Ein Gespräch mit Sarah Dubiel und Jakob Hammes über ihren Austritt aus der Partei »Die Linke«

»Die innerparteiliche Demokratie funktioniert nicht«

Infolge von #LinkeMeToo sind einige junge progressive Linke aus der Partei »Die Linke« ausgetreten. Darunter sind auch Sarah Dubiel und Jakob Hammes, Bundesvorstandsmitglieder der Linksjugend Solid. Die »Jungle World« sprach mit ihnen über die Gründe.
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Sie sind beide kurz nach dem Bundesparteitag von »Die Linke«, der Ende Juni stattfand, aus der Partei ausgetreten. Aber warum waren Sie überhaupt eingetreten?

Hammes: Ich bin im Odenwald aufgewachsen, in einem Kaff, und da gab es nichts Linkes. Deshalb bin ich als Jugendlicher ein paar Mal zum offenen Antifa-Treff in Darmstadt gefahren, was mit über drei Stunden Fahrt verbunden war. Dann bin ich zur Links­jugend gelangt und habe gemerkt, dass da Leute sind, die so denken wie ich, und dass man auch auf dem Dorf aktiv werden kann. Ich bin in die Partei eingetreten, weil ich eine Systemalterna­tive wollte und mich selbst schon ganz gut mit Theorietexten radikalisiert hatte.

Dubiel: Ich habe mich von der Politik nicht repräsentiert gefühlt. Alleinerziehende Menschen sind in der Politik ­selten anzutreffen. Wenn dann noch psychische Erkrankungen dazukommen oder Behinderungen oder man zu pflegende Angehörige hat, wie in meinem Fall, dann ist man noch weniger repräsentiert.

Als ich durch meine Schwangerschaft in Hartz IV gerutscht bin, habe ich recht viel mit Menschen geredet, die meinten: »Warum soll ich wählen gehen? Da vertritt mich am Ende eh keiner.« Ich bin in die Partei »Die Linke« eingetreten, weil ich etwas verändern möchte. Leider sind diese Vorstellung und die Realität komplett verschieden. Das ist sehr frustrierend.

Warum nun der Austritt?

Dubiel: Junge Menschen werden in der Partei nicht wertgeschätzt. Man ist gut genug, Plakate aufzuhängen, quasi die Drecksarbeit zu machen. Wenn man aber Forderungen stellt, zum Beispiel mehr Geld für die Jugend, wird man belächelt. Ein weiterer Grund ist die fehlende Familienfreundlichkeit, ein ­Problem in allen Parteien. Frauen und queere Menschen betreuen oft die Kinder und machen die Care-Arbeit. Wenn sie für Ämter kandidieren, werden sie gefragt, wie sie das mit Kind denn machen wollen. Niemand fragt einen Mann, wie er das mit Kindern schaffen will. Wenn ich gesagt habe, dass ich Kinderbetreuung brauche, um einen Termin wahrzunehmen, gab es Diskussionen darüber und wenig Verständnis, dass ich zeitlich eingeschränkter bin. Das ist für eine linke Partei einfach schwach.

In puncto Inklusion stellt »Die Linke« sehr hohe Ansprüche an die Gesellschaft und an sich, die Realität in der Partei ist aber das komplette Gegenteil von Barrierefreiheit. Menschen mit psychischen Erkrankungen oder mit Behinderungen werden ausgegrenzt und fertiggemacht. Es geht so weit, dass intern Kampagnen gegen Leute gefahren werden, die Depressionen ­haben und für ein Amt kandidieren.

Hammes: Ausgrenzung war auch bei mir ein Grund für den Austritt. Ich habe schnell gemerkt, dass ich innerhalb der Partei als Teil einer ominösen rechten Minderheit gelte. Was ich sehr lustig fand, weil ich mich damals als Anarchokommunist verstand. Ich war immer auf Demonstrationen zu Themen wie Enteignung, wo die sogenannten linken Flügel nie zu sehen waren. Wenn du beim Rauchen mit den falschen Leuten stehst, dann gehörst du nicht zur Partei.

Gab es noch andere Gründe?

Hammes: Wenn man in der Partei etwas werden will, muss man in einen Telefonkreis reinkommen. Viele wichtige Absprachen werden über Telefo­nate gemacht, was äußerst intransparent ist. Die innerparteiliche Demo­kratie funktioniert nicht.
Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht?

Dubiel: Nach der Wahl von Janine Wissler auf dem Bundesparteitag (für eine zweite Amtszeit als Co-Bundesvorsitzende, Anm. d. Red.) im Juni sind zwei junge Genossinnen ans Mikrophon gegangen und haben darüber gesprochen, dass sie Betroffene sexualisierter Gewalt innerhalb der Partei seien. Sie wurden daraufhin nicht von Einzelpersonen, sondern von Dutzenden im Saal ausgebuht. Es gab keine Reaktion oder Intervention von den neu gewählten Vorsitzenden.

So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich musste an diese »Star Wars«-Szene denken: »Und so geht die Freiheit zugrunde – mit donnerndem Applaus.« Es sind reihenweise Genossinnen zusammengebrochen und es hat niemanden interessiert. Diese Situation war der ausschlaggebende Grund für meinen Austritt.

Der Umgang mit Betroffenen von Sexismus in der Partei ist unterirdisch. Als Jakob und ich uns vor Monaten in Hessen intern dafür stark gemacht haben, die Fälle zu klären, wurden wir beleidigt und uns wurde mit einem Parteiausschlussverfahren gedroht.

Sie kritisieren Mobbing, Intransparenz, Klüngelstrukturen und Sexismus in der Linkspartei. Nicht we­nige Linke lehnen Parteipolitik generell ab, weil sie der Ansicht sind, dass Parteien immer auf Machterhaltungsstrukturen angewiesen sind und früher oder später deshalb solche Unterdrückungsmechanismen entstehen – egal ob Linkspartei oder CDU. Liegt das Problem im ­Parteiensystem?

Hammes: Ich war nie vollständig überzeugt von der Linkspartei, es war halt einfach die größte linke Organisation. Machtmissbrauch entsteht, wenn die Macht nicht demokratisch kontrolliert wird. Der Informationsfluss zwischen Basis und gestaltenden Ämtern muss funktionieren, und den gibt es in der Linkspartei nicht. Es gab keine aktiven Verteiler, ich habe keine Kontroversen aus dem Landesvorstand mitbekommen, die Vorbereitung der Landesparteitage war intransparent.

Dubiel: Ich denke schon, dass Parteien eine Existenzberechtigung haben, aber oft habe ich das Gefühl, dass die Arbeit in Parlamenten zur Selbstbespaßung dient. Parlamente sollten der verlängerte Arm von politischen Bewegungen und der Anliegen der Menschen sein.

Hammes: Viele in der Linkspartei ­haben Kontakt zu anderen linken Gruppen, aber das ist dann der Kulturclub von nebenan, der exakt dieselben Ansichten hat. Die Linkspartei sollte von anderen linken Gruppen lernen und kritikfähig sein. Mit der Klimabewegung oder mit Antifa-Gruppen gibt es relativ wenig Kontakt, außer Einzel­personen initiieren das, wie zum Beispiel Katharina König-Preuss (Thüringer Landtagsabgeordnete, Anm. d. Red.).

Sie haben im Zuge Ihres Austritts gesagt, dass Sie enttäuscht darüber sind, wie »Die Linke« außerparlamentarische linke Kämpfe für sich vereinnahmt. Haben Sie ein Beispiel?

Hammes: Bei Protesten von Lieferando-Ridern oder beim Spargelstreik in Nordrhein-Westfalen steht erst am zehnten Streiktag auf einmal »Die Linke« da und sagt: »Wir sind auch dafür.« Der Ursprung der Proteste ist immer Selbstorganisation von Arbeiterinnen und Arbeitern, beispielsweise durch die Basisgewerkschaft FAU. »Die Linke« sollte die erste Anlaufstelle für Leute sein, die um ihren Lohn geprellt werden, und sofort helfen.

Sie wollen trotz des Austritts aus der Partei in der Linksjugend aktiv bleiben. Warum?

Hammes: Sie ist die größte linksradikale Organisation Europas. Wir sind gut vernetzt mit vielen Gruppen und haben eine Struktur, in der sich junge Leute selbstbestimmt politisch bilden können. Wir sind nicht die Nachwuchsfabrik für die Linkspartei, sondern für die gut organisierte radikale Linke. Hier lernen junge Linke das Handwerkszeug für ihren Aktivismus. Außerdem war die Linksjugend bei #LinkeMeToo zu einem überwältigenden Teil auf einer Linie, was für mich wichtig war.

Dubiel: Wir sind uns bewusst, dass wir auch Probleme mit Mackern in der Linksjugend haben. Aber wir nehmen unsere feministischen Prinzipien ernst und notfalls werden diese Leute ausgeschlossen. Das ist der Unterschied zur Linkspartei.

Das Problem der Partei ist also das Fehlen von Prinzipien?

Dubiel: Ja, das fängt damit an, dass ­bestimmte Dinge zwar beschlossen werden, Mitglieder sich aber nicht daran halten. Sanktioniert werden sie dafür nicht. Auch bei #LinkeMeToo hat man keine Handhabe, parteirechtlich gegen Beschuldigte vorzugehen. Ein entsprechender Antrag auf Satzungsänderung, der das ermöglichen sollte, ist auf dem Bundesparteitag gescheitert.

»Die Linke« agiert unter anderen Voraussetzungen als die Linksjugend und ist eingeschränkter in ihren Handlungsmöglichkeiten. Das liegt auch an bekannten Persönlichkeiten wie Klaus Ernst und Sahra Wagenknecht, die sich komplett danebenbenehmen. Oder – wie in Hessen – an Leuten, die den Holocaust verharmlosen, indem sie sagen, die Coronamaßnahmen seien so schlimm wie der Nationalsozialismus. Oder an Leuten, die zusammen mit der Partei »Die Basis« (Coronaleugnerpartei, die der »Quer­denken«-Bewegung nahesteht, Anm. d. Red.) in lokalen Gremien eine Fraktion bilden. Es gibt keinen tragbaren Konsens, weshalb niemand weiß, wofür »Die Linke« am Ende steht. Das ist enorm frustrierend.

Was hat »Die Linke« Ihrer Meinung nach bei der Aufarbeitung von #LinkeMeToo versäumt?

Dubiel: Es dürften keine Personen in Ämtern bleiben oder gewählt werden, die Täter sind oder Täter geschützt haben, wie es beispielsweise in Hessen der Fall ist. Es gibt außerdem noch keine ­finanzielle Unterstützung für Betroffene. Es sind schon 4 500 Euro Anwaltskosten entstanden und die Partei sitzt das aus. Es fehlt zudem an systematischer Aufarbeitung, beispielsweise mittels einer anonymen Studie, die wir als Linksjugend vorgeschlagen haben.

Ein positives Beispiel ist die externe Expertinnenkommission, an die sich Betroffene sexualisierter Übergriffe jetzt wenden können. Doch ich fürchte, dass auch das nichts ändern wird, denn der Parteivorstand hat bei Vorwürfen keine Handhabe, Beschuldigte ­vorübergehend von ihren Ämtern zu entbinden.

Haben Sie noch Hoffnung für »Die Linke«?

Hammes: Es gibt Landesverbände, die sich erneuern wollen, und Einzelpersonen, die eine Vertrauensbasis herstellen wollen und gute Arbeit machen, doch die Bundesebene bremst diese Leute aus. Ich denke, wir müssen eine Partei werden, die Bewegungsanliegen aufnimmt und gleichzeitig linke Kernthemen nicht aus dem Auge verliert.

Dubiel: Der Linkspartei fehlt es in bestimmten Bereichen an Radikalität. Im Bundestagswahlkampf hat sie einen Euro mehr Mindestlohn gefordert als die SPD. Das reicht einfach nicht! Und dann wundert sich »Die Linke«, dass sie nicht einmal mehr von den Leuten gewählt wird, die sie sonst aus Mangel an Alternativen gewählt haben.

Hammes: Viele linksradikale Kleinparteien oder Bündnisse verstehen es viel besser, dass man eben radikale realpolitische Forderungen stellen und damit das politische Establishment am Nasenring durch die Arena ziehen kann.
 

Hammes und Dubiel

Bild: Ben Gross

Jakob Hammes (links) ist 21 Jahre alt und seit November 2021 im Bundessprecherinnenrat der Linksjugend Solid. Er studiert in Frankfurt am Main und beschäftigt sich vor allem mit Öffentlichkeitsarbeit und inhaltlich mit den Themen Mental Health und Antifaschismus.

Sarah Dubiel ist 28 Jahre alt, alleinerziehend und seit November 2020 im Bundes­sprecherinnenrat der Linksjugend Solid.
Sie wohnt in Wetzlar, gehört dort dem Stadtparlament an und holt derzeit das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach. Dubiels Themenschwerpunkte sind Inklusion, Bildungspolitik, Sozialpolitik, Klimagerechtigkeit und Verbandsaufbau im ländlichen Raum.