Small Talk mit Chana Dischereit vom Verband Deutscher Sinti und Roma über einen Brandanschlag auf Zirkusmitarbeitende

»Das ist kein Einzelfall«

Am Morgen des 19. März standen in Weidenstetten nahe Ulm (Baden-Württemberg) drei Wohnwagen einer Zirkustruppe in Flammen. Der Zirkus hatte wegen der Covid-19-Pandemie ihr Winterlager in der Gemeinde verlängert. Die Ursache des Feuers ist bisher ungeklärt. Der Verband Deutscher Sinti und Roma hält eine Brandstiftung aus antiziganistischen Motiven für möglich. Die Jungle World sprach mit Chana Dischereit vom Verband Deutscher Sinti und Roma.

Wurden Personen bei dem Feuer verletzt?
Die Menschen in den Wohnwagen konnten sich noch in letzter Sekunde retten. Aber ihre Fahrzeuge mitsamt ihrer Besitztümer und ihres Arbeitsequipments sind komplett niedergebrannt. Auch weitere Wagen sind durch die Hitze beschädigt worden.

Warum gehen Sie von einer Brandstiftung aus?
Die Vermutung stammt von den Betroffenen selbst. Sie hatten bereits vorher Anfeindungen hinnehmen müssen. Die Polizei hat einen Brandermittlungsspürhund eingesetzt. Der Stand der Ermittlungen lässt aber noch keine definitive Aussage zu.

Warum kommt Antiziganismus als mögliches Tatmotiv in Betracht?
Unter den Menschen, die für den Zirkus arbeiten, sind unter anderem Sinti. Die Erfahrung zeigt zudem, dass Menschen, die in Wohnwagen beruflich unterwegs sind, generell als Angehörige dieser Gruppe angesehen werden und deshalb Gewalt ausgesetzt sind. Ein Beispiel für solchen Antiziganismus ist der Fall in Erbach, etwa 30 Kilometer von Weidenstetten entfernt.

Was war dort passiert?
Fünf junge Erwachsene hatten im Mai 2019 eine brennende Fackel auf die Wohnwagen einer Roma-Familie geworfen. Die Anklage wegen versuchten Mordes wurde fallengelassen, weil man ihnen keinen Tötungsvorsatz nachweisen konnte. Verurteilt wurden vier der fünf Täter in diesem und Dutzenden weiteren Fällen wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu Jugendstrafen auf Bewährung. Im Prozess wurde auch die Stimmung im Ort thematisiert, die der Eskalation vorausging. Die Täter hatten das Ziel der Vertreibung der Roma-Familie selber eingeräumt.

Darüber lässt sich in Weidenstetten nur spekulieren 
Das stimmt. Es handelt sich bisher nicht um einen bestätigten Fall. Wir haben dennoch bekannt gemacht, dass wir an der Seite der Betroffenen stehen. Das heißt unter anderem, dass wir für eine rechtliche Unterstützung sorgen. Die anwaltliche Vertretung würde Mehmet Daimagüler, ein Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess, übernehmen.

Was muss nun geschehen?
So etwas ist kein Einzelfall. Wir müssen dafür sorgen, dass die Polizei ermittelt, ob Antiziganismus als Tatmotiv in Frage kommt. Dadurch, dass wir als Interessenvertretung der Betroffenen bereits jetzt da sind, sind wir diesbezüglich in einer guten Ausgangslage. Vor zwei Jahren hat die Polizei sehr gute Arbeit geleistet und wir gehen davon aus, dass das auch jetzt der Fall sein wird.

Wie geht es den Betroffenen?
Weil die Zirkusleute keinen neuen Stellplatz gefunden haben, haben sie jetzt Flutlichter aufgestellt, um sich vor möglichen neuen Angriffen zu schützen. Gleichzeitig gibt es seit dem Feuer sehr viel Solidarität. Viele Menschen haben geholfen, sogar Wohnwagen wurden gespendet.