Industriestaaten werden den Klimawandel kaum so konsequent bekämpfen wie die ­Pandemie

So wie früher darf es nicht mehr werden

Um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, müssten wirtschaftliche Aktivitäten stark eingeschränkt werden. Doch das widerspräche der Funktionsweise des Kapitalismus, der bereits in der Coronakrise mit großen Investitionsprogrammen wieder hochgepäppelt werden soll.
Disko Von

Zu Anfang der Covid-19-Pandemie schien es für einen kurzen Moment so, als würde diese eine Wende zum Besseren hervorrufen. Die Menschen verhielten sich größtenteils solidarisch: Die meisten nahmen die Bedrohung durch das Virus ernst und waren sich darin einig, die Infektionszahlen möglichst gering halten zu wollen.

Lockdowns, Abstandsregeln und die mit Verspätung eingeführte Maskenpflicht hatten vor allem zum Ziel, eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu verhindern und die Triage von hilfsbedürftigen Kranken zu vermeiden. Da viele wirtschaftliche Aktivitäten die Ausbreitung des Virus stark begünstigt hätten, schränkten etliche Staaten ­diese stark ein oder legten sie sogar still. In der sonst so rastlosen kapitalistischen Gesellschaft kam es zu einer Zwangspause, in der in vielen Ländern nur noch lebensnotwendige Geschäfte geöffnet hatten.

Die Hoffnung, man könne ökologische Probleme mit derselben technokratischen und öko­­no­­mischen Herangehensweise lösen, mit der man sie verursacht hat, ist trügerisch.

Das war vor 20 Monaten. Schon sehr bald fanden diejenigen, die behaupteten, dass das Virus entweder gar nicht existiere oder viel harmloser als behauptet sei, Gehör und Gefolge. Die »Quer­denken«-Bewegung kam auf und wuchs. Einen Schub erhielt sie aufgrund der Neuartigkeit der wirksamsten Impfstoffe gegen das Virus, die auf mRNA beruhen, was manchmal fälschlich mit einem Eingriff in die Erbsubstanz DNA gleichgesetzt wird. Die Verschwörungserzählungen wurden immer irrer. Eine der ersten lautete, das Virus würde durch die 5G-Mobilfunktechnologie hervorgerufen; als die ersten Impfstoffe zugelassen wurden, hieß es, beim Impfen würde einem ein Mikrochip implantiert, mit dem man auf irgendeine Weise kontrolliert werden könne.

Die Hoffnung, die Pandemie werde ihr Ende finden, sobald Impfungen allgemein verfügbar sind, wurde enttäuscht. Die Impfstoffe kamen zwar früher als erwartet, doch die Impfbereitschaft ist in den meisten Ländern zu niedrig. Die sogenannte sterile Immu­nität währt nach eintreten des vollen Impfschutzes nur kurz, danach können auch Geimpfte sich wieder infizieren und andere anstecken, wenn sie das Virus auch für kürzere Zeit und in geringeren Mengen ausstoßen als Un­geimpfte. Immerhin bleibt der weitgehende, aber leider auch nicht vollkommene Schutz vor schweren Verläufen erhalten. Zudem weiß niemand, welche Varianten des Virus noch entstehen und welche Gefahren mit diesen einhergehen werden. Vieles deutet also darauf hin, dass die Pandemie noch lange Zeit Teil des Alltags bleibt.

Die ersten Lockdowns waren ein Novum. Nie zuvor hatten so viele Staaten das allgemeine Verwertungsgeschehen willentlich derart stark eingeschränkt. Sauberere Luft, weniger Lärm, weniger Stress und mehr Ruhe waren vielerorts die Folge. Das wirkte sich auch positiv auf die Umwelt aus. Viele fragen zu Recht, was in Anbetracht dieser Erfahrung eigentlich dagegen spricht, dass Staaten das Klima ebenso konsequent schützen wie sie das Virus bekämpft haben.

Die ernüchternde Antwort darauf lautet, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem in direktem Widerspruch zur Erhaltung der Ökosysteme steht. Die Folgen von Waldrodungen, des Insektensterbens und der Emission großer Mengen von Treibhausgasen sind gut dokumentiert, haben Staaten aber bislang kaum dazu veranlasst, die wirtschaftlichen Aktivitäten, die für diese Phänomene verantwortlich sind, einzuschränken oder umzugestalten – und wenn doch, dann meist in viel zu geringem Umfang.

Allgemein beruht das Geschäftsmodell des Kapitalismus darauf, Kosten zu externalisieren und sich um Raubbau an Ressourcen sowie Umweltschädigungen nicht zu kümmern. Bereits während der ersten Lockdowns waren nahezu alle sich von Anfang an einig, dass die Wirtschaft so bald wie möglich wieder hochgefahren werden sollte. Jetzt ist die wirtschaftliche Erholung in vollem Gange. Bereits 2022 könnte der globale CO2-Ausstoß einen neuen Höchst­­wert erreichen, wie aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des internationalen Forschungsverbunds Global Carbon Project hervorgeht.

Die Hoffnung, man könne ökologische Probleme mit derselben technokratischen und ökonomischen Herangehensweise lösen, mit der man sie verursacht hat, ist trügerisch. Das betrifft auch den »Green Deal« der Europäischen Union und die Investitionen in Infrastruktur, darunter erneuerbare Energieträger, für die der US-amerikanische Präsident Joe Biden mit dem Slogan »Build Back Better« wirbt. Beide zielen auf mehr wirtschaftliches Wachstum und beruhen auf einem größeren Verbrauch natürlicher Ressourcen. Der Widerspruch zwischen einer auf end­lose Expansion angewiesenen kapitalistischen Wirtschaftsweise und der Endlichkeit ihrer natürlichen Grundlagen bleibt ungebrochen.

Kapital muss sich ständig vermehren, um sich zu erhalten. Mensch und Natur sind für es lediglich Ressourcen, die rücksichtslos verschlissen, verbraucht und vermüllt werden. Selbst wenn einige umwelt- und klimafreundliche Technologien sich bald durch­setzen sollten (etwa der Einsatz von mit erneuerbaren Energien hergestelltem Wasserstoff in der Stahlpro­duktion): Es werden absehbar nur solche sein, die sich rentabel einsetzen lassen, und auch mit ihnen verlöre die kapitalistische Wachstumsdynamik nicht ihre unvermeidliche Konsequenz, sich alles, wirklich alles einzuverleiben und es zu zerstören.

Auch die am Samstag in Glasgow beendete 26. UN-Klimakonferenz (COP26) macht wenig Hoffnung. Dort wurden zwar mehr fortschrittliche Beschlüsse gefasst als bei vielen Vorgängerkonferenzen, aber es stellt sich die berechtigte Frage, wie konsequent das Vereinbarte durchgesetzt werden wird. Und selbst wenn das geschehen sollte, würde das im Pariser Klimaabkommen von 2015 festgeschriebene Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei, am besten 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen, voraussichtlich verfehlt.

Was ist in dieser Situation von der sich formierenden Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP zu erwarten? Mit der FDP ist die Partei der Fürstreiter eines ungebremsten Kapitalismus mit von der Partie, der soziale und ­ökologische Fragen nahezu vollständig gleichgültig sind. Ihre zentralen Forderungen – keine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, keine ­Steuerreform, Festhalten an der 2009 ins Grundgesetz aufgenommenen sogenannten Schuldenbremse – hatte sie bereits durchgesetzt, bevor die Koalitionsverhandlungen überhaupt begonnen hatten. Dafür spricht das kürzlich veröffentlichte Sondierungspapier, auf dessen Basis die drei Parteien jetzt Koalitionsverhandlungen führen. Eine ambitioniertere Klimaschutzpolitik droht allein schon an der »Schuldenbremse« – der dümmsten Bestimmung, die es je ins Grundgesetz geschafft hat – und an der Weigerung der FDP zu scheitern, Bessergestellten höhere Steuern aufzuerlegen.

Vieles deutet drauf hin, dass die künftige Bundesregierung marktradikal und technokratisch agieren wird. Dabei können ambitionierte Klimaziele nur erreicht werden, wenn die Energie-, Agrar- und Verkehrspolitik schnell und entschieden weitreichend geändert werden, wonach es derzeit nicht aussieht. In dieser Situation ist außerparlamentarischer Druck nötiger als je zuvor. Zum Glück zeigt die Bewegung »Fridays for Future« keine Tendenz, in ihren Bestrebungen für mehr Klimaschutz nachzulassen. Sie sollte allerdings den Kapitalismus grundsätzlich in ­Frage stellen.

Eine Wende hin zu einer umwelt- und klimafreundlichen Politik sowie eine grundsätzliche Infragestellung des Kapitalismus wäre auch mit Blick auf den Gesundheitsschutz dringend geboten. Die schnelle Ausbreitung des Virus und wahrscheinlich auch seine Entstehung waren Folgen des Vordringens der kapitalistischen Wirtschaftsweise in sämtliche Weltregionen, bis in die letzten vormals unberührten Naturräume. In den Dschungeln und Savannen dieser Erde befinden sich noch viele weitere potentiell gefährliche Erreger und es ist gut möglich, dass es bis zur nächsten Pandemie nicht lange dauert.

Sie würde hierzulande auf ein Gesundheitswesen treffen, dass nicht nur seit drei Jahrzehnten stark zusammengeschrumpft und vor allem privatisiert wurde, sondern dem überdies frustriertes und überlastetes Personal in Scharen den Rücken kehrt. Es ist zu ­bezweifeln, ob für das Durchstehen einer weiteren Pandemie noch die ­Ressourcen, die Kraft oder auch nur der Wille vorhanden wäre.