Das Geschäftsmodell vom Lieferservice Gorillas scheint nicht aufzugehen

Liefernd in den Abgrund

Das Lieferunternehmen Gorillas wehrt sich immer noch gegen die Wahl von Betriebsräten. Das Berliner Start-up hat mehr als eine Milliarde Euro an Kapital erhalten, scheint aber kurz vor der Pleite zu stehen
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Gute Arbeitsbedingungen werden wohl die wenigsten mit dem Lieferservice Gorillas in Verbindung bringen. Doch einen Vorteil hat es offenbar, dort zu arbeiten: Eigenen Angaben zufolge hat sich das Unternehmen das Ziel gesetzt, »Musiker:innen und Kreative aus den eigenen Reihen zu unterstützen und zu fördern«. Dafür hat das Unternehmen gemeinsam mit dem Musik­label MNF ein eigenes Plattenlabel gegründet, Pedal Records. Die Mitarbeiter:­innen können dort Songs einreichen und wenn sie Glück haben sogar einen Plattenvertrag abschließen. »Wir ermutigen unsere Crew, unsere Werte zu leben und mutig und authentisch zu sein«, heißt es von Gorillas.

Diesen Werten widerspricht es aber offenbar, sich für betriebliche Ver­tretung zu engagieren. Als die Angestellten in einem Auslieferungslager in Berlin einen Betriebsrat wählen wollten, legte die Unternehmensführung dagegen Beschwerde ein. Das Unternehmen hatte schon im November ver­gangenen Jahres erfolglos versucht, die Wahl eines Betriebsrates zu verhindern. Anschließend hatte das Unternehmen die einzelnen Auslieferungs­lager in Franchise-Unternehmen ausgelagert. Seitdem versuchen Angestellte dieser Unternehmen, eigene Betriebsräte zu wählen. Vergangenen Monat hat das Landesarbeitsgericht jedoch Gorillas Beschwerde dagegen stattgegeben: die geplante Betriebsratswahl durfte nicht stattfinden, weil Vorschriften zur Wahl nicht eingehalten worden seien.

Ob und wie sich das Geschäftsmodell der schnellen Lebensmittellieferung überhaupt profitabel gestalten lässt, bleibt offen.

Eine Berliner Interessenvertretung von Gorillas-Angestellten, das Gorillas Workers Collective, sagte der Jungle World, dass man trotzdem nicht aufgeben werde. In fünf weiteren Auslieferungslagern seien fünf weitere Wahlen geplant. »Die Arbeiter:innen von Gorillas haben ein Recht auf Vertretung.«

Die Episode um den Betriebsrat reiht sich in eine lange Kette ähnlicher Vorfälle ein. Aus der Perspektive von Lohnabhängigen und Gewerkschaften steht das Lieferunternehmen Gorillas vor allem für Ärger. Im Februar 2021 streikten Arbeiter:innen von Gorillas zum ersten Mal und erreichten damit eine große Öffentlichkeit. Das war weniger als ein Jahr nach Gründung der Gorillas Techno­logies GmbH im Mai 2020 in Berlin.

Bei Investoren war das Unternehmen dagegen lange beliebt gewesen. Mit drei sogenannten Finanzierungsrunden konnte Gorillas’ Geschäftsführer und Gründer Kağan Sümer über eine Milliarde Euro einsammeln, sein Unternehmen war dabei im vergan­genen Jahr noch mit einem Wert von zwei Milliarden Euro bewertet worden. Doch seit einiger Zeit schwindet die Gunst der Investoren. Im Sommer ist eine Finanzierungsrunde gescheitert. Gorillas scheint in akuten Problemen zu stecken und verhandelt offenbar inzwischen mit dem türkischen Konkurrenten Getir über eine Übernahme. Medien­berichten zufolge soll die Bewertung von Gorillas dabei nur noch halb so hoch sein wie bei der letzten Finanzierungsrunde. Noch gibt es aber keine konkreten Ergebnisse.

Gorillas hat Zeit seines Bestehens nur Verluste gemacht. Der Aufbau und der Betrieb des Unternehmens, vor ­allem die schnelle internationale ­Expansion, haben seit Gründung mehrere hundert Millionen Euro gekostet. Und die Konkurrenz in der Branche ist hart. Wie hoch Gorillas’ Verluste sind, zeigte vergangenen Monat eine Recherche der NDR-Sendung »Panorama«, die sich auf interne Zahlen des Unternehmens berief. Demnach hat Gorillas allein im Februar 2022 57 Millionen Euro Verlust verzeichnet. Kurz darauf, im Mai, entließ das Unternehmen 300 Angestellte – die Hälfte des Personals in der Konzernzentrale – und zog sich aus manchen Märkten zurück, zum Beispiel aus Italien. »Panorama« zufolge lag der Verlust im Juli allerdings immer noch bei 25 Millionen Euro.

Zur Begründung hieß es im Mai, dass nach einer Phase, in der sehr viel Geld vergeben wurde, die Investor:innen nun vorsichtiger geworden seien. Daher sei man zu Einsparungen gezwungen. Gorillas habe seit Oktober 2021 seinen Fokus »von rasantem Wachstum auf langfristige Profitabilität verlagert« und werde diesen Kurs nun fortsetzen.

Dass »langfristige Profitabilität« vorher offenbar nicht im Fokus des Unternehmens gestanden hatte, zeigt, wie spekulativ es in der Start-up-Branche oft zugeht. Dass technologiebasierte Start-ups in den ersten Jahren keine Gewinne erzielen, ist nicht un­üblich, sondern Teil des Geschäftsmodells. Diese Anfangsphase, in der sich die Geschäftsidee etablieren soll, wird durch sogenanntes Venture- oder ­Risikokapital von Investor:innen finanziert. Als Anreiz für die Investition zählt der steigende Marktwert des Unternehmens. Dieser basiert wiederum auf der Erwartung, dass irgendwann eine dominante Marktstellung erkämpft werden kann. Erst dann soll das große Geld gemacht werden.

Bis dahin gilt es für die Anwärter, im Geschäft zu bleiben. In der Sparte der schnellen Lebensmittellieferdienste – also derer, die innerhalb kürzester Zeit liefern, im Gegensatz etwa zu den Lieferdiensten von Supermärkten, die ein bis zwei Tage brauchen – konkurrierten deutschlandweit zeitweilig 15 Unternehmen, darunter das Frankfurter Start-up Grovy, dem bereits nach kurzer Zeit das Geld ausging. Heute sind europaweit neben Gorillas nur noch Getir und Flink übriggeblieben.

Ob und wie sich das Geschäftsmodell der schnellen Lieferung überhaupt profitabel gestalten lässt, bleibt unterdessen offen. Im NDR-Bericht werden Kosten und Einnahmen von Gorillas am Beispiel Hamburgs gegeneinander aufgerechnet. Nach Abzug der Aus­gaben für Einkauf, Betrieb und Löhnen entstehe nicht mal ein kleiner Gewinn, sondern vielmehr ein Minus von durchschnittlich 5,30 Euro pro Bestellung. Theoretisch könnte also der Rückgang der monatlichen Verluste, der im Laufe dieses Jahres verzeichnet wurde, auch daran liegen, dass weniger Bestellungen eingegangen sind.