Hamburg verzichtet auf vollständige Schulschließungen

Hamburg bleibt hart

Im Zuge der neuerlichen Verschärfung der Pandemieregelungen wurde bundesweit entweder der Beginn der Weihnachtsferien vorgezogen oder zumindest die Anwesenheitspflicht ausgesetzt. Wie einige andere Bundesländer entschied sich Hamburg für Letzteres: Die Schulen bleiben geöffnet, wenn auch Fernunterricht das erklärte Ziel ist.

Die Schulen vollständig schließen? Das ist in der Hansestadt Hamburg nach wie vor undenkbar. Zwar enthält der Beschluss der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 13. Dezember explizit die Möglichkeit einer vollständigen Schulschließung, in Hamburg setzte man aber lieber nur die »Präsenzpflicht« aus. Das bedeutet: Die Eltern sollen entscheiden, ob sie ihre lieben Kleinen in die Schule geben oder nicht. Zu Hause ist auch nicht frei, sondern Fernunterricht. Der Hamburger Senat hat so, wie auch die Regierungen einiger anderer Bundesländer, die Verantwortung den Eltern und den Schulen zugeschoben.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg, Anja Bensinger-Stolze, reagierte empört und forderte in einer Stellungnahme eine durchgehende Schließung der Schulen vom 16. Dezember bis zum 10. Januar. Da in Hamburg vom 21. Dezember bis zum 4. Januar Weihnachtsferien sind, geht es um sieben Schultage.

Eltern sollen entscheiden, ob sie ihre lieben Kleinen in die Schule geben oder nicht.

Bensinger-Stolze kritisierte die Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB): »Die Lehrkräfte sollen zur gleichen Zeit Schülerinnen und Schüler zu Hause und in der Schule in halbierten Klassen unterrichten und dabei für alle den vollen Stundenplan durchziehen.« Das sei mehr als nur eine Überlastung der Lehrkräfte, denn es sei mit der vorhandenen Anzahl an Lehrkräften schon rein rechnerisch nicht möglich. Die Vereinigung der Schulleitungen der Stadtteilschulen und der Verband der Schulen des gemeinsamen Lernens kritisierten dem Norddeutschen Rundfunk zufolge das Vorgehen des Senats ebenfalls.

In den vergangenen Wochen ließ Schulsenator Ties Rabe (SPD) keine Gelegenheit aus, um für das Offenhalten der Schulen zu werben. Sie seien keine Infektionsherde, die Zahlen seien niedrig und die Konzepte gut. Bereits Mitte November hatte er gesagt, dass rund 80 Prozent der Covid-19-Erkrankungen an Schulen ihren Ursprung außerhalb, im Freizeitbereich, hätten und die Infektionsgefahr dort viel höher sei. Die Daten, auf die sich Rabe bezog, wurden umgehend angezweifelt, weil unklar blieb, wie genau sie erhoben worden waren. Derzeit liegen in Hamburg die ­Infektionszahlen pro Hunderttausend Einwohnern unter dem – allerdings untragbar hohen – bundesweiten Durchschnitt.

Der Landesverbandsvorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Hamburg, Stefan Renz, zeigte sich in der vergangenen Woche »komplett enttäuscht« von der Schulbehörde, die sich zu Unrecht auf ihn berufen habe. Der Kardiologe war in einer Pressemitteilung der BSB vom 11. Dezember, also kurz vor dem Bund-Länder-Beschluss über einen neuerlichen sogenannten lockdown, mit den Worten zitiert worden: »Wir Hamburger Kinderärztinnen und -ärzte unterstützen den Beschluss der Kultusministerkonferenz und der Schulbehörde, die Schulen offen zu halten, denn wir sehen gravierende Folgen der Schulschließungen im Frühjahr.« Wie das Hamburger Abendblatt berichtete, stammt das Zitat Renz zufolge aus einem Gespräch, dass dieser mit dem Schulsenator bereits Mitte November geführt hatte, als die Infek­tionszahlen bei weitem noch nicht so hoch waren.

Nun hat die Hamburger Linkspartei in einem weiteren Bereich genauer hingesehen. Ihr ist aufgefallen, dass die Schulbehörde in ihren Statistiken häu­figer die Bezugsgröße wechselt. »Mal ist von 20 000 Schulbeschäftigten die Rede, dann wieder von ›rund 24 000‹ und schließlich von 34 830«, sagte Sabine Boeddinghaus, eine Bürgerschaftsabgeordnete der Partei. In einer Kleinen Anfrage bat sie den Senat am 3. Dezember um eine Erklärung dieses Zahlenwirrwarrs. Denn je nachdem, welche Zahl man zugrunde legt, ergibt sich ein höherer oder niedriger Inzidenzwert beim Schulpersonal.

Lange behauptete der Schulsenator, dass Hamburg auch hier genau im Bundesdurchschnitt oder sogar darunter liege. Dies zweifelt die Linkspartei an. »Wenn die Bezugsgrößen sich ständig ändern, bleiben Zweifel an der Richtigkeit der ermittelten Werte«, so Boeddinghaus. Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts scheinen ihr recht zu geben. Die Inzidenzwerte fielen in der Alterskohorte der sechs- bis 17jährigen in den Kalenderwochen 45 und 46 – also nach den Herbstferien – beispielsweise deutlich höher aus beim Rest der Bevölkerung.
Die Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage erfolgte am Freitag der vorvergangenen Woche. »Die für Bildung zuständige Behörde legt der Berichterstattung aktuell rund 255 600 Schülerinnen und Schüler sowie rund 35 000 Beschäftigte (ohne Beschäftigte in der ganztägigen Bildung und Betreuung) zugrunde«, heißt es dort.

Auf Nachfrage der Jungle World wird der Pressesprecher der BSB, Peter Albrecht, ein wenig konkreter. Der Unterschied erkläre sich dadurch, dass »wir als Schulbehörde normalerweise nur die staatlichen Schulen und die dort Schulbeteiligten als Bezugsgröße haben und veröffentlichen. Bei den Coronameldungen melden aber auch alle Privatschulen an uns und es werden grundsätzlich alle Schulbeteiligten gerechnet, auch diejenigen, die bei externen Trägern beschäftigt sind.«

Die Vermutung, dass der Inzidenzwert mittels nach Bedarf variierter Bezugsgrößen gedrückt worden sein könnte, um die Schulen länger offen zu halten, kann die Antwort des Senats und des Pressesprechers der Schulbehörde nicht ganz ausräumen. Die Linke wünscht sich mehr Transparenz und eine bessere Vergleichbarkeit der ­Zahlen.