Deutsche Rechtsextreme sympathisieren mit dem russischen Regime

Eurasische Reconquista

Die russische Kriegspropaganda stößt bei deutschen Rechtsextremen auf offene Ohren. Denn auch sie träumen von einem eurasischen Bündnis gegen den Westen.

Russland werde für die »Entnazifizierung« der Ukraine sorgen – so begründete der russische Präsident Wladimir Putin den Angriff seiner Streitkräfte auf den Nachbarstaat. Ähnliches ist auch von neostalinistischen Linken zu hören, die in Russlands imperialem Wieder­erwachen noch einige Trümmerstücke von Hammer und Sichel zu entdecken glauben. In der Ukraine drohe, behauptet Putin, ein »Völkermord« an der ­russischstämmigen Bevölkerung, weshalb eine Anerkennung der von Rebellen kontrollierten Territorien, die sich zu Russland gehörig fühlten, unumgänglich sei.

Diese Argumentation birgt einigen Sprengstoff über den gegenwärtigen Konflikt hinaus. Ein Blick auf wechselnde Grenzverläufe in Osteuropa seit dem Ende der österreichisch-ungarischen, deutschen und russischen Imperien zeigt, wie gefährlich das Konzept ist, Staatsterritorien mit den Siedlungsgebieten sogenannter Volksgruppen zu identifizieren. Denn es finden sich kaum Gebiete, die nicht sprachlich, ethnisch und religiös gemischt wären.

Wollte Putin tatsächlich etwas »entnazifizieren«, müsste er bei seinen Fans im Westen beginnen.

Seit 1918 wurden Staatsgrenzen ­verschoben, Bevölkerungsgruppen vertrieben, das Ende der Sowjetunion hat zudem beispielsweise im Baltikum russische Minderheiten außerhalb Russlands hinterlassen. Diese Situation lässt sich nicht nach dem Prinzip der Blutsnationen gestalten. Der Irredentismus, also der durch angebliche ethnische Zugehörigkeit motivierte Anschluss fremden Staatsgebiets an eigenes, war bereits im 20. Jahrhundert die Geißel Europas. Daher gibt es heute keine Alternative zu demokratischer Mitbestimmung und Minderheitenschutz, genau jenen Prinzipien also, mit denen die langjährigen Putin-Fans der (anti)europäischen Rechten hadern.

Die Begeisterung der extremen Rechten für die Ukraine ist seit den Maidan-Protesten 2013/2014 abgeflaut. Hatten sie bis zum Sturz von Präsident Wiktor Janukowytsch Sympathien für den ­ukrainischen Nationalismus und Gruppen wie den »Rechten Sektor« und die Partei Swoboda, schlug die Stimmung um, als sich die neue Regierung an der EU orientierte. Die erhoffte Waffenbrüderschaft in der Tradition ukrainischer Kollaborateure während des Zweiten Weltkriegs erfüllte sich nicht. Trotz eines teils ausgeprägten ukrainischen Nationalismus und dem Regiment Asow, in dem in- und ausländische Neonazis kämpfen, entschieden sich die meisten Akteure rechtsaußen für eine Unterstützung Russlands, wie sie auch in anderen Konflikten für dessen Verbün­dete Partei ergriffen – beispielsweise in Syrien.

Entsprechend fielen die Reaktionen auf den russischen Einmarsch aus. Jürgen Elsässer verlautbarte, »Putins Militäraktion ist defensiv«, mit derselben Stoßrichtung twitterte der sachsen-anhaltische AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider, Russland »wehrt sich«. Dieser Kurs wurde in den Tagen Alex­ander Gaulands festgelegt, der schon 2014 beschied, Moskau wolle nur »rus­sische Erde« einsammeln. Politiker der Partei wie Markus Frohnmaier entfal­teten damals eine rege Reisetätigkeit, Ziel war auch die von Russland 2014 annektierte Krim, vormals ukrainisches Staatsgebiet. Umgekehrt bespielte die russische Auslandspropaganda alle Kräfte, die der europäischen Union oder den westlichen Demokratien schaden könnten. Das reicht von der AfD über reaktionäre Russlanddeutsche bis zu den sogenannten Querdenkern.

Angesichts des russischen Angriffs dreht sich allerdings die öffentliche Meinung und der AfD drohen die Felle wegzuschwimmen. Die Verurteilung des russischen Einmarschs durch die Parteiführung war reine Formsache. Da sie all ihre Energien für den Kampf gegen die »Corona-Diktatur« gebündelt hat, versucht die AfD, sich beim Thema Russland wegzuducken. Die Hauptschuld an dem Konflikt schiebt sie allerdings weiterhin auf die USA.

Damit steht die AfD nicht allein, ein ähnliches Verständnis von Geopolitik bestimmt fast überall auf der extremen Rechten die Sichtweise. Der russische Faschist Alexander Dugin hat nun die »russisch-eurasische Mobilisierung« für eine »große slawische Reconquista« ausgerufen. In der NPD hat man sich schon 2014 für Russland entschieden, da es von den USA bedrängt werde. Um die Amerikaner endlich aus Europa zu entfernen, bedürfe es einer starken Verbindung mit Moskau. Diese Überlegung teilen alte und neue Rechte, seit Jahren fordern sie, an die Stelle des transatlantischen möge ein eurasisches Bündnis treten. Im ungeschriebenen Zusatzprotokoll dieses Phantasiepakts müssen dann eben unbedeutende ­Nationen zwischen den Wunschtitanen Deutschland und Russland über die Klinge springen.

Neben solch Erwägungen ist für die äußerste Rechte vor allem der kulturpolitische Kurs Russlands anziehend. Im Oktober 2021 vertrat Putin vor dem renommierten Diskussionsclub Waldai in Sotschi seine Sicht von Russland als einer konservativen Großmacht. Die Ausführungen des russischen Präsidenten ­bedienten weite Teile des Repertoires westlicher Wutbürger: Durch cancel culture, Homo-Ehe und Gender-Mainstreaming seien die westlichen Ge­sellschaften nur noch einen Schritt vom Bolschewismus entfernt. In seiner ­Ansprache kurz vor dem Einmarsch sprach Putin zudem noch von einer »Dekommunisierung«, da die Ukraine ein Geschöpf Lenins sei. Putins Reden zeigen einmal mehr, dass es ein schlechtes Zeichen ist, wenn Autokraten sich als Historiker betätigen. In der Verwischung historischer Kategorien kann Putin der globalen Rechten von AfD bis Donald Trump das Wasser reichen.

Da ist es nicht ganz ohne Ironie, dass die deutschen Nazis von der Kleinpartei »Der III. Weg« ihre Treue zur Ukraine ganz ähnlich begründen. Sie hoffen von der anderen Seite der Front auf die Läuterung Europas und verkündeten vergangene Woche: »Denn wenn das alte System vom Kampfe in Trümmern liegt, kann die Jugend eine neue Welt aufbauen. Vielleicht entsteht in der Ukraine, was die weiße Welt schon so ­lange vermissen muss: eine Nation. Und mit ihr ein leuchtendes Vorbild für ein neues Europa, während das Alte an Dekadenz und innerer Fäulnis zerbricht.«

In den Kreisen des Verlags Antaios versucht man sich derweil an einer Mischung aus Antiamerikanismus und Esoterik. Kurz vor der russischen Entscheidung zur Offensive übernahm das Blog der Sezession eine Stellungnahme des Schweizer anthroposophischen Magazins Agora, das sich als Hüter der wahren Lehre Rudolf Steiners sieht. Der Text stammt von dem armenischen Anthroposophen Karen A. Swassjan, man liest vom »Karma des Bolschewismus« und davon, dass die USA ihren Weltmachtstatus »Adolf Hitler höchstselbst« zu verdanken hätten. Aufgrund amerikanischer Gier und Arroganz habe es schon lange nach Krieg »zwischen dem russischen Bären und dem mehrköpfigen Drachen des Westens« gerochen. Den Amerikanern habe es nach 1945 an Demut und Tiefe gefehlt: »Was Not tat, war, endlich zu verstehen, dass sie nach Deutschland 1945 gekommen sind, nicht um Hitler zu stürzen (Hitler war nur ein Vorwand), sondern – tiefer und ganz tief – um Dinge zu lernen, die nur in Deutschland zu lernen waren. Zum Beispiel einige Grundschritte der Dialektik.«

Dieser neue Trend in Schnellroda zur Staatspolitik mit der Klangschale dürfte eine unmittelbare Folge der Covid-19-Pandemie sein. Insgesamt wird auch dort das Denken von der imperialen Geographie des 19. Jahrhunderts bestimmt. Der Zeitschrift Sezession gelten »neuere« und »kleinere« Staaten wie Polen, Belarus und der Ukraine lediglich als »Zwischeneuropa« und Diener deutscher und russischer Interessen.

Schon allein angesichts dieser Verehrer Putins ist dessen »antifaschistische« Kriegsbegründung grotesk. Wollte er tatsächlich etwas »entnazifizieren«, müsste er bei seinen Fans im Westen beginnen. Doch sie sind nicht seine Adressaten, Putins Rhetorik zielt auf die eigene Bevölkerung, die mit der ­Referenz auf den »Großen Vaterländischen Krieg« bei der Fahne gehalten werden soll. Als Folie für den Konflikt taugt er jedoch nicht, da diese historische Erfahrung von Russland wie der Ukraine geteilt wird. Beide litten unter den deutschen Besatzern und kämpften auf sowjetischer Seite, wie es auch in beiden Ländern zur Kollaboration kam. Die Herkunft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus einer jüdischen und russischsprachigen Familie stärkt Putins Behauptung einer »nazifizierten« Ukraine nicht gerade. Tatsächlich werden der russischen Führung die Kampfdrohnen aus türkischer Produktion in den Beständen der Ukraine mehr Sorgen bereitet haben als »Nazis«.

Die Propaganda des Kreml verfolgt wohl primär innenpolitische Ziele. 2024 stehen in Russland Präsidentschaftswahlen an. Auch Alleinherrscher brauchen Popularität, vor allem wenn die wirtschaftliche Lage angespannt und die politische Freiheit unterdrückt ist. Da kommt die Rolle als Bezwinger einer westlichen Bedrohung gerade recht. Die Frage ist, wie weit in Russland die Regierungspropaganda geglaubt wird, der zufolge die Westeu­ropäer Nazis, Kommunisten und homosexuelle Schneeflocken in einem sind, gleichermaßen lebensunfähig wie bedrohlich. Vergangenheitspolitisch ist die Stellungnahme Putins desaströs.