Bei Lügen über Herkunft und Ethnizität geht es auch um Antisemitismus

Eine sonderbare Geschichte

Im Fall Jessica Krug spiegeln sich der Rassismus und Antisemitismus der US-Gesellschaft.

Auf die Frage, ob er die Historikerin Jessica Krug kenne, die als Professorin an der George Washington University von sich behauptet hatte, sie sei schwarz und aus der Bronx, aber eigentlich aus einer weißen Mittelschichtsfamilie in Kansas kam, antwortete ein befreundeter US-amerikanischer Professor für black studies: »Nein, das ist allerdings eine sonderbare Geschichte.« Wie genau Krug diese Scharade aufrechterhalten habe, wisse er (selbst ein Afroamerikaner) auch nicht. An der Debatte finde er auffällig, dass eines nie zur Sprache komme: Krug sei als weiße Frau an der George Washington University angestellt worden. Die Berufungskommissionen an US-Universitäten seien »überwiegend weiß«. Krug habe erst nach ihrer Anstellung damit begonnen, ihre Biographie »aufzuschwärzen«. Durch die Debatte geistere die Vorstellung, es sei an US-Universitäten bei der Einstellung von Vorteil, schwarz zu sein. Lachhaft sei das. Die ganze Geschichte sei schlicht US-amerikanische racial pathology in Aktion. Er und die meisten seiner Bekannten hielten die Geschichte für »einen Witz«, mehr habe er dazu nicht zu sagen.

Warum sollte auch ein schwarzer US-Amerikaner erklären, aus welchem Grund sich eine weiße Mittelschichtsamerikanerin eine »schwarze« Biographie andichtet? Über materielle und karrieristische Motive ist viel diskutiert worden, ein Bedürfnis nach street credibility und der Distanzierung von der Herkunft aus dem als langweilig und provinziell geltenden flyover country zwischen den urbaner geprägten US-Küstenregionen könnte auch eine Rolle gespielt haben. Diese Frage kann Jessica Krug nur selbst beantworten oder vielleicht jemand, die oder der sie gut kennt. Es liegt zudem auf der Hand, was alles falsch daran ist, wenn ein akademischer shooting star an einer so teuren wie sterilen US-amerikanischen Eliteuniversität so tut, als sei sie »aus der Hood«, obwohl ihre Kindheit (inklusive Besuch einer Privatschule) recht behütet gewesen sein dürfte. Den Schaden hat sie inzwischen vor allem selbst, mit der Karriere in black studies ist es wohl vorbei.

Es gibt aber noch eine andere Seite der Geschichte: Krugs durch die Scharade verdeckte jüdische Herkunft. »Es steckt eine Jessica Krug in jedem Juden«, behauptet in der Times of Israel der Philosoph und Kabbala-Experte Michael Laitman. Sie hatte nicht nur versucht, sich als »schwarze Radikale« zu profilieren, sondern auch als (nichtjüdische) Antizionistin, die Israel im Namen einer imaginierten Front der globalen Unterdrückten kritisierte. Laitman zufolge erklärt sich ihre Performance als Versuch, den empfundenen Makel jüdischer Partikularität loszuwerden. Bei der These vom »jüdischen Selbsthass«, auf die Laitman hier anspielt, ist Skepsis angebracht. Aber es liegt doch nahe, dass Krug, die offenbar in einem konservativen jüdisch-orthodoxen Elternhaus aufwuchs, diesbezüglich bestimmte issues hatte.

Auch dazu müsste man letztlich Krug selbst befragen. Gut möglich, dass sie in ein oder zwei Jahren dazu mit einem Buch in ­Erscheinung tritt, das sich ausführlich mit der Geschichte ihrer Selbst­inszenierung und ihren Motiven auseinandersetzt. In gewisser Weise wäre das sogar die konsequente Fortführung ihres ausgeprägten Geltungsdrangs. Da Krugs tatsächliche wie auch ihre ­erfundene Biographie eine Reihe von prominenten identitätspolitischen Konflikten in der US-Gesellschaft berührt, bestünde hier durchaus Potential für einen Bestseller.