesla macht mit einer geplanten Fabrik für Elektroautos und Batterien in Brandenburg Schlagzeilen. Besonders die Grünen tun sich mit der Unterstützung für den Bau der »Gigafactory« von Tesla hervor. »Dies ist ein Weckruf für die deutsche Automobilindustrie, die bisher den Einstieg in die E-Mobilität und damit eine zukunftsweisende Wirtschaftsentwicklung verpennt hat«, schrieb etwa der brandenburgische Landesverband der Grünen.

Der Tesla-Hype rief aber auch Widerspruch mit nationalistischer Färbung hervor. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder warnte beim politischen Aschermittwoch der CSU vor einem »grünen Sozialismus« und forderte »mehr Wirtschaftspatriotismus«, wie das Handelsblatt berichtete. Die Grünen hofierten Tesla und schadeten damit den deutschen Autokonzernen. Die AfD hat sich der Verteidigung des deutschen Dieselfahrzeugs angenommen. AfD-Politiker und Rechtsextreme versuchten, die Bürgerproteste gegen das Tesla-Werk in Grünheide für sich zu vereinnahmen (Jungle World 9/2020).

Gegenstimmen kommen auch aus der radikalen Linken. Einige Umweltgruppen versuchten, den Fabrikbau bei Berlin aufzuhalten. »Auf Tesla und die Elektrowende projizieren die verschiedensten Leute – von zentristischen Öko-NGOs über Gewerkschaften und Traditionslinke bis hin zur Bundesregierung – ihre Hoffnungen. Sie glauben, man könne sich so aus der Klimakrise einfach herausproduzieren«, sagte Tadzio Müller, Referent für Klimapolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Jungle World. »Doch nur Produktionseinschränkungen und eine Postwachstumsgesellschaft können wirksam Emissionen reduzieren.«

Mehr als die Hälfte aller Autozulieferer planen einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) zufolge Entlassungen. Daimler will bis 2022 weltweit 10 000 Stellen streichen, auch in Deutschland sollen Personalkosten eingespart werden. Von der Autoindustrie hängen in Deutschland über 800 000 Arbeitsplätze ab. 410 000 Arbeitsplätze könnten bis 2030 gestrichen werden, schätzte ein Beratergremium der Bundesregierung.

Wer darin den Anfang vom Ende der Autogesellschaft vermutet, dürfte jedoch enttäuscht werden. Die Fertigung von Elektromotoren ist schlicht weniger arbeitsintensiv und kann leichter automatisiert werden. Was diese Effizienzsteigerungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter bedeuten, untersuchte die Gruppe La Banda Vaga, die dem rätekommunistischen Kollektiv »Kosmoprolet« angehört, in einem Autofertigungsbetrieb in der Nähe von Freiburg. In ihren »Thesen zu ›Industrie 4.0‹«, zuerst veröffentlicht in der sozialistischen Gewerkschaftszeitung Express, analysiert sie die staatlich geförderten Rationalisierungsmaßnahmen.

Die digital gesteuerte und vernetzte Produktion führe zu mehr Überwachung und Kontrolle, berichteten Arbeiter und Betriebsräte. Während die Komplexität der Produktionsabläufe zunehme und die Zahl der IT-Experten in der Fabrik wachse, werde das Erfahrungswissen vieler Arbeiter entwertet, die nur noch standardisierte Arbeitsabläufe ausführten. Dieses deskilling und die Ersetzbarkeit durch die Automatisierung ließen ein ungewohntes Prekaritätsgefühl selbst bei der vor Entlassungen geschützten Kernbelegschaft aufkommen. Das Gefühl der Austauschbarkeit sowohl im Werk als auch generell auf dem Arbeitsmarkt schwäche die Position der Beschäftigten im Arbeitskampf. So diene die Digitalisierung dazu, die Ausbeutung der Arbeitskraft zu steigern, folgert die Gruppe.

Doch die Digitalisierung schaffe mit der just in time-Produktion auch neue Möglichkeiten des Widerstands, sogar über Staatsgrenzen hinweg, betont La Banda Vaga im Gespräch mit der Jungle World. Das hätten etwa die Streiks im ungarischen Györ vor einem Jahr gezeigt. Damals führte die Produktionsniederlegung in einem Audi-Werk in Ungarn zu Lieferengpässen in Deutschland – das Management gab schnell nach.

Für die Gewerkschaften spielen solche Möglichkeiten derzeit allerdings keine Rolle. Die IG Metall geht statt mit konkreten Lohnforderungen mit einem »Moratorium für einen gerechten Wandel« in die diesjährigen Tarifverhandlungen. Darin bietet die Gewerkschaft an, »Zukunftsverträgen« mit den Unternehmen auszuhandeln und fordert Hilfe von der Bundesregierung. Einige Gewerkschaftsvertreter fürchten die Verlagerung von Produktionsstandorten nach Osteuropa, im vergangenen Jahr sagte der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, im Magazin Cicero: »Der wesentliche Faktor, die wirtschaftliche Stärke und die Wertschöpfung, werden dann nicht mehr in Deutschland stattfinden. Das geht dann massiv auf die Arbeitsplätze, und das ist der Punkt, an dem wir als IG Metall unfreundlich werden.«

Wie sich die Veränderungen in der Autoindustrie in Osteuropa oder in den Balkanstaaten auswirken werden, interessiert nicht so sehr. Die nationale Perspektive ist bestimmend, das Ausland kommt nur als Absatzmarkt oder als Konkurrenz des deutschen Standorts vor. So vertun die Gewerkschaften Möglichkeiten, die zu wirkungsvollerer Unfreundlichkeit beitragen könnten.