Small Talk mit Maren ­Michels über die »Aktionstage Gefängnis«

»Knast-Soli ist nur noch eine Nischenaktivität«

»Kontakt, Einsamkeit, Isolation« ist das Motto der diesjährigen bundesweiten »Aktionstage Gefängnis«, die vom 1. bis zum 10. November stattfinden. Das gleichnamige Bündnis will mit einer Vielzahl von Veranstaltungen auf die allgemeine Situation Inhaftierter und in diesem Jahr auch auf die aufgrund der Covid-19-Pandemie verschärften Bedingungen aufmerksam machen. Die »Jungle World« sprach mit Maren Michels vom Hamburger Fürsorgeverein, der sich an dem Bündnis beteiligt, über die Aktionstage Gefängnis sowie das mangelnde Interesse von Linken für Inhaftierte.
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Was sind die Aktionstage Gefängnis?

Die Aktionstage werden von einem breiten Bündnis von bürgerlichen Wohlfahrtsverbänden, freien Trägern und linksradikalen Gruppen getragen. Einmal im Jahr wollen wir die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dieses Thema lenken, für das sich abseits von Skandalen kaum jemand interessiert – auch nicht die Linken, zumindest jenseits von G20 und Ähnlichem. Dabei ist es eindeutig eine Klassen- und Herkunftsfrage, wer im Gefängnis sitzt. Es sind ganz überwiegend die Ausgeschlossensten der Gesellschaft, die dort weggesperrt sind. Wir wollen mit unterschiedlichsten Veranstaltungen auf die Lage inhaftierter Menschen, die Ungerechtigkeiten des Justizsystems und die Probleme der Einzelnen nach der Entlassung aufmerksam machen. Von einem Flashmob oder Poetry Slam bis zu Fachvorträgen kann alles dabei sein.

Welche Erfahrungen haben Sie in den vergangenen Jahren gemacht?

In Deutschland finden die Aktionstage erst seit 2017 statt, die Idee kommt aus Frankreich. Unser Bündnis will zudem über das Thema zusammenfinden, statt sich über die diversen Haltungen – von Abolitionismus bis Reformismus – zu zerstreiten. Ohnehin interessiert sich kaum jemand für die Veranstaltungen, das Fachpublikum hat anscheinend außerhalb der Arbeitszeit keine Lust, und alle übrigen wollen vom Knast nichts wissen. Wir hoffen dennoch, die Aktionstage fest zu etablieren.

Gibt es Inhaftierte, die sich beteiligen?

Leider nur wenige. In diesem Jahr gab es einen Aufruf an Inhaftierte, Texte beizutragen, aber der Rücklauf war sehr mäßig. Nur der Gefangenengewerkschaft GG/BO gelingt es teilweise, Inhaftierte einzubinden, sonst ist das eher eine paternalistische Angelegenheit. Sowohl das System Gefängnis als auch die Gefangenenpopulation an sich erschweren eine Selbstorganisation der Inhaftierten. Viele sind süchtig, psychisch krank, der Bildungsstand ist gering, die Vereinzelung groß und das Klima geprägt davon, Stärke zu beweisen – keine gute Basis, um Solidarität zu entwickeln.

In den siebziger Jahren gab es in der Linken großes Interesse an der Knastarbeit – heute nicht mehr. Warum?

Herbert Marcuses Randgruppenstrategie war schnell überholt, mit Kriminellen ist keine Revolution zu machen. Knast-Soli ist nur noch eine Nischenaktivität. Im Gefängnis sitzen überwiegend ausländische oder drogenabhängige Unterschichtsmänner, für woke Linke eher Feinde als Alliierte. Für inhaftierte Frauen interessieren sich Feministinnen nur dann, wenn sich jemand als trans definiert. Außer christlichen Gruppen und Ehrenamtlichen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft befassen sich überwiegend bezahlte Kräfte von Justiz bis Sozialarbeit mit Inhaftierten.

Wie wirkt sich die Covid-19-Pandemie auf die Gefangenen aus?

Zu Beginn der Pandemie gab es kurzzeitig ein erhöhtes Interesse für die Situation Inhaftierter, das aber schnell wieder abflaute. Besuche, Freizeitangebote und Haftlockerungen wurden eingeschränkt, die Auswirkungen auf die Menschen sind bedrückend, was sich auch am Anstieg der Selbstmordzahlen in Gefängnissen im vergangenen Jahr zeigt.