Frankreichs Regierung verbietet die rechtsextreme Génération Identitaire

Ein Verbot mit Tücken

Die französische Regierung hat Anfang März die rechtsextreme Gruppe Génération Identitaire verboten. Aus ihr gingen die österreichischen und deutschen Ableger der »Identitären Bewegung« hervor.

Den Charme Belgiens, der bereits prominente Steuerflüchtlinge aus dem benachbarten Frankreich wie den Schauspieler Gérard Depardieu angezogen hat, könnten nun auch französische »Identitären« erleben. Ihre wichtigste Organisation, Génération Identitaire (GI), wurde am 3. ärz durch einen Kabinettsbeschluss verboten. Gemäß einem Gesetz aus dem Jahr 1936, das damals gegen die unter dem Sammelnamen »Ligues« (Bünde) auftretenden rechtsextremen, oft profaschistischen Kampfverbände erlassen wurde, kann eine politische Organisation durch einen Beschluss des Ministerrats aufgelöst werden. In der Mehrzahl der Fälle blieben politische Strukturen, denen eine solche Auflösung galt, jedoch in der einen oder anderen Form erhalten.

Innenminister Gérald Darmanin hatte am 26. anuar angekündigt, das Verbot zu prüfen. Die Anhängerinnen und Anhänger der GI scheinen daraufhin den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in die belgische Region Wallonie verlagert zu haben, wie das französische Antifaportal »La horde« berichtete. Allerdings hat das Verbot ohnehin nur eine relativ geringe Bedeutung, da die französischen »Identitären« vor allem Wert darauf legten, Regionalorganisationen aufzubauen. Dabei achteten sie darauf, dass diese nicht denselben Namen trugen und nicht dasselbe Führungspersonal wie der landesweite Verband aufwiesen, um nicht ebenfalls unter ein Verbot zu fallen.

Die GI war im Herbst 2002 unter dem damaligen Namen Jeunesses identitaires (Identitärer Jugendverband) gegründet und 2012 umbenannt worden. Ihre Gründung erfolgte in Reaktion auf das Verbot der Vorläufervereinigung Unité radicale (UR). Diese 1998 entstandene Sammelbewegung der außerpar­lamentarischen extremen Rechten wurde im August 2002 verboten, nachdem ihr Mitglied Maxime Brunerie am Nationalfeiertag im Monat zuvor mit einem Gewehr auf den damaligen Staatspräsident Jacques Chirac geschossen hatte (Jungle World 31/2002). Die Organisationen der »Identitären« versuchten allerdings, einige ideologische Neuerungen zu vollziehen, und schworen insbesondere dem zu Zeiten von UR noch prägenden Antisemitismus ab, um sich auf eine Agitation gegen »außereuropäische Einwanderung« und »Islamisierung« zu konzentrieren.

Brunerie selbst wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, kam 2009 wegen guter Führung vorzeitig frei und hielt sich zunächst politisch zurück. Am 20. ebruar wurde er auf einer Pariser Protestdemonstration gegen das damals noch geplante Verbot der GI gesichtet, an der rund 500 Anhänger aus dem harten Kern der Gruppe teilnahmen. Das wurde in manchen Medien kurzzeitig skandalisiert, ging jedoch in der Bericht­erstattung weitgehend unter.

Den letzten Anlass für das Verbot lieferte eine Aktion von GI am 19. anuar am Col du Portillon in den Pyrenäen an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien. Dort schwangen sich rund 30 Aktivisten zu Grenzschützern auf, indem sie auf dem damals für Migranten aus Spanien geschlossenen Gebirgspass eigenen Angaben zufolge »Patrouil­len« organisierten. Es handelte sich um eine symbolische Aktion, der mehrere ähnliche vorausgegangen waren, wie im April 2018 mit etwa 150 Aktivisten am Col de l’Échelle – einem Alpenpass in der Nähe der französisch-italienischen Grenze – oder 2017 mit einer Schiffstour im Mittelmeer, um gegen die Seenotrettung für Flüchtlinge vorzugehen. Wegen der Aktion in den Alpen wurden drei Aktivisten in Gap ­wegen Amtsanmaßung angeklagt und in erster Instanz verurteilt, jedoch im Dezember 2020 freigesprochen, da man dem Grenobler Berufungsgericht zufolge den Agitprop-Charakter des Aufmarschs erkennen und sie nicht für echte Grenzpolizisten halten konnte.

Viele Beobachter stellten sich die Frage, warum ein Verbot just jetzt erfolge, wo doch die jüngste Aktion erheblich geringeren Umfangs im Vergleich zu voraus gegangenen gewesen sei. Das Wochenmagazin Marianne behauptet, es habe sich vor allem um einen innenpolitisch motivierten »Tauschhandel« (troc) gehandelt, um das im Oktober und November 2020 vorbereitete und zum Teil erfolgte Verbot mehrerer muslimischer Verbände besser legitimieren zu können. So wurde unter anderem auch das umstrittene Rechtshilfe- und Rechtsberatungskollektiv CCIF (Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich) verboten. Auch wenn einzelne seiner Mitglieder wohl islamistischen Ideen, im Sinne der Muslimbrüder und nicht von Jihadisten, zugeneigt waren: Dieser Verbots- und Auflösungsbeschluss der Regierung schuf zweifellos einen gefährlichen Präzedenzfall, hatte die Arbeit des CCIF doch weder etwas Verbo­tenes noch etwas Gewaltförmiges an sich. Auch viele Juristen kritisieren dieses Verbot scharf.

In ihrer Begründung des Verbots der GI führt die Regierung – neben den Aktionen in den Alpen und Pyrenäen – auch Tatsachen an, die einer breiteren Öffentlichkeit zum Großteil wohl noch nicht bekannt waren, sehr wohl jedoch Antifaschisten und zur extremen Rechten recherchierenden Journalisten. Dabei geht es um das Verhältnis zu militanten Faschisten. Nach eigener Darstellung haben die Identitären mit Gewaltbereiten nichts zu schaffen, sondern stellen eine »junge Kraft« dar, die sich symbolträchtiger Agitprop-Aktionen bedient; das Verbotsdekret jedoch betont den quasimilitärischen Charakter von GI und verweist auf die ausgedehnten Kampfsportaktivitäten der Gruppe und die sogenannten Sommer­universitäten, bei denen der Straßenkampf trainiert worden sei. Es war bekannt, dass beispielsweise der rechtsextreme australische Terrorist Brenton Tarrant, der im März 2019 in Christchurch (Neuseeland) ein Massaker an Moscheebesuchern beging, an GI gespendet hatte. Darüber hatten österreichische Zeitungen schon vor zwei Jahren berichtet. Am Tag des Verbots publizierte die französische Tageszeitung Libé­ration ­überdies Informationen der Finanzermittlungsbehörde Tracfin, wonach Tarrant Fördermitglied bei GI war, mit einem als erhöhtem Mitgliedsbeitrag deklarierten regelmäßigen Spendenvolumen.

Der Verbotsbeschluss zitiert jedoch auch Verbindungen zwischen Mitgliedern von GI und solchen stiefelfaschistischen Gruppierungen wie Tenesoun in Aix-en-Provence oder der nationalsozialistischen Splittergruppe Auctorum. Der Anführer von Auctorum, ein Waffensammler, soll mit einem Bus der Génération Identitaire nach dem jihadistischen Mord an Paty zu einer ­Demonstration am 25. ktober gefahren sein, die unter dem Motto »Einwanderung tötet« lief.

Der Rassemblement National (RN), dessen Parteivorsitzende Marine Le Pen ist, sprach sich deutlich gegen das Verbot aus, ebenso einige konservative Abgeordnete wie Bruno Retailleau, der Fraktionsvorsitzende der konservativen Partei Les Républicains im Senat. Wenn die Regierung »solche Bewegungen bekämpfen« wolle, zitierte ihn die Nachrichtenagentur AFP am 14. ebruar, müsse sie »die Einwanderung beenden«. Anders als bürgerliche Politiker dies bei früheren Anlässen taten, hielt Retailleau es offenbar nicht für nötig, zu präzisieren, dass er lediglich von der »illegalen« Zuwanderung spreche.