Chinas Plan für ein »Sicherheitsgesetz« sorgt in Hongkong für Proteste

Ein Land, eineinhalb Systeme

Die Pläne der chinesischen Regierung, ein sogenanntes Sicherheitsgesetz für Hongkong einzuführen, sorgen für die größten Proteste in der Sonderverwaltungszone seit Beginn der Pandemie.

In den vergangenen Monaten war es relativ ruhig um Hongkong geworden. Kleine Gruppen von Demonstranten versuchten zwar, den Widerstand gegen Chinas wachsenden Einfluss in der Sonderverwaltungszone auch in der Covid-19-Pandemie wachzuhalten. Die Massenproteste des vorigen Jahres schienen aber beinahe vergessen. Fast zwei Millionen Menschen hatten damals gegen ein von der Hongkonger Regierung unter Carrie Lam geplantes Auslieferungsgesetz protestiert. Dieses sollte es ermöglichen, von Chinas Justiz angeklagte Hongkonger in die Volksrepublik zu überstellen. Letztlich zog die Regierung das Gesetz zurück.

Nun treibt erneut ein umstrittenes Gesetzesvorhaben die Menschen auf die Straße. Am 21. Mai berichteten chinesische Staatsmedien, der Nationale Volkskongress, das chinesische Parlament, werde auf seiner jährlichen Sitzung in Peking ein »Sicherheitsgesetz« für Hongkong verabschieden. Dieses werde die Hongkonger Behörden verpflichten, Abspaltungsversuche, Einmischungen aus dem Ausland, Terrorismus und Untergrabung der Staatsgewalt zu verhindern und zu bestrafen.

Die Ankündigung aus Peking entfachte die größten Proteste in Hongkong seit Beginn der Pandemie. Tausende gingen auf die Straße. Die Polizei reagierte erneut mit brutaler Härte und nahm mehrere Hundert Demonstranten fest. Am 27. Mai protestierten zudem Hunderte gegen einen umstrittenen Gesetzentwurf, der im Hongkonger Parlament diskutiert wurde. Diesem zufolge soll die Schmähung der chinesischen Nationalhymne, etwa durch Änderung des Liedtexts, mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden.

Trotz der Proteste gegen das »Sicherheitsgesetz« und Kritik aus dem Ausland ermächtigte der Nationale Volkskongress am 28. Mai seinen Ständigen Ausschuss, ein solches Gesetz für Hongkong auszuarbeiten und dem »Basic Law«, der Hongkonger Miniverfassung, beizufügen. Damit träte das Gesetz in Kraft, ohne Hongkongs Parlament befragen zu müssen. Dem Beschluss zufolge soll es der chinesischen Zentralregierung unter anderem erlaubt werden, in Hongkong Zweigstellen nationaler Sicherheitsbehörden einzurichten. Viele Aktivisten befürchten, außergerichtliche Festnahmen und Entführungen in die Volksrepublik könnten bald zur Tagesordnung gehören. Der Fall von fünf Hongkonger Buchhändlern, die Ende 2015 verschwunden und wenig später in chinesischer Haft wieder aufgetaucht waren, ist vielen noch im Gedächtnis. Einer der Buchhändler berichtete später, er sei von einem chinesischen Spezialkommando entführt worden. Regierungschefin Lam sagte vergangene Woche auf einer Pressekonferenz, die Menschen in Hongkong hätten »bis auf weiteres« die Freiheit zu sagen, was sie wollten. Die Vorstellung, chinesische Behörden könnten in Hongkong Demonstranten verhaften lassen, die den Rücktritt der Regierungschefin fordern, sei »im Moment« bloße Phantasie.

Vertreter des demokratischen Lagers sehen in dem geplanten Gesetz das vorzeitige Ende des Prinzips »Ein Land, zwei Systeme«, das Hongkong ein besonderes Maß an Autonomie und demokratische Grundrechte garantieren soll. 1984 hatte die chinesische Führung bei den Verhandlungen zur chinesisch-britischen Gemeinsamen Erklärung zu Hongkong versprochen, der Status der Stadt solle nach der Rückgabe an China im Jahr 1997 für 50 Jahre unverändert bleiben. Die Pekinger Führung unter Staatspräsident Xi Jinping hat in den vergangenen Jahren allerdings aktiv daran gearbeitet, diese Vereinbarung zu untergraben. Vor knapp drei Jahren teilte das chinesische Außenministerium mit, die Gemeinsame Erklärung sei nur noch ein »historisches Dokument«, das von der Regierung als »nicht bindend« angesehen werde – eine Aussage, die in Großbritannien auf Widerspruch stieß. International kritisieren vor allem die britische und die US-Regierung die Hongkong-Politik Chinas.

