Die Hintergründe des Verbots der Grauen Wölfe in Frankreich und ihre Rolle in der Türkei

Nachts sind alle Wölfe grau

Die türkische Regierung leugnet die Existenz der rechtsextremen Grauen Wölfe. Doch deren Verbot in Frankreich fasst sie als diplomatische Provokation auf.

Als Frankreichs Ministerrat Anfang November per Dekret die türkisch-rechtsextremen Grauen Wölfe verbieten ließ, sprach die Regierung der Türkei in Rätseln. »Es ist bekannt, dass es keine Bewegung namens Graue Wölfe gibt, wie sie heute von der französischen Regierung verboten wurde«, hieß es aus dem türkischen Außenministerium. Eine solche Organisation sei ein Phantasiegebilde Frankreichs. Das Verbot sei vor allem Ausdruck der psychischen Verfassung des Landes, das es erlassen habe.

Die rechtsextreme Partei der nationalistischen Bewegung (MHP), die seit 2018 mit Präsident Recep Tayyip Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) koaliert, leugnete eine Verbindung zu den Bozkurtlar, wie sich die Grauen Wölfe in türkischer Sprache nennen. Obwohl die MHP als politischer Arm der Grauen Wölfe gilt, behauptet die Parteiführung, als ihre Partnerorganisation in Frankreich könne allein die Türk Federasyon (Türkische Föderation) gelten.

Die Geschichte der Grauen Wölfe ist seit ihrer Entstehung in den sechziger Jahren zugleich eine Geschichte der Verleugnung.

Einen Verband dieses Namens gibt es zwar in Deutschland, nicht jedoch in Frankreich oder der Türkei (Die Männer fürs Grobe). In den dazugehörigen Moscheevereinen und sozialen und politischen Zentren Ülkü Ocakları (Idealistenclubs) organisiert die MHP in Deutschland ihre Anhänger und betreibt die ideologische Schulung, vor allem junger Ultranationalisten (Jungle World 39/2015). Es gibt in Frankreich jedoch zahlreiche »Vereine der Patrioten« oder »Heimstätten für Idealisten und Patrioten«, deren Namen auf eine Or­ganisation türkischer Ultranationalisten schließen lassen und zugleich deren Ideologie verharmlosen.

Trotz der vehementen Leugnung der Existenz einer Gruppierung mit dem Namen Grauen Wölfe verurteilte das türkische Außenministerium ausdrücklich das Verbot ihrer Symbole, insbesondere das Zeigen des »Wolfsgrußes«. Dabei werden die Spitzen von Mittel- und Ringfinger auf die des Daumens gepresst, Zeigefinger und kleiner Finger wie Wolfsohren abgespreizt. Alparslan Türkeş, Gründer, langjähriger Parteiführer der MHP und Ziehvater der Grauen Wölfe, erläutert laut Verfassungsschutz: »Der kleine Finger symbolisiert den Türken, der Zeigefinger den Islam. Der beim Wolfsgruß entstehende Ring symbolisiert die Welt. Der Punkt, an dem sich die restlichen drei Finger verbinden, ist ein Stempel. Das bedeutet: Wir werden der Welt den türkisch-islamischen Stempel aufdrücken.«

Es sei »nicht hinnehmbar«, so das türkische Außenministerium, »Symbole zu verbieten, die in vielen Ländern der Welt verwendet werden, weit verbreitet sind und nichts Illegales an sich haben.« Das Dekret der französischen Regierung gegen die Grauen Wölfe versteht Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu (AKP) als Angriff auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Türken in Frankreich; diese gelte es nun »so entschieden wie möglich« zu schützen.

Bereits Mitte Oktober hatte sich die Auseinandersetzung zwischen dem französischen Präsidenten Macron und Erdoğan (Kaum mehr als ein Strohfeuer) zur diplomatischen Krise zugespitzt. Nach dem jihadistischen Mord an dem Geschichtslehrer Samuel Paty hatte sich Macron deutlich zur Meinungsfreiheit in Frankreich bekannt und die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed verteidigt. Erdo­ğan forderte daraufhin, Macron solle seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Nachdem die Satirezeitschrift Charlie Hebdo auf ihrer Titelseite eine Karikatur des türkischen Präsidenten gedruckt hatte, rief dieser zum Boykott französischer Waren auf. Frankreich zog seinen Botschafter in Ankara zeitweilig für Konsultationen ab.

Die Existenz der Grauen Wölfe zu leugnen, ist zwar absurd, aber in der Türkei üblich. Die Geschichte dieser faschistoiden Bewegung ist seit ihrer Entstehung in den sechziger Jahren zugleich eine der Verleugnung. Während des Zweiten Weltkrieges unterhielten türkische Ultranationalisten und Faschisten Verbindungen zum nationalsozialistischen Regime, Türkeş zitierte in seinen frühen Reden aus Hitlers »Mein Kampf«. Nach ihren Anfangsjahren als paramilitärische Jugendbewegung im Umfeld der MHP traten die Grauen Wölfe seit 1968 vor allem mit Gewalttaten gegen die erstarkende türkische Linke in Erscheinung.

Dementsprechend traten sie konspirativer auf. Leitwolf Türkeş forderte seine Anhänger auf, listig wie ein Wolf zu sein. Ihre Kader kämpften 1979 gegen die linke und kemalistische Studentenbewegung. Die MHP und ihre Jugendorganisation wurde nach dem Militärputsch 1980 verboten, ihre Ideologie der türkisch-islamischen Synthese wurde jedoch Staatsdoktrin(siehe Seite 4). Einer ihrer prominentesten Anhänger dürfte wohl Mehmet Ali Ağca sein, der 1981 ein Attentat auf Papst Johannes Paul II. verübte. Nicht nur in Frankreich fielen die Grauen Wölfe immer wieder durch politische Morde und Angriffe auf Angehörige türkischer Minderheiten, vor allem auf Kurden, Aleviten und Armenier, auf.

Die Armenien-Frage ist ein weiterer, fast seit einem Jahrhundert schwelender Konflikt zwischen Frankreich und der Türkei. Die armenische Diaspora in Frankreich ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts die größte Europas, es leben dort fast 600 000 Armenier und Armenierinnen. Die französische Regierung hatte bereits 2001 ein Zerwürfnis mit der Türkei in Kauf genommen, als sie den Massenmord an den Armeniern 1915/1916 als erstes europäisches Land offiziell als Genozid anerkannte.

Frankreichs Regierung sei »vollkommen ein Gefangener der armenischen Kreise geworden«, war nach dem Verbot der Grauen Wölfe aus dem türkischen Außenministerium zu hören. Bereits im Sommer, als der bewaffnete Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Kaukasus-Region Bergkarabach begann, hatte die Bürgermeisterin von Décines-Charpieu, Laurence Fautra, behördlichen Schutz für die armenisch-französische Diaspora gefordert. Diese werde von türkischen Ultranationalisten bedroht. Die armenische Konfliktpartei erhielt Geld und Material aus der Diaspora, es beteiligten sich Freiwillige an den Kämpfen im Kaukasus. Die Türkei hatte bis zum Waffenstillstand am 10. November die aserbaidschanischen Streitkräfte militärisch unterstützt, Russland kündigte Armenien im Falle eines Angriffs auf sein Territorium Unterstützung an.

In Décines-Charpieu, einem Vorort von Lyon, lebt eine große armenische Community, seit 1932 gibt es dort eine von mittlerweile zwei armenischen Kirchen, im selben Jahr öffnete La Maison de la culture arménienne seine Türen. In dessen unmittelbarer Nähe steht seit 1972 in Erinnerung an den Genozid ein Mahnmal, das in der Nacht auf den 31. Oktober beschmiert wurde: »RTE« (Abkürzung für Recep Tayyip Erdoğan), »Loup gris« (Grauer Wolf) und »Nique l’Arménie« (in etwa »Fick Armenien«) war dort in gelber Farbe zu lesen. Am 28. Oktober war es weiter südlich auf der Autobahn 7 nahe der Kleinstadt Vienne bei Protesten gegen die aserbaidschanische Militärintervention zu Prügeleien zwischen proarmenischen Demonstranten und türkischen Nationalisten gekommen. Am darauffolgenden Abend zogen etwa 250 türkische Nationalisten durch Décines, sowie auch durch Vienne und Dijon. Viele zeigten durch den Wolfsgruß ihre ideologische Zugehörigkeit, skandierten antiarmenische Slogans, riefen »Allahu akbar« und »hier ist die Türkei«. Innenminister Gérald Darmanin äußerte Anfang November auf Twitter, die Grauen Wölfe schürten »Diskriminierung und Hass« und seien in Gewaltakte verwickelt. Am 4. November gab Regierungssprecher Gabriel Attal das Verbot der Grauen Wölfe bekannt.

Die Vorfälle, die dem Verbot der Grauen Wölfe vorausgingen, schilderte die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı lückenhaft und verzerrt. Es hätten »Türken in Lyon und Dijon gegen die gewalttätigen Armenier protestiert« und seien von der Polizei mit Reizgas attackiert und mit Geldbußen bestraft worden. »Die französischen Behörden und die Politik ignorieren die Gewalttätigkeit der Armenier, während die friedlich demonstrierenden Türken ausgewiesen werden sollen«, so Anadolu Ajansı.

Das Dekret ist ein exekutives Mittel, mit dem das Parlament als Legislative umgangen werden kann. Es kennzeichnet – bei allen Unterschieden in den Bedingungen – sowohl das türkische als auch das französische Präsidialsystem. Der Vorsitzende der oppositionellen türkischen Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kılıçdaroğlu, nannte Erdoğan mehrfach einen Autokraten, der per Dekret regiere und diese Form des Regierens als Knute gegen politische Gegner einsetze.

In Frankreich wird nun also per Dekret eine Organisation samt ihrer Symbole verboten, die es in der Türkei offiziell nie gab. Diese Entscheidung ist nicht nur ein deutliches Signal für ein restriktiveres Vorgehen der Regierung Macrons gegen extremistische Gruppierungen. Sie verdeutlicht zudem, dass das Agieren der Grauen Wölfe in Frankreich von der französischen Regierung als Pendant zur aggressiver werdenden türkischen Außenpolitik gesehen wird.