Jihadisten in Mali lassen Geiseln im Tausch gegen Geld und Gefangene frei

Ein Fest für Jihadisten

Der malische Oppositionsführer Soumaïla Cissé und die französische Entwicklungshelferin Sophie Pétronin wurden freigelassen – offenbar im Austausch gegen 204 Gefangene, darunter leitende Jihadisten, und eine Menge Geld.

Ein üppiges Festmahl mit Hunderten Teilnehmern mitten in der Wüste, unweit der Grenze zwischen Mali und Algerien: Das gab es vorige Woche in Anwesenheit von Iyad Ag Ghali, dem Anführer der jihadistischen »Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime« (GISM), die dem internationalen Netzwerk al-Qaida angegliedert ist. Ein Foto des Ereignisses machte im Internet die Runde.

Für die Freilassung der Geiseln soll ein Lösegeld von bis zu 20 Millionen Euro gezahlt worden sein.


Es gab etwas zu feiern: Von Montag bis Donnerstag voriger Woche waren insgesamt 204 Gefangene aus malischer Haft freigelassen worden. Medienberichten zufolge waren darunter rund 20 leitende Kader der GISM, unter anderem einer der Attentäter vom Anschlag auf das internationale Hotel Radisson Blu in der malischen Hauptstadt Bamako im November 2015, und Sprengstoffspezialisten. Die meisten Analysen gehen davon aus, dass sich auch viele im Zuge der militärischen Auseinandersetzungen im Norden Malis unschuldig Verhaftete und einfache Kriminelle unter den freigelassenen Häftlingen befanden. Dem französische Wochenmagazin Le Point zufolge steigert dies Popularität Ghalis im Norden Malis: Da Ortsansässige in etwa wüssten, wer unschuldig einsaß oder nicht zum Kern der GISM zählte, erscheine Ghali nun als Wohltäter und nicht nur als Befreier der eigenen Kombattanten.

Die Freilassungen erfolgten Medienberichten zufolge im Rahmen einer Vereinbarung. Vorige Woche ließen mutmaßlich Jihadisten den malischen parlamentarischen Oppositionsführer Soumaïla Cissé (Jungle World 21/2020), die Französin Sophie Pétronin und zwei Italiener frei. Pétronin hatte Waisenkindern in der malischen Stadt Gao geholfen, bevor sie am 24. Dezember 2016 im Raum Gao entführt wurde. Nach offiziellen Angaben war die 75jährige die letzte französische Geisel im Ausland. Cissé war am 25. März entführt worden, vier Tage vor der malischen Parlamentswahl.

Für die Freilassung der Geiseln soll ein Lösegeld gezahlt worden sein. Dessen Höhe wurde nicht offiziell bekannt gegeben. Medien in Mali sprechen von 20 Millionen Euro. Mal heißt es, die französische Regierung habe die Zahlung des Lösegelds missbilligt, mal wird dem widersprochen. Es scheint jedoch festzustehen, dass das Geld vom malischen Staat und nicht aus Europa kam.

Bereits zu Beginn voriger Woche berichteten malische und französische Medien über einen bevorstehenden Gefangenenaustausch. Doch erst am Donnerstagabend derselben Woche trafen Pétronin und Cissé in Bamako ein. Die Französin reiste am Tag darauf weiter; in den Abendstunden traf sie auf dem Militärflughafen von Villacoublay bei Versailles ein. Dort war zu ihrem Empfang auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron anwesend. Ihr Sohn, Sébastien Pétronin, durfte nicht dabei sein. Er war während ihrer Gefangenschaft wiederholt nach Mali und in das Nachbarland Niger gereist und hatte dort diverse Mittelsleute getroffen. Die französische Regierung schien sein Handeln oft als eigenmächtig zu beurteilen. Sie enthielt ihm Informationen vor, jedenfalls seiner Ansicht nach. Die Regierung beglich jedoch wiederholt Reise-, Visa- und Hotelkosten Sébastien Pétronins.

Die Internetzeitung Mediapart spricht bezüglich der Freilassungen von »Interessengegensätzen zwischen Paris und Bamako«. Ursprünglich habe Cissé im Juli – anderen Quellen zufolge wohl sogar bereits im Frühjahr – freikommen sollen, aber militärische Auseinandersetzungen zwischen Ablegern von al-Qaida und des »Islamischen Staats« (IS) in Zentralmali hätten die Geiselnehmer zu Ortswechseln gezwungen. Zuvor habe der IS seinen Widersachern vorgeworfen, sich in Verhandlungen mit dem malischen Staat nachgiebig zu zeigen.

Mediapart zufolge saß die Mehrzahl der freigelassenen Häftlinge in dem auch für Anwälte nicht zugänglichen Geheimgefängnis der mächtigen malischen Staatssicherheit (SE) ein. Der damalige Leiter der SE, General Moussa Diawara, sei nicht in die Verhandlungen mit den Jihadisten einbezogen gewesen. Er habe sowohl diese als auch die Verhandlungen mit der französischen Regierung unterminiert – Letztere, weil Frankreich darauf bestanden habe, dass Cissé nicht vor Pétronin freigelassen werden dürfe. Die Geiselnehmer hätten Pétronin aber als Geisel behalten wollen. Diawara leitete die SE bis zum Militärputsch Mitte August, der den unbeliebten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta aus dem Amt beförderte.

Le Point zufolge hatten Ghali und seine Leute nichts gegen eine Freilassung Pétronins einzuwenden. Diese sei wegen ihres hohen Alters respektiert worden, aber auch, weil sie zum Islam konvertiert war – nicht in der Gefangenschaft, wie viele französische Medien zunächst schrieben, sondern bereits deutlich früher. Nach der Konversion nahm sie den Namen Mariam an. Als sie, von den Ortswechseln in der Sahara erschöpft, ihren Geiselnehmern vorgeschlagen habe, sie zu erschießen, hätten diese ihr geantwortet: »Aber Mariam, so etwas können wir nicht tun!«

Le Point geht davon aus, dass unter anderem Konflikte zwischen den von der malischen Regierung eingeschalteten Unterhändlern, darunter der Tuareg Ahmada Ag Bibi, ein Cousin und Freund Ghalis, und später auch Diawara Pétronins Freilassung verzögerten. Die Verzögerung trieb den Preis für Pétronins Freilassung offenbar in die Höhe. Medienberichten zufolge hatten die Geiselnehmer ursprünglich die Freilassung von 20 oder 30 Personen und zwei Millionen Euro Lösegeld gefordert.