In den Farben getrennt, in der Sache vereint
Seit der Ermordung Mahsa Aminis Mitte September hören die Proteste und Unruhen in der Islamischen Republik Iran nicht auf. Auch der Sport bleibt davon nicht unberührt: Immer wieder bekommen Sportlerinnen und Sportler Probleme mit den Staatsorganen, weil sie sich auf die eine oder andere Weise mit den Aufständischen solidarisieren.
Der bekannteste Fall ist dabei mit Sicherheit der der Kletterin Elnaz Rekabi. Diese war am 16. Oktober bei den Asienmeisterschaften der International Federation of Sport Climbing (IFSC) im südkoreanischen Seoul in der Finalrunde der Disziplin Boulder and Lead ohne Kopftuch angetreten. Dass sie am Ende den vierten Platz belegte, interessierte nahezu niemanden. Die Berichterstattung konzentrierte sich einzig auf die Bilder ihres Pferdeschwanzes und die Reaktion der iranischen Behörden darauf, dass es diese Bilder gab.
Dass der Iran in der Vorrunde der Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar nicht nur auf England und Wales, sondern ausgerechnet auch
auf die USA trifft, verleiht dem Ganzen zusätzliche Brisanz.
Rekabi wurde umgehend von Mitarbeitern des iranischen Geheimdienstes festgesetzt, ihr Pass und ihr Mobiltelefon wurden eingezogen. Mehrfach musste sie Stellungnahmen abgeben und erklären, dass alles nur ein Versehen gewesen sei. Auch ihr Bruder Davoud, der ebenfalls an den Wettkämpfen teilnahm, stützte in einem Interview mit regimenahen Medien diese Version der Geschehnisse. Trotzdem wurde Rekabi nach ihrer Rückkehr in den Iran am Teheraner Flughafen wie eine Heldin empfangen.
Auch andere iranische Sportlerinnen und Sportler haben auf die Proteste in ihrem Herkunftsland reagiert. Die meisten von ihnen nutzen dazu soziale Medien, allen voran die Plattform Instagram. Andere, die mit dem Mullah-Regime gebrochen haben und geflüchtet sind, nutzen ihre Bekanntheit und sprechen direkt mit ausländischen Medien. Die Gewichtheberin Parisa Jahanfekr nahm in Berlin an Demonstrationen teil und sprach kürzlich mit dem Spiegel. Der Kanute Saeid Fazloula war zu Gast in der ZDF-Sendung »Sportstudio«. Beide leben inzwischen in Deutschland. Fazloula ist bereits vor sieben Jahren geflüchtet. Damals war er festgenommen worden, weil er nach einem Selfie im Mailänder Dom verdächtigt wurde, zum Christentum konvertiert zu sein, worauf in der Islamischen Republik Iran die Todesstrafe steht. »Die Menschen im Iran haben es satt«, sagte er im ZDF: »Sie können nicht mehr so weitermachen.«
Besonders im Blick standen und stehen die Spieler der Fußballnationalmannschaft, nicht nur weil Fußball im Iran ungemein beliebt ist, sondern auch weil das Team in weniger als einem Monat bei der Weltmeisterschaft der Männer in Katar antreten wird. Dass neben England und Wales ausgerechnet die USA in der Vorrunde als Gegner warten, verleiht dem Ganzen zusätzliche Brisanz.
Der 65malige Nationalspieler Sardar Azmoun, bei Bundesligist Bayer Leverkusen unter Vertrag, etwa hatte Ende September auf Instagram Stellung bezogen und sich mit den Worten »Lang leben die iranischen Frauen« mit den Protesten solidarisiert. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt bei einem Trainingslager der Nationalmannschaft in Österreich und deutete auch an, man habe den Spielern einen Maulkorb verpasst. Sein Beitrag wurde bereits nach kurzer Zeit wieder gelöscht. Beim folgenden Testspiel gegen den Senegal wurde Azmoun eingewechselt und erzielte ein Tor.
Es war nicht das erste Mal, dass Azmoun sich zu dem Thema äußerte. Bereits eine Woche zuvor hatte er auf Instagram geschrieben: »Wenn das Muslime sind, möge Gott mich zum Ungläubigen machen.« Dass er dennoch zur Nationalmannschaft eingeladen und auch eingesetzt wurde, zeigt, wie wichtig dem iranischen Regime die Möglichkeit ist, sich in Katar in bestmöglicher Form auf der Weltbühne zu präsentieren.
Unterdessen forderte der ukrainische Spitzenclub Schachtar Donezk in der vergangenen Woche, den Iran von der Fußballweltmeisterschaft der Männer auszuschließen. Sein Vorsitzender Serhij Palkin hatte auf Twitter überdies darauf verwiesen, dass die russische Armee bei ihrem Eroberungskrieg in der Ukraine wiederholt vom Iran gelieferte Kampfdrohnen für den Angriff auf die Zivilbevölkerung verwendet hat. Dass die Fifa tatsächlich handelt, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Der Verband, der seine Turniere gewohnheitsmäßig von autoritären Regimen ausrichten lässt, zeigt beim Thema Menschenrechte bekanntlich ein beeindruckendes Maß an Ignoranz.
In der Islamischen Republik Iran selbst häufen sich in den vergangenen Wochen die Berichte über aktive oder ehemalige Fußballprofis, die von den örtlichen Ordnungsbehörden festgenommen wurden. Der in Österreich lebende iranische Journalist Payam Younesipour berichtete dem Standard von mehreren Spielern der ersten Liga, die verhaftet wurden, ohne dass die Zeitung dabei deren Namen nannte. Bekannt geworden ist der Fall von Hossein Mahini, einem ehemaligen Nationalspieler, der bis zum Sommer beim Teheraner Zweitligisten Saipa FC unter Vertrag stand. Er war Anfang Oktober festgenommen worden, wurde jedoch auf Kaution wieder freigelassen, nachdem sich zahlreiche namhafte ehemalige Fußballprofis wie Ali Karimi und Mehdi Mahdavikia für ihn eingesetzt hatten.
Karimi, der inzwischen in Dubai lebt, hat auch selbst Stellung bezogen. »Habt keine Angst vor starken Frauen«, forderte der ehemalige Spieler des FC Bayern München auf Twitter. Auch Ali Daei, ehemaliger Bundesligaprofi bei Arminia Bielefeld, Bayern München und Hertha BSC sowie Rekordtorschütze der iranischen Nationalmannschaft, geriet in den Fokus der Behörden. Zunächst war ihm der Reisepass abgenommen, aber nach kurzer Zeit wieder zurückgegeben worden. Vergangene Woche wurde er dann gemeinsam mit dem ehemaligen Nationaltorhüter Hamed Lak vom Geheimdienst in einem Hotel festgesetzt. Bei Protesten vor dem Gebäude sollen auch Schüsse gefallen sein.
Einfacher haben es Spieler, die wie Azmoun im Ausland spielen. So hat Saeid Ezatolahi, der in Dänemark bei Velje BK spielt, auf Instagram seine Solidarität mit den Protestierenden betont und gefordert, die Führungsriege der Islamischen Republik Iran solle »auf die Menschen in unserem Land hören«. Majid Hosseini, der bei Kayserispor in der türkischen Süper Lig spielt, teilte einen Beitrag, der die Polizei aufforderte, die Waffen niederzulegen. Beide gehören weiterhin zum Kader der Nationalmannschaft und dürften sehr wahrscheinlich auch zum Aufgebot des iranischen Verbands für die Weltmeisterschaft zählen.
Bei den Testspielen in Österreich gegen Uruguay und den Senegal hatten die Spieler der iranischen Nationalmannschaft mit über den Schultern verschränkten Armen demonstrativ Geschlossenheit gezeigt, wohl auch gegen das Schweigegebot, das der Verband gegen sie verhängt hatte und das nur Azmoun zu brechen wagte. Sollten die Proteste im November noch andauern oder sich sogar ausgeweitet haben, dürfte das die Spieler kaum kalt lassen. Immerhin geht es um ihre Freunde, Nachbarn und Familien. Außerdem gehören sie allesamt zu genau der jüngeren Generation, die gegenwärtig als treibende Kraft hinter den Protesten gilt. Es ist also möglich, dass zumindest einige von ihnen die Spiele in Katar zum Anlass nehmen, ihre Solidarität auszudrücken.
Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas geschieht. Als es 2009 nach der Wiederwahl von Mahmud Ahmadinejad zu massenhaften Protesten wegen vermuteter Wahlfälschung gekommen war, trugen einige Spieler – unter ihnen Ali Karimi – grüne Armbinden, mit denen sie sich mit der oppositionellen »Grünen Bewegung« solidarisierten. Etwas Vergleichbares wäre auch in diesem Jahr durchaus denkbar.
Wie das aussehen könnte, hat Azmouns Kollege in der Nationalmannschaft, Zobeir Niknafs vom iranischen Erstligisten Esteghlal Teheran, gezeigt. In einem Video, das er auf Instagram gepostet hat, zeigt er, wie er sich in Solidarität mit den Frauen in der Islamischen Republik Iran die Haare abrasierte. Eine komplett glatzköpfige Nationalmannschaft wäre wahrscheinlich ein ungewöhnlicher Anblick, aber es wäre ein Zeichen, das die Menschen im Iran ganz sicher verstehen würden.