Während Großbritannien ankündigte, Hongkongern, die sich vor der Übergabe 1997 einen BNO-Pass (British National Overseas) gesichert hatten, ein Aufenthaltsrecht für maximal ein Jahr einzuräumen, droht die US-amerikanische Regierung China damit, Hongkong den zollrechtlichen Sonderstatus zu entziehen. Diese Drohung könnte Chinas Machthaber durchaus nervös machen, nutzen viele von ihnen Hongkong doch als Umschlagplatz für veruntreute Gelder.

Aber warum lässt die chinesische Regierung gerade jetzt ein so kontroverses Gesetz auf den Weg bringen? Ein Grund könnten die Wahlen zum Hongkonger Parlament im September sein, bei denen dem demokratischen Lager ein deutlicher Wahlsieg vorhergesagt wird. Schon bei den Kommunalwahlen Ende 2019 hatte es über 80 Prozent der Sitze in den Distriktvertretungen gewonnen.

Alex Chow, ein ehemaliger Studentenanführer der Hongkonger Regenschirmbewegung, glaubt, China wolle das neue Gesetz nutzen, um Kandidaten des demokratischen Lagers zu disqualifizieren. Vor den Kommunalwahlen hatte der Wahlleiter Briefe an einige demokratische Kandidaten geschickt und sie aufgefordert, sich zur Teilnahme an illegalen Demonstrationen und zur Verwendung von bestimmten Protestslogans zu äußern. Einige bekannte Demokraten hatten daraufhin aus Furcht vor einer Disqualifizierung ihre Kandidatur zurückgezogen und Parteikollegen aus der zweiten Reihe das Feld überlassen.

Die chinesische Regierung wolle ihre Kontrolle über Hongkong ausweiten und »diejenigen, die sich der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) widersetzen, daran hindern, an den Wahlen teilzunehmen«, sagt Chow im Gespräch mit der Jungle World. »Während der Covid-19-Pandemie sind die meisten Länder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu intervenieren. Die KPCh hat dies als Chance erkannt und nutzt diese, um Hongkongs bereits geschwächter Opposition einen erneuten Schlag zu versetzen.«

Die Demonstrierenden stellen sich Chow zufolge auf einen langfristigen Kampf ein. Viele seien bereit, die wirtschaftlichen Konsequenzen möglicher US-Sanktionen hinzunehmen. Würde die US-Regierung Hongkong den zollrechtlichen Sonderstatus aberkennen, gälten auch dort die gegen China verhängten US-Strafzölle. Chow sagt: »Die Unterstützung der Demonstranten für die Abschaffung von Hongkongs wirtschaftlichem Sonderstatus zeigt, unter was für verzweifelten Bedingungen sie leben, und ihren Willen, das System auf lange Sicht zu reformieren. Daher ist es vielen egal, ob sie auf kurze Sicht Schaden nehmen. Das ultimative Ziel ist die Zerschlagung des autoritären Regimes der KPCh.«

Der Soziologe Ho-Fung Hung von der US-amerikanischen Johns Hopkins University ist der Ansicht, vielen Hongkongern könnte es auf lange Sicht besser gehen, wenn die Stadt ihre Abhängigkeit von der Finanz- und Immobilienwirtschaft beende. Wenn die chinesische Oberschicht in Hongkong weniger mit Immobilien spekuliere und Geld wüsche, könnten die Mieten sinken und die Wirtschaft könne sich nach einer zugegebenermaßen schmerzlichen Übergangszeit neu orientieren, argumentierte Hung vergangene Woche in einem Artikel für die Hongkonger Tageszeitung Ming Pao.

Chow meint, Treffen wie den EU-China-Gipfel, der im September in Leipzig stattfinden soll, sollte man angesichts des geplanten Gesetzes überdenken: »Wenn Deutschland und die EU es versäumen, sich solidarisch mit den Demonstranten in Hongkong zu zeigen, wird die KPCh diese Schwäche weiter ausnutzen.« Hongkong habe den Fehler gemacht, sich von chinesischem Geld abhängig zu machen. Er rate der Bundesregierung, diesen Fehler nicht zu wiederholen.