Neue Ermittlungsergebnisse im Fall des antisemitischen Angriffs auf das Restaurant »Schalom« 2018 in Chemnitz

Schleppende Aufklärung

Nach knapp vier Jahren gibt es wohl erstmals größere Ermittlungs­erfolge im Fall des antisemitischen Angriffs auf das Restaurant »Schalom« in Chemnitz. Die Staatsanwaltschaft hat nach einem ersten Urteil im September vergangenen Jahres nun weitere Ermittlungs­verfahren gegen vier Tatverdächtige eingeleitet.

Fast vier Jahre ist es her. Im August 2018 hatte eine Gruppe von mutmaßlich zehn bis zwölf Nazis das jüdische Restaurant »Schalom« und dessen Betreiber Uwe Dziuballa in der Chemnitzer Innenstadt mit Steinen, Stangen und Flaschen angegriffen. Auf Anfrage der Jungle World gab die Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Sabine Wylegalla, nun bekannt, dass es neue Ermittlungserfolge gebe. Es seien »Ermittlungsverfahren gegen vier ­weitere Tatverdächtige wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch in besonders schwerem Fall« eingeleitet worden, so Wylegalla.

Einer der Tatverdächtigen ist der ­Eisenacher Leon R., der Mitglied der ex­trem rechten Kampfsportgruppe »Knockout 51« sowie der Neonazi-Terrorgruppe »Atomwaffen Division Deutschland« sein soll. Zudem tritt R. im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren vor dem Oberlandesgericht Dresden als Nebenkläger und Hauptbelastungszeuge auf. Als Betreiber der rechten Szenekneipe »Bull’s Eye« in Eisenach soll er mehrfach von Antifaschistinnen überfallen worden sein.

Einer der Tatverdächtigen ist Leon R., der Mitglied der extrem rechten Kampfsportgruppe »Knockout 51« sowie der Neonazi-Terrorgruppe »Atomwaffen Division Deutschland« sein soll.

Die Namen der drei anderen Tatverdächtigen teilte die Staatsanwaltschaft bislang nicht mit. Sie könnten jedoch im Berufungsverfahren gegen Kevin A. im Rahmen der Beweisaufnahme erwähnt werden. Das Amtsgericht Chemnitz hatte im September vergangenen Jahres A. als ersten Beteiligten am Angriff auf das Lokal »Schalom« unter anderem wegen Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, die auf Bewährung ausgesetzt worden war. Er war bereits einschlägig vorbestraft und seit Jahren aktiv in den Netzwerken der extremen Rechten, wie die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage der Jungle World bestätigte.

Die Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk, die unter anderem die Nebenklage im Prozess gegen die neonazistische »Gruppe Freital« vertrat, sagt im Gespräch mit der Jungle World zum erstinstanzlichen Urteil gegen A.: »Das Urteil ist ein Zeichen von außerordentlicher Milde oder mangelndem Verfolgungswillen gegen antisemitische Taten von Rechten, vor allem wenn man das Urteil mit ähnlichen Fällen wegen Flaschenwürfen beim G20-Gipfel in Hamburg vergleicht, bei denen es vielfach Haftstrafen ohne Bewährung gab.«

Insgesamt haben die bisherigen Ermittlungen und das Verfahren gegen A. viele Fragen aufgeworfen. So war für den Prozess nur ein Tag angesetzt worden, an dem kaum Zeuginnen und Zeugen angehört wurden. Das ist ungewöhnlich für einen derart schweren Fall von bundesweiter Bedeutung. Zudem war die Beweislage außerordentlich dünn. Es wurden zwar ­DNA-Spuren des erstinstanzlich Verurteilten auf einem der mutmaßlich auf das Restaurant geworfenen Steine gefunden. Ob aber A. den Stein tatsächlich geworfen hatte und ob er überhaupt der angreifenden Gruppe angehörte, konnte am ersten und einzigen Prozesstag nicht mit Sicherheit festgestellt werden.

Auch auf eine Zeugenaussage von Leon R. hatten Gericht und Staatsanwaltschaft im Prozess gegen A. verzichtet. Dabei sollen A. und R. sich in einem Chat, der im Verfahren als Beweis gegen A. angeführt wurde, zu den rassistischen Protesten in Chemnitz verabredet haben, was auch eine Tatbeteiligung von R. am Angriff auf das Lokal »Schalom« nahelegte.

Auf Anfrage der Jungle World teilte Wylegalla für die Generalstaatsanwaltschaft Dresden nun mit, dass »Leon R. zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung gegen den gesondert Verfolgten Kevin A. bereits unter Verdacht stand, sich an dem Angriff auf das Restaurant ›Schalom‹ beteiligt zu haben«. Doch er sei »aus ermittlungstaktischen Erwägungen zunächst nicht als Zeuge benannt« worden. »Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wollte das eingeleitete Ermittlungsverfahren noch nicht bekanntgeben, um die weiteren Ermittlungen ­gegen Leon R. und die übrigen Tatverdächtigen nicht zu gefährden«, so Wylegalla.

Indem die Staatsanwaltschaft auf die Vernehmung von R. in der Beweisaufnahme verzichtete, nahm sie wohl ein milderes Urteil in erster Instanz in Kauf. Sie war mit dem Ausgang des Verfahrens indes selbst nicht zufrieden und legte gegen das Urteil Berufung ein, über die nun verhandelt werden soll.

»Das Vorgehen seitens der Staatsanwaltschaft ist unüblich«, sagt die Rechtsanwältin Pietrzyk, »auch weil das Aufsplittern von Sachverhalten und ­Beschuldigten Verfahren verlängert und komplizierter macht.« Sie ergänzt: »Doch manchmal kann es notwendig sein. Wie es hier war, wird man nur ­sagen können, wenn alle Hintergründe bekannt werden.«

Die Hintergründe könnten im anstehenden Berufungsverfahren gegen Kevin A. erhellt werden. Er muss am 20. Juli vor dem Landgericht Chemnitz erscheinen. Vielleicht kommt dann langsam Bewegung in die Aufklärung der Tat und der Netzwerke, die am 27. August 2018 nach Chemnitz reisten, um sich an den rassistischen Aufmärschen und am antisemitischen Angriff auf das Restaurant »Schalom« zu beteiligen.