Bei Qanon-Anhängern kursiert die neue Verschwörungstheorie Gesara

Gegen das Finanzübel

Bei Qanon-Anhängern kursiert seit einiger Zeit eine neue Verschwörungs­theorie unter dem Namen Gesara. Sie verspricht weltweiten Schuldenerlass, Erlösung von wirtschaftlicher Not und vieles mehr.

Wer eine globale Diktatur unter der Führung des Weltwirtschaftsforums heraufziehen sieht, hat kaum Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Doch offenbar gibt es wieder Hoffnung in einschlägigen Telegram-Kanälen: Geheime Mächte, und zwar diesmal »gute« geheime Mächte, planen eine weltweite Gesetzesreform namens Gesara. Diese verspricht nicht nur die Wiederherstellung des Goldstandards und die Abschaffung der US-Notenbank, sondern auch einen weltweiten Schuldenerlass. Wieder einmal geht es gegen das in der Finanzsphäre verortete »raffende« Kapital und gegen eine angebliche Verschwörung, die hinter dem Finanzsystem und den Zentralbanken steckt und die Welt durch die Zinsherrschaft versklavt.

Die Verschwörungstheorie über Gesara beziehungsweise Nesara kursiert schon seit 20 Jahren, ist aber einer gemeinsamen Untersuchung der Recherche-Portale Bellingcat und Lighthouse Reports zufolge erst seit kurzem äußerst beliebt bei Qanon-Anhängern, auch in Europa. Ihren Ursprung hat sie bei dem US-amerikanischen Lehrer Harvey Francis Barnard. Dieser hat privat ein Gesetz mit dem Titel »National Economic Security and Recovery Act«, kurz Nesara, erarbeitet. Ihm schwebte die Abschaffung der Federal Reserve, des Zentralbanksystems der USA, vor, eine Einschränkung verzinslicher Kredite und die Rückkehr zur Goldpreisbindung des Dollars. 1996 schickte er das »Draining the Swamp« betitelte Manuskript an die Mitglieder des US-Kongresses.

Dort fand Barnards Vorschlag offenbar keine begeisterten Leser. Um die Jahrtausendwende stellte er sein Konvolut im Internet frei zur Verfügung und begeisterte damit die Bloggerin Shaini Goodwin, eine Anhängerin der esoterischen Ramtha’s School of Enlightenment. Sie griff Barnards Vorschläge auf und verbreitete, deren Verwirklichung werde im Geheimen bereits vorbereitet – auf entsprechenden Websites kursiert die Behauptung, der Kongress habe das Gesetz insgeheim bereits 2000 verabschiedet. Allerdings würden finstere Mächte dagegen arbeiten – Goodwin unterschied zwischen »Weißen Rittern« und einer »dunklen Kabale«. In späteren Varianten der Geschichte spielte auch eine »Galaktische Föderation« eine Rolle. Mit der Zeit setzte sich der Glaube durch, das Gesetz werde als »Global Economic Security and Recovery Act« (Gesara) auch weltweit umgesetzt. Später kam noch die Auffassung hinzu, mit Gesara würden weltweit alle Währungen neu bewertet.

Bellingcat zufolge verbreiten sich Gesara-Gerüchte in Qanon-Kanälen seit Januar 2022 rasant. Die entsprechenden Schlagworte scheinen die bislang typischen Qanon-Slogans abzulösen. Das sollte nicht allzu sehr verwundern: Bereits im klassischen Antisemitismus ging die Rede vom jüdischen Kindsmord mit der von der jüdischen Zinsknechtschaft einher. In den USA sei dieser Wechsel schon vollzogen, in europäischen Kanälen zeichne er sich ab.

Ein Grund für die Beliebtheit des Gesara-Plots könnte sein, dass er sich ausgezeichnet für Betrugsmaschen eignet. Bellingcat weist auf den britischen Verschwörungstheoretiker Nicholas Veniamin hin, der seinen Telegram-Followern einen Schein über 100 Billionen Simbabwe-Dollar für 35 Pfund angeboten hat. Der Simbabwe-Dollar ist völlig wertlos und wird seit 2009 nicht mehr genutzt. Doch wer an die Neubewertung aller Währungen durch Gesara glaubt, dürfte den Kauf der Schrottwährung als Schnäppchen sehen.

Verschwörungserzählungen und unseriöse Finanztipps gehen häufig Hand in Hand. So berichtete das private Fakencheck-Unternehmen Logically, in den USA hätten Qanon-Influencer in den zurückliegenden Jahren ihre Anhänger zum Kauf von fragwürdigen Kryptowährungen animiert. Das bewährte Zusammenspiel von Verschwörungspredigt und Anlageberatung funktioniert in der Regel so, dass eine nahende Katastrophe prophezeit wird, vor der man aber – zum Glück! – sein Geld in krisensichere Anlagen retten könne. Gesara funktioniert anders, nämlich als generelles Heilsversprechen. Im Gegensatz zur düsteren Qanon-Theorie biete Gesara »die Hoffnung, dass die Dinge besser werden und dass die guten, unterdrückten Menschen der Welt endlich über ihre globalistischen Kontrolleure triumphieren werden«, sagte der US-amerikanische Journalist und Qanon-Experte Mike Rothschild Bellingcat.

Verschwörungstheoretische Weltbilder konzentrieren sich meist auf die finsteren Kräfte des Feindes, bisweilen werden allerdings auch mächtige Verbündete imaginiert. Im Qanon-Universum gibt es die von Donald Trump angeführten »White Hats«, also eine gute Verschwörung, die heimlich gegen die bösartigen, pädophilen »Eliten« kämpft. Schon der rechtsextreme Ufologe Axel Stoll wähnte sich unter dem Schutz einer »Dritten Macht«, einer fiktiven Nachfolgeorganisation des Dritten Reichs. Die Reichsbürger, die im Dezember wegen mutmaßlicher Putschpläne festgenommen wurden, haben offenbar an die Hilfe einer »Allianz« geglaubt, »eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs«, wie es in der Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft heißt. Recherchen des Nachrichtenportals T-Online zufolge sollen manche Mitglieder der Gruppe geglaubt haben, sie stünden mit Außerirdischen in Kontakt. Für den Putsch hoffte man demnach auf Unterstützung aus dem All.

Auch auf deutschsprachigen Esoterik-Websites liest man von einer »Allianz«, die die erlösenden Gesara-Reformen in die Tat umsetzen will. Mehr noch: »Mit der Ausrufung von Gesara (…) wird die Allianz das Zentralbanksystem (Fed), das darauf abzielt, die Weltwirtschaft zu zerschlagen und die Weltbevölkerung in eine ewige Schuldsklaverei zu versetzen, vollständig zerstören«, heißt es in einer Broschüre vom »Volksnetzwerk Deutschland«. Dass die US-amerikanische Notenbank eine Schlüsselposition unter den Mächten des Bösen innehabe, gilt unter Verschwörungsgläubigen als ausgemacht.

Gesara ist nicht die einzige Verschwörungstheorie, die finanzielle Erlösung verheißt. Ein anderes Beispiel ist der One People’s Public Trust (OPPT): 2012 sollen drei US-Juristen behauptet haben, der Besitz aller Regierungen und Banken sei gepfändet und jeder OPPT-Anhänger werde bald zehn Milliarden Dollar in Gold und Silber erhalten.

Der Soziologe Fabian Muniesa hat in dem Aufsatz »Paranoid Finance« (2022) untersucht, wie Geld und Finanzen in Verschwörungsmythen wie Gesara oder OPPT verhandelt werden. Er sieht die OPPT-Vorstellungen als »Verschärfung der Rationalität der Finanzwirtschaft« in Form einer »radikal wörtlichen Auslegung der Konzepte der finanziellen Rationalität«. Der Sieg über die Zentralbanken soll eine Zukunft einleiten, in denen die Wirtschaft nicht mehr länger von »Eliten« kontrolliert und manipuliert werde, sondern nach marktradikalen Idealvorstellungen funktioniere. Es handele sich um den »Traum von einer Welt, die von freien Investoren bevölkert ist, die gleichzeitig Produzenten von Geld, Nutznießer von Wert und ­Eigentümer ihrer selbst sind«, schreibt Muniesa. Dass Gesara-Versatzstücke oft auf Websites von Edelmetallhändlern, Immobilienmaklern und Adressen-Sammelunternehmen zu sehen sind, wie die Datenbank Psiram festgestellt hat, überrascht da wenig.