Die milden Urteile im Prozess gegen Fretteroder Nazis rufen Empörung hervor

Zecken sind selber schuld

Das Landgericht Mühlhausen hat die beiden Neonazis Gianluca B. und Nordulf H. zu Bewährungsstrafen und Arbeitsstunden verurteilt. Sie hatten 2018 zwei Journalisten im thüringischen Fretterode schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft hat bereits angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.

Für manche ist es nur ein mildes Urteil, für andere ein Justizskandal: Die Strafen für zwei Neonazis, die im April 2018 im thüringischen Fretterode zwei Journalisten schwer verletzt haben, sorgen für Empörung. Das Landgericht Mühlhausen verurteilte am Donnerstag vergangener Woche den 28jährigen Gianluca B. zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und den 23jährigen Nordulf H. zu 200 Arbeitsstunden. Die Staatsanwaltschaft hatte für B. dreieinhalb Jahre Haft und für H. eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung gefordert.

Vor knapp viereinhalb Jahren hatten zwei Journalisten, die auf Recherchen zur extremen Rechten spezialisiert sind, ein Szenetreffen auf dem Anwesen von Thorsten Heise in Fretterode beobachtet. Der NPD-Politiker gilt als einer der wichtigsten Drahtzieher der militanten Neonaziszene. Als die beiden Journalisten entdeckt wurden, begannen B. und H., die beiden mit dem Auto zu verfolgen. Für die Journalisten endete diese Hetzjagd damit, dass ihr Fahrzeug im Straßengraben landete. Die Neonazis griffen daraufhin mit Waffen an, verletzten einen Journalisten mit einem Schraubenschlüssel am Kopf und stachen dem anderen mit einem Messer ins Bein. Anschließend sollen sie eine Kamera gestohlen haben. Diesen schweren Raub sah die Vorsitzende Richterin Andrea Kortus jedoch nicht als erwiesen an. Sie verurteilte die Neonazis daher lediglich wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung.

Nicht nur das geringe Strafmaß, sondern auch die Urteilsbegründung des Landgerichts Mühlhausen sorgte für Empörung.

Neben dem Strafmaß sorgte die Begründung für Empörung. Es sei »kein gezielter Angriff auf Journalisten und auf die freie Presse« gewesen, sagte Kortus dem MDR zufolge. Die Initiative NSU Watch, die den Prozess beobachtet hat, schilderte auf Twitter weitere Details der Urteilsbegründung. Demnach sei H. der Richterin zufolge davon ausgegangen, dass es sich nicht um Journalisten, sondern um linke Aktivisten handelte. Das sei anzunehmen, weil er die Journalisten vor Zeugen als »Zecken« bezeichnet habe – laut Kortus eine »übliche Bezeichnung« für Linke.

Als »verheerend für die Pressefreiheit in Deutschland« bezeichnete anschließend die NGO Reporter ohne Grenzen das Urteil. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union wurde noch deutlicher: Man sei empört, besorgt und fassungslos. »Dieses skandalöse Urteil ist ein Schlag ins Gesicht nicht nur der beiden angegriffenen Journalisten, sondern all unserer Kolleginnen und Kollegen, die sich mit ihren Recherchen zum Rechtsextremismus Tag für Tag großen Gefahren für Gesundheit und Leben aussetzen«, sagte Geschäftsführerin Monique Hofmann. Selbst bei der FAZ hieß es in einem Kommentar: »Dieses Urteil ist ein Skandal.«

Die Abgeordnete im Thüringer Landtag, Katharina König-Preuss (Linkspartei) sagte: »Nach dem skandalösen Versagen der Justiz im Ballstädt-Prozess zeigt sich erneut, dass wir in Thüringen ein Justizproblem haben und Neonazis hier nicht mit adäquaten Strafen rechnen müssen, sondern per Urteil gar noch zu derartigen Taten ermutigt werden.« Sie fordert mehr Schutz für die Presse und ein engagierteres Vorgehen gegen rechte Szenetreffs. Zudem müsse das thüringische Justizminis­terium eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft und eine Schwerpunktgerichtskammer für Hasskriminalität einrichten. Für die thüringische Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Bündnis 90/Die Grünen) reiht sich das Urteil »in eine Folge von Ermittlungsfehlern, verspäteter Anklage und Verharmlosung rechter Gewalt« ein. Es gleiche einem »Freifahrtschein für die Täter«.

Ob das Urteil Bestand haben wird, ist allerdings fraglich. Nur einen Tag nach der Verkündung erklärte die Staatsanwaltschaft, dass sie Revision beim Bundesgerichtshof einlegen werde. Staatsanwalt Benedikt Ballhausen sagte der Taz, dass das Gericht die politische Motivation der Angreifer »nicht hinreichend berücksichtigt« habe.