Eine Art Seebrücke
Matthias Lohres erzählt in seinem Roman »Der kühnste Plan seit Menschengedenken« die authentische Geschichte des Architekten und Kulturphilosophen Herman Sörgel. In München, ein Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg, verfolgt dieser ein utopisches Vorhaben: das Projekt »Atlantropa«. Seine Überlegung ist diese: Am Ende der letzten Eiszeit war das Mittelmeer eine fruchtbare Ebene, Europa und Afrika waren miteinander verbunden; in Nordafrika gab es keine Wüste, sondern fruchtbares Ackerland. Diesen Zustand will er wiederherstellen.
Gewaltige Dämme sollen das Mittelmeer trockenlegen, damit Europäer und Afrikaner auf einem vereinten Kontinent zusammenleben. Ein Friedensprojekt, das aus der Erfahrung des Ersten Weltkriegs, in dem mehr als zwei Millionen Afrikaner getötet wurden, Konsequenzen zieht. Zugleich soll der neue Superkontinent Amerika und Asien in ihre Schranken weisen. Dass diese beiden Kontinente vielleicht nicht tatenlos dem Entstehen einer neuen Weltmacht zusehen werden, bedenkt der Geostratege ebenso wenig wie die Folgen für die Umwelt. Und was die kolonisierten Völker Afrikas von seinem Plan halten, interessiert ihn ebenfalls nicht.
Sörgel findet Unterstützer, aber kurz bevor die Bauarbeiten in der Straße von Gibraltar losgehen sollen, ändern sich die politischen Verhältnisse in Europa grundlegend. Hitler gelangt in Deutschland an die Macht. Sörgels Ehefrau Irene, die selbst widerspenstige Sponsoren für das Projekt Atlantropa begeistern kann, kommt aus einer jüdischen Familie. Herman, dessen Pläne auch bei den Nazis auf Interesse stoßen, muss sich alsbald entscheiden: Soll er Irenes Drängen nachgeben und mit ihr in die USA auswandern, wo sich kaum jemand für sein Projekt interessieren wird? Oder soll er versuchen, sich mit den Nationalsozialisten zu arrangieren, um auf diese Weise seinen Traum zu retten? Wie er sich entscheidet, erzählt Matthias Lohre in diesem atemberaubend spannenden Roman, der ein großes Leseerlebnis ist.
Matthias Lohre: Der kühnste Plan seit Menschengedenken. Wagenbach, Berlin 2021, 480 Seiten, 26 Euro