In den Niederlanden belagern christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner Kliniken

Göttliche Cancel Culture

Eine lokale Initiative verteidigt in der niederländischen Stadt Groningen das Recht auf Abtreibungen.

»Ich dachte früher immer, das Recht auf Abtreibung sei eine Selbstverständlichkeit«, sagt die Autorin Minke Have­man im Gespräch mit der Jungle World. »Aber in den vergangenen Jahren habe ich gelernt, dass es fragil ist und dass wir gut darauf aufpassen müssen.« Haveman ist Autorin eines offenen Briefs an den Bürgermeister der Stadt Groningen, Koen Schuiling. Darin wendet sie sich gegen Kundgebungen von ­Abtreibungsgegnern vor dem Zentrum für sexuelle Gesundheit, einer Klinik, in der auch Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden.

»Sie stehen direkt an der Klinik, tragen Puppen von Föten, verteilen Flugblätter. Mit ihren Aktionen schüchtern sie ungewollt Schwangere ein, wollen sie davon abhalten, in die Klinik zu gehen«, erzählt Haveman der Jungle World. Mit ihrem offenen Brief will sie erwirken, dass solche Kundgebungen in unmittelbarer Nähe der Klinik verboten werden. »Seit Jahren führen sie die Aktionen vor dem Gebäude durch«, berichtet auch die Leiterin der Klinik, Elly Oosterhuis, der regionalen Zeitung Dagblad van het Noorden: »Sie setzen unsere Klientinnen unter Druck. Wir wollen, dass das aufhört.«

Die Abtreibungsgegner melden ihre Veranstaltungen als Demonstrationen an. Beteiligt ist unter anderem die evangelikale Organisation Schreeuw om Leven (Schrei nach Leben). Die Stiftung mit Sitz in Hilversum wird größtenteils aus Spenden finanziert und steht der christlich-konservativen Christen Unie und der fundamentalistischen Staatkundig Gereformeerde Partij (SGP) nahe.

In den Niederlanden sind Schwangerschaftsabbrüche bis zur 24. Woche ­legal und fallen, anders als in Deutschland, nicht nur unter das Straf-, sondern auch unter das Gesundheitsrecht. Doch evangelikale Verbände kämpfen mit mehreren Strategien gegen die Errungenschaften der feministischen Bewegungen. In weiteren Städten kommt es immer wieder zu ähnlichen Aktionen wie in Groningen.

Auch mit anderen Mitteln werden Schwangere, die abtreiben wollen, unter Druck gesetzt. Wie die Zeitung De Groene Amsterdammer im März berichtete, wirbt Schreeuw om Leven mit einer Kampagne für eine sogenannte Spijtpil (Bedauernspille). Mit dieser wird eine Überdosis Progesteron verabreicht, ein Hormon, das der Aufrechterhaltung der Schwangerschaft dient. Damit soll die Wirkung der ersten Hormonbehandlung bei einer medikamentösen Abtreibung rückgängig gemacht werden. Zu der Pille der Abtreibungsgegner gibt es kaum Studien, doch ersten Forschungen zufolge birgt sie enorme Gesundheitsrisiken.

»Abtreibungsgegner versuchen gezielt, Frauen, die abtreiben wollen, vor Kliniken anzusprechen, um sie unter Druck zu setzen, die Behandlung zur Abtreibung durch Einnahme der Pille abzubrechen«, berichtete De Groene Amsterdammer. Ein Hausarzt in Urk soll jährlich etwa 15 Rezepte für die Pille ausgestellt haben. Die Kleinstadt ist der nördlichste Ausleger des niederländischen bible belt und gilt als Hochburg der extremen Rechten und der evangelikalen Abtreibungsgegner.

Diese sind in den vergangenen Jahren insbesondere auf der rechtlichen Ebene erfolgreich gewesen. »Sie zielen auf eine stetige Aushöhlung des Abtreibungsrechtes«, stellt eine der an der Recherche beteiligten Journalistinnen, Esther Chavannes, im Podcast der Zeitung De Groene Amsterdammer fest. Einen Erfolg erzielten die Abtreibungsgegner durch eine Gesetzesänderung zum Personenregister im Jahr 2019. Mit dem neuen Gesetz können in den ­Niederlanden nun »leblos geborene Kinder« im Personenregister einge­tragen werden. Es umfasst dabei auf Betreiben christlicher und evangeli­kaler Politiker auch explizit die ersten 24 Wochen der Schwangerschaft, jene Periode, in der eine Abtreibung legal ist.

Damit ist eine Gesetzeslücke entstanden, die Abtreibungsgegner nutzen. So hat der evangelikale Anwalt und Abgeordnete der Christen Unie, Don Ceder, gerichtlich erwirkt, dass auch abgetriebene Föten in das bürgerliche Personenregister eingetragen werden können. Sie werden damit als Rechtssubjekte anerkannt. Was harmlos klingt, hat schwerwiegende Folgen. »Damit herrscht ein Paradoxon«, kommentierte die Juristin Lisette ten Haaf die Entscheidung in ­einer Fachzeitschrift. »Denn das niederländische Abtreibungsrecht basiert auf dem Umstand, dass Föten keine Rechtspersonen sind.« Werden sie aber in das Personenstandsregister eingetragen, erhielten sie diesen Status rückwirkend. Der Rechtsstatus von Föten ist damit unklar. »Dass verursacht im Fall von Abtreibungen eine Rechtsunsicherheit«, sagt auch die Journalistin Marieke Rotman im Podcast von De Groene Amsterdammer. Dieser rechtliche Erfolg der Abtreibungsgegner ist unscheinbar. »Aber genau das ist Teil ihrer Strategie«, stellt sie fest. »Sie bleiben mit kleinen Erfolgen meist unter dem Radar.«

Auch deshalb setzt sich Minke Have­man gegen die Aktionen der Abtreibungsgegner vor Groningens ­Abtreibungsklinik ein. Bürgermeister Schuiling teilte am Freitag voriger Woche als Reaktion auf den offenen Brief mit, über Möglichkeiten der Intervention nachdenken zu wollen. Bislang hatte er sich darauf zurückgezogen, dass die Abtreibungsgegner vom Demonstrationsrecht geschützt seien.