Queerer georgischer Volkstanz in Levin Akins Film "Als wir tanzten"

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Der betörende Film »Als wir tanzten« des schwedischen Regisseurs Levan Akin wirbelt die ­traditionellen Rollenvorstellungen in der georgischen Tanzszene durcheinander.

Der Tanzlehrer schnaubt: »Das ist kein Lambada!« Merab soll sich gerade halten wie ein Denkmal, seine Tanzpartnerin den »neckischen« Blick unterlassen. Merab, gespielt von dem Tänzer Levan Gelbakhiani, ist Student an der Akademie des Georgischen Nationalballetts in Tiflis. Er lässt sich vom peitschenden Rhythmus der ritualisierten Bewegungen immer wieder mitreißen. Sein auf Kontrolle und Straffheit gedrillter Körper drängt zur Berührung und zum Flirt. Doch das Wilde darf nicht auf die falsche Bahn – Sexualität! – geraten, soll sich nicht entfesseln, der Tanz soll jungfräulich rein sein, von kontrollierter Männlichkeit, hart, staatstragend. Beim georgischen ­Nationaltanz gehe es nicht nur um Tradition und Perfektion, erklärt der Direktor. Er sei »der Schrei unserer Gene«.

Levan Akins »Als wir tanzten« folgt nur auf den ersten Blick den dramaturgischen Gesetzen eines typischen Tanzfilms. Irakli (Bachi Valishvili) kommt neu in die Klasse. Er ist schön, vor allem aber hat er Talent, für Merab wird er zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz. Nachdem ein Tänzer aus der Gruppe geworfen wurde, ist ein Platz im festen Ensemble zu vergeben, zum Vortanzen werden jedoch nur wenige zugelassen. Kaum in den Raum gestellt, fällt das ganze Konstrukt aus Disziplin und Wett­bewerb in der Hitze schwulen Begehrens auch schon wieder zusammen. Merab zieht es zu Irakli hin.

Der georgische Tanz ist der Spiegel einer streng binären Ordnung. Sein Bewegungsrepertoire rekurriert nicht nur auf kriegerische Auseinander­setzungen, sondern auch auf patriarchale Paarbildungsrituale.

Der in Schweden geborene Filmemacher Levan Akin hat georgische Wurzeln. In seinem dritten Spielfilm – es ist der erste, der in Georgien spielt – verbindet er eine queere Liebesgeschichte mit dem Porträt einer Nation, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihren Weg aus der kulturellen Krise sucht, indem sie sich hartnäckig an die alten Traditionen klammert. Eine Karriere im Nationalballett ist für Merab vor allem ein Weg aus der wirtschaftlichen Misere seiner Familie. Neben dem Studium muss er in einem Restaurant arbeiten, doch der Nebenverdienst reicht nicht immer, um die Stromrechnung zu zahlen. Zumal sein Bruder David (Giorgi Tsereteli), der ebenfalls an der Akademie studiert, das Geld schon mal versäuft. Als ­Ensemblemitglied verdient man gut und kann ins Ausland reisen. Doch auch eine solche Karriere kann schlecht ausgehen: Merabs Vater hatte es bis auf die Bühne der Royal ­Albert Hall geschafft, um schließlich als Händler auf dem örtlichen Gemüsemarkt seinen Unterhalt verdienen zu müssen.

Akin betrachtet die Gesellschaft durch das Prisma des Tanzes. Tatsächlich gibt es in Georgien nur weniges, was so stark mit der nationalen Identität verbunden wird wie der Tanz, vielleicht noch der polyphone Gesang und natürlich die Kirche. Seit Adam und Eva sei ein Mann ein Mann und eine Frau eine Frau, mahnt der ­orthodoxe Priester bei der Hochzeit von Merabs Bruder, und warnt vor den Gefahren der Globalisierung.

Der georgische Tanz ist der Spiegel einer streng binären Ordnung. Sein Bewegungsrepertoire rekurriert nicht nur auf kriegerische Auseinandersetzungen, sondern auch auf patriarchale Paarbildungsrituale. Beim Kartuli etwa bewegt sich der Tänzer mit steifem Oberkörper über die Bühne, die Frau muss mit gesenktem Blick wie der Schwan auf einem See über den Boden gleiten, das Paar darf sich dabei nicht berühren. Wie er­bittert konservative Kräfte das darin formulierte Geschlechterbild ver­teidigen, zeigten die Reaktionen, die der Film in Georgien hervorrief. Am Tag seiner Uraufführung in Tiflis kam es zu einem Aufmarsch nationalistischer und orthodoxer Gruppen, die Kirche nannte den Film in einer offiziellen Stellungnahme eine »Popularisierung von Sodomitenbeziehungen«. Eine Vorführung in Batumi musste unter Polizeischutz stattfinden. Der Abspann weist die Mitwirkung eines georgischen Choreographen an dem Film aus, sein Name bleibt aber ungenannt, um ihn zu schützen.

»Als wir tanzten« beginnt mit einer Montage alter Archivaufnahmen von Tänzen in Schwarzweiß und kleinem Bildformat. Darauf folgt die ­Demontage der strengen Choreographie. Mit seiner satten, sensuellen Bildsprache und der sich an Gesichter und Körper anschmiegenden Handkamera löst Akin die Symmetrie und Synchronität des Tanzes auf. Während die Appelle an die Männlichkeit und das zotenhafte Garderoben­geschwätz der Tänzer durch den Raum schwirren, treffen sich die Blicke zweier Männer, die weich sind wie Wachs. Der Film wirkt wie unter leichtem Fieber. Die Farben glühen, mitunter wirken die Kontraste fast ein wenig zu weit aufgedreht, das Licht ist warm und buttrig. Merab schmilzt nur so dahin. Seine Verknalltheit sieht man ihm nicht nur an, sie wirkt ansteckend, ebenso wie der herzzerreißende Liebeskummer.

Bei einem Wochenende im Landhaus der Familie von Mary (Ana ­Javakishvili), die seit vielen Jahren Merabs Tanzpartnerin und »irgendwie« auch seine Freundin ist, sieht man die Tänzer und Tänzerinnen, die sich vom Korsett ritueller Formen befreit bewegen. Anstatt sich dem treibenden Rhythmus der Trommeln zu fügen, denen das Akkordeon atemlos hinterherhetzt, tanzen sie zu »Take a Chance on Me« von Abba: »If you change your mind / I’m the first in line / Honey, I’m still free / Take a chance on me«. Kurze Zeit später erklingt die Disco-Hymne, »Honey« von Robyn. Honig als Metapher: Die erste sexuelle Begegnung zwischen Merab und Irakli ist erst schüchtern und hastig, dann zugewandt und wie ein süßer Rausch. Doch natürlich darf das alles nicht sein. Über den aus der Kompanie ­geflogenen Tänzer kursieren Gerüchte, er sei verprügelt worden, nachdem er auf einer Tour Sex mit einem Aserbaidschaner hatte. Jetzt soll er im Kloster wieder auf den rechten Weg gebracht werden.

Akin setzt die gespaltene Gesellschaft immer wieder mit den Mitteln des klassischen Melodrams ins Bild: mit Ansichten von Spiegeln, Durchgängen und Fenstern, die auch den privaten Raum preisgeben. Auch die Tonebene kontrastiert das parallele Geschehen. Während Merab und Irakli im Garten hinter einem Zelt wichsen, trinken die älteren Männer am Lagerfeuer auf die Brüderlichkeit, die Freundschaft und die schöne Umgebung. Dann deklamieren sie lautstark nationale Gedichte.

Der Film zeigt auf der anderen Seite auch die Schönheit der Traditionen und hat viel übrig für den intergenerationellen Zusammenhalt in den Familien, für Großmütter, die ihre Enkel mit dicken Teigtaschen versorgen, und Kinder, die sich liebevoll um die Alten kümmern, für die erschütternd schönen Gesänge und das festliche Kleid, auch für die Akrobatik und Körperbeherrschung im Tanz. Das alles gewinnt seinen Reiz jedoch erst durch die neuen Möglichkeiten – etwa wenn Merab in die Welt der LGBTQ-Szene eintaucht und die Bars und Clubs für sich entdeckt. »Was zum Teufel ist das?« fragt der Direktor ungläubig beim Vortanzen. Nach einer so schmerzvollen wie befreienden Zeit des Übergangs bringt Merab den georgischen Nationaltanz mit seiner queeren Interpretation zum Schillern.

Als wir tanzten (Georgien / Schweden /Frankreich 2019). Regie und Buch: Levan Akin, Darsteller: Levan Gelbakhiani, ­Bachi Valishvili, Ana Javakishvili, Giorgi Tsereteli.
Filmstart: 23. Juli