Die Belegschaft der Deutschen Post kämpft um Lohnerhöhung

Die Streikfront steht

Trotz Milliardenprofiten verfolgt die Deutsche Post im derzeitigen Tarifkonflikt eine Eskalationstaktik. Doch die Postler:innen haben bereits im Tarifkonflikt 2015 Durchhaltevermögen bewiesen. Am Wochenende fanden bereits die ersten Warnstreiks statt.

Briefe kommen nicht rechtzeitig an, Zeitungen erreichen ihre Abo­nnent:in­nen erst mit erheblicher Verspätung, mancherorts wird wochenlang gar keine Post zugestellt, und Monat für Monat lösen sich Zehntausende Sendungen in Luft auf – insgesamt 43 500 Beschwerden über Brief- und Paketdienstleister registrierte die dafür zuständige Bundesnetzagentur im vergangenen Jahr. 2021 waren es noch knapp 15 000. Der Großteil der Beschwerden betraf den mit Abstand größten Zusteller, die Deutsche Post.

Als Ursache für den faktischen Zusammenbruch der flächendeckenden Zustellung, der im Herbst zu verzeichnen war, und die weiterhin anhaltenden Zustellprobleme nennt der Konzern akuten Personalmangel. Für das Weihnachtsgeschäft forderte die Post gar Verwaltungsmitarbeiter:innen dazu auf, freiwillig in der Postzustellung auszuhelfen, und verstärkte die Anwerbung von Zusteller:innen aus dem EU-Ausland. 2021 hatte die Tochterfirma Deutsche Post DHL beispielsweise Stellenanzeigen auf Polnisch geschaltet und unter anderem Hilfe beim Umzug und bei der Wohnungssuche angeboten. ­Bereits während der Warnstreiks 2015 hatte das Unternehmen Paketboten vorübergehend nach Deutschland geholt.

Tatsächlich nimmt sich die Forderung von 15 Prozent angesichts der Milliardengewinne der Deutschen Post eher bescheiden aus.

Die für den Postsektor zuständige Gewerkschaft Verdi hat eine einfache Idee, diesem Personalnotstand ent­gegenzuwirken: bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Eine Lohnerhöhung von 15 Prozent und eine Anhebung der Ausbildungsvergütung um 200 Euro für jedes Ausbildungsjahr fordert Verdi in den derzeitigen Tarifverhandlungen mit der Post.

Die Deutsche Post weist die Forderung als realitätsfremd zurück. Die B.Z. bezeichnet sie gar als »irrwitzig« und warnt vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, sollten sich die Post­le­r:in­nen durchsetzen.

Tatsächlich nimmt sich die Forderung von 15 Prozent angesichts der Milliardengewinne der Deutschen Post ­jedoch eher bescheiden aus. Allein im dritten Quartal des vergangenen Jahres konnte der Konzern seinen operativen Gewinn um 15,2 Prozent auf zwei Milliarden Euro steigern. Das Jahr 2021 hat der Konzern mit einem Rekordgewinn von 5,1 Milliarden Euro abgeschlossen – eine Steigerung um 70 Prozent gegenüber 2020. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2022 dürfte dieses Ergebnis abermals übertroffen werden. 8,4 Milliarden Euro Gewinn prognostiziert die Deutsche Post für das zurückliegenden Jahr und wird ihren Aktionären im Frühjahr wohl eine Rekorddividende ausschütten können.

Erwirtschaftet wurden diese Milliardenprofite auf dem Rücken der Beschäftigten. 140 000 der 160 000 Tarifbeschäftigten der Deutschen Post sind in den Entgeltgruppen eins bis drei eingruppiert. Das heißt, sie verdienen zwischen 2108 und 3090 Euro brutto im Monat. Niedrige Löhne sind in der Branche Alltag. So stiegen die Einkommen der Beschäftigten im Post- und Paketdienst zwischen 2011 und 2021 um sechs Prozent, die Einkommen über alle Wirtschaftszweige hinweg in diesen zehn Jahren jedoch um 23,8 Prozent. Dieser weit unterdurchschnittliche Lohnanstieg bedeutet einen Reallohnverlust, stiegen doch die Verbraucherpreise im selben Zeitraum um 14,6 Prozent.

Im Rahmen des jüngsten Tarifabschlusses erhielten die Beschäftigten der Deutschen Post 2021 fünf Prozent mehr Einkommen in zwei Stufen: zum Jahresbeginn 2021 drei Prