Das Projekt »Energie-Hilfe« und warum es nötig ist

Die nächste Lücke stopfen

Trotz einiger staatlicher Entlastungsmaßnahmen geraten etliche Menschen durch hohe Nebenkosten in finanzielle Bedrängnis. Viele wissen auch gar nicht, welche staatlichen Hilfen sie beanspruchen können. Die Kampagne Energie-Hilfe will darüber aufklären.

Während die Unionsparteien im Bundesrat weiterhin die Umwandlung von Hartz IV ins »Bürgergeld« blockieren – und damit eine moderate Anhebung der Grundsicherung –, berichten die Tafeln von immer länger werdenden Schlangen. »Seit Jahresbeginn verzeichnen wir einen Anstieg der Kundinnen und Kunden von 50 Prozent«, sagte Jochen Brühl, der Vorsitzende des Tafel-Dachverbands, Anfang November der Rheinischen Post. Derzeit kämen etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland zu den Tafeln.

Der Besuch von Tafeln ist seit Jahren fester Bestandteil des Lebens vieler ­Menschen in Deutschland. Denn die knapp bemessene staatliche Grund­sicherung kann ebenso wie ein Niedriglohnjob schnell zu armutsbedingter Mangelernährung führen. Das war auch schon der Fall, bevor dieses Jahr die ­Inflation stark anstieg. Aufgrund einer unzureichenden Datengrundlage lasse sich »die genaue Anzahl an ernährungsarmen Menschen nicht beziffern«, schrieb schon vergangenes Jahr der Think Tank Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in einem Bericht. Auf Basis der verfügbaren Informationen sei allerdings davon auszugehen, »dass ein Großteil der 12,5 Millionen Menschen, die (in der Bundesre­publik) unter der Armutsgefährdungsquote leben, zumindest zeitweise von Ernährungsarmut betroffen ist.«

Stromkosten werden bei der Grund­sicherung nicht als geson­derter Bedarf anerkannt, sondern sind in den Regelsätzen einkalku­liert – derzeit mit 36,43 Euro pro Monat für einen Alleinstehenden.

Mit den drastischen Preissteigerungen für Heizen und Strom nimmt der Druck auf einkommensarme Menschen weiter zu. Der Staat plant zwar eine »Gaspreisbremse«, die ab kommendem März greifen soll, und will einmalig die Abschlagszahlungen für den bevorstehenden Dezember übernehmen. Dennoch werde es »viele Menschen geben, die ihre Energierechnungen nicht mehr zahlen können«, sagte kürzlich Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Zusammen mit dem Erwerbslosenverein Tacheles hat der Paritätische Wohlfahrtsverband daher die Kampa­gne »Energie-Hilfe.org« initiiert. Ihr Ziel ist, darüber zu informieren, wie sich staatliche Gelder, die einem zustehen, auch wirklich bekommen lassen. »Eigentlich sind die Sozialleistungsträger selbst zu dieser Aufklärung gesetzlich verpflichtet«, heißt es auf der Website von Tacheles, »passieren tut es eher selten.« Wie bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln braucht es also auch bei den Wohnnebenkosten zivilgesellschaftliches Engagement, um wenigstens ein paar der Lücken, die der Sozialstaat gerne lässt, schließen zu können.

Von Harald Thomé aus dem Vorstand von Tacheles hieß es, die Kampagne richte sich daher »insbesondere auch an die Menschen, die ihre hohen Energiekosten mit ihrem Einkommen nicht mehr bezahlen können« und dadurch erst zu Anspruchsberechtigten staatlicher Gelder werden – womöglich ohne es zu wissen. Denn hier liegt oft das Problem: Anspruchsberechtigte müssen »zur Wahrung ihrer Ansprüche jetzt schnell Anträge stellen«. Die Seite der Kam­pagne bietet zahlreiche Informa­tionen sowie Musteranträge und zeigt auf, wo es Beratungsstellen gibt.

Ebenfalls beteiligt ist der Verein Sanktionsfrei, der zudem einen Solidarfonds betreibt. Menschen, die derzeit Grundsicherung beziehen, können sich dort melden und finanzielle Hilfe für Stromnachzahlungen erhalten – allerdings nur, solange die Geldreserven auf Spendenbasis ausreichen.

Bei der Grundsicherung – wie sie etliche Millionen Sozialhilfeempfänger, aber auch Rentnerinnen und Rentner erhalten – wird im Gesetz eine kuriose Unterscheidung zwischen Strom und Gas vorgenommen. So ist bei Heiz­kosten aller Art grundgesetzlich vorgeschrieben, dass der Staat sie für Be­zieherinnen und Bezieher der Grundsicherung »in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen« bezahlen muss, so lange sie einen »angemessenen« Umfang nicht übersteigen. Hier stehen die Chancen also gut, dass Sozialämter die anfallenden Zusatzkosten übernehmen.

Ganz anders aber beim Strom. Dieser wird bei der Grundsicherung nicht als gesonderter Bedarf anerkannt, sondern ist in den Regelsätzen einkalkuliert – derzeit mit 36,43 Euro pro Monat für einen Alleinstehenden. Kommt es hier also zu Preissteigerungen, müssen sie aus dem ohnehin knapp bemessenen Budget der Grundsicherung beglichen werden. Ausgenommen hiervon ist nur, wenn mit Strom geheizt oder fließend Warmwasser bereitet wird – dann kann man begründeten Mehrbedarf anmelden, was allerdings müh­selige Bürokratie mit sich bringt.

Und so steht auf der Website der Kampagne auch der traurige Satz: »Wenn Ihr Stromanbieter Ihren Anschluss bereits wegen Stromschulden gesperrt hat, haben Sie die Möglich­keit, eine Schuldenübernahme (als Darlehen) bei Ihrem örtlichen Jobcenter/Sozialamt zu beantragen, damit Sie wieder mit Strom versorgt werden.« Wer seine Schulden nicht mehr bezahlen kann, darf sich also immerhin weiter verschulden – beim Jobcenter.

Laut Energie-Hilfe ist es für Bezieherinnen und Bezieher der Grundsicherung zwar »möglich, einen Antrag auf einen Härtefallmehrbedarf für die ­hohen Stromkosten zu stellen«. Aber: »Leider ist davon auszugehen, dass solche Anträge von den Ämtern abgelehnt werden und nur durch ein Klageverfahren vor einem Sozialgericht erstritten werden können.« Dabei sei eine kompetente anwaltliche Vertretung unabdingbar.

Allerdings ist es riskant, sein Recht einzuklagen. Verliert man vor Gericht, bleibt man meistens auf den Kosten für den eigenen Anwalt sitzen. Wohlhabende können dieses finanzielle Risiko oft problemlos eingehen, doch auf ärmere Menschen wirkt es abschreckend. Im Falle unklarer Erfolgsaussichten wagen sie oft gar nicht erst den Versuch, ihre Rechte vor Gericht einzuklagen.
Initiativen wie die Tafeln oder Energie-Hilfe und Sanktionsfrei e. V. leisten konkrete Hilfe für arme Menschen und können deren Notlage lindern. Doch das strukturelle Problem können sie nicht lösen: dass sich immer mehr Menschen die Kosten für den Lebensunterhalt schlicht nicht leisten können – von Wohlstand für alle ganz zu schweigen.