Vertreter der verschiedenen Flügel der Linkspartei bewerben sich um den Parteivorsitz

Zuspitzung der Flügelkämpfe

Vor dem Parteitag in gut zwei Wochen spitzen sich die Flügelstreitigkeiten in der Partei »Die Linke« zu.
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Hochmut kommt vor dem Fall. 18 Prozent der Wahlberechtigten könnten sich vorstellen, die Partei »Die Linke« zu wählen – das behauptet zumindest eine kürzlich veröffentlichte Studie der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Doch sie tun es nicht. Der Studie zu­folge führen 43 Prozent derer, die sich zwar vorstellen könnten, die Linkspartei zu wählen, es aber derzeit nicht machen, die außenpolitischen Positionen der Partei an. Daneben hätten viele Befragte auch die innere Zerstrittenheit der Linkspartei angegeben.

Auf das vermeintliche Wählerinnenpotential von 18 Prozent käme man aber nur, wenn man das Potential jedes der verschiedenen Flügel vereinigte. Ausgehend von den Wahlentscheidungen bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr könnten sich der Studie zufolge 35 Prozent der Wähler von Bündnis 90/Die Grünen, 18 Prozent der SPD- und Nichtwählerinnen sowie zwölf Prozent der AfD-Wähler vorstellen, die Linkspartei zu wählen. Es scheint doch sehr vermessen, zu glauben, dass es eine Möglichkeit gebe, all diese Einzel­potentiale gleichzeitig auszuschöpfen.

Wenn sich die Funktionäre der Linkspartei in gut zwei Wochen zum Parteitag in Erfurt treffen, müssten sie dort eigentlich die parteiinternen Konflikte lösen beziehungsweise Richtungsentscheidungen treffen, die über kurz oder lang dazu führen, dass die unterlegenen Lager die Partei verlassen. Zwar predigen derzeit fast alle Seiten Geschlossenheit, allerdings zeigt sich an einigen Anträgen an den ­Parteitag sowie bei den Kandidatinnen und Kandidaten für die Doppelspitze des Bundesvorstands eine Zuspitzung der Flügelkämpfe. Die derzeitige alleinige Bundesvorsitzende Janine Wissler kandidiert trotz der gegen sie erhobenen Täterschutzvorwürfe im Zusammenhang mit der Debatte über sexuellen Missbrauch in der Linkspartei erneut. Sie ist derzeit sichtlich bemüht, Ruhe in die Partei zu bringen, und forderte ihre Genossinnen auf, »jetzt nur noch positiv über die eigene Partei zu sprechen«. Wisslers Chancen, wiedergewählt zu werden, stehen gar nicht mal schlecht, wird sie doch von Teilen zweier parteiinterner Strömungen unterstützt, der »Antikapitalistischen Linken« und der »Bewegungslinken«.

Gemeinsam mit Wissler würde gerne Martin Schirdewan die Doppelspitze bilden. Schirdewan ist seit 2017 Mitglied des Europäischen Parlaments und seit 2019 Co-Vorsitzender der Fraktion »Die Linke im Europäischen Parlament«, sonst aber weitgehend unbekannt. Wie Wissler steht Schirdewan eher für ein Weiter-so, also den seit Jahren immer wieder gescheiterten Versuch, die Linkspartei intern zu befrieden.

Wegen der Regularien der Linkspartei muss der Doppelspitze mindestens eine Frau angehören. Als Gegenkandidatin zu Wissler bewirbt sich die Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek, die als Favoritin des Co-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Dietmar Bartsch, sowie des parteinahen Nachwuchsverbands Linksjugend Solid gilt. Weil Reichinnek und Wissler beide aus den westlichen Bundesländern kommen und eine weitere Anforderung im Sinne der paritätischen Besetzung der Doppelspitze verlangt, dass einer der beiden Vorsitzenden Ostdeutscher ist, dürfte nur eine der beiden Politikerinnen zur neuen Co-Vorsitzenden gewählt werden. Der ­andere Posten in der Doppelspitze dürfte entweder an Schirdewan gehen oder aber an den Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann aus Leipzig, der eines der drei Direktmandate bei der Bundestagswahl im September gewann und dem Flügel um Sahra Wagenknecht zugerechnet werden kann.

Wagenknecht scheint den Parteitag als eine Art letzte Chance zu begreifen, ihren Einfluss innerhalb der Partei noch einmal auszubauen. Neben der Kandidatur Pellmanns, der sie bereits vor der offiziellen Verkündung ihren Segen erteilte, lancierte Wagenknecht zusammen mit ihren Gefolgsleuten in der vergangenen Woche noch den Aufruf »Für eine populäre Linke«, um für ihre Positionen zu werben.

»So wie bisher darf es nicht weitergehen – sonst verschwindet unsere Partei in der Bedeutungslosigkeit«, heißt es in dem Aufruf, zu dessen Erstunterzeichnerinnen neben Wagenknecht und Führungspersönlichkeiten der ihr nahestehenden parteiinternen Strömung »Sozialistische Linke« auch die Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Amira Mohamed Ali, sowie weitere Bundestagsabgeordnete des Wagenknecht-Flügels wie Klaus Ernst, Sevim Dağdelen, Andrej Hunko und Żaklin Nastić, aber auch der Friedensbewegte Willi van Ooyen und der notorische »Israel-Kritiker« Norman Paech gehören.

Wie die Unterzeichnenden sich ihre populistische – pardon: »populäre Linke« vorstellen, kann man sich denken. Aber bei der Formulierung des Aufrufs haben sie sich bemüht, Phrasen zu verwenden, denen die meisten Parteimitglieder wohl erst einmal zustimmen könnten. Dabei waren es gerade viele der Unterzeichnenden, die in den vergangenen Jahren gegen die eigene Partei Politik machten. Und so basiert auch die Aufforderung, die Linkspartei müsse »für die Mehrheit der Bevölkerung, die Arbeitenden, die Familien, die Rentnerinnen und Rentner und die sozial Benachteiligten aktiv« sein, auf der mittlerweile mantraartig wiederholten Behauptung Wagenknechts, dies sei bislang nicht der Fall.

Ob Wagenknecht und ihre Getreuen die Linkspartei verlassen würden, wenn Pellmann beim Parteitag unterliegt und andere Richtungsentscheidungen – sollten solche überhaupt getroffen werden – gegen sie ausfallen, bleibt fraglich. Dass eine Liste Wagenknecht bei Bundes- oder Landtagswahlen konstant Ergebnisse oberhalb der Fünfprozenthürde erzielen könnte, kann aber bezweifelt werden – ebenso, dass die Partei »Die Linke« ohne Wagenknecht automatisch besser dastünde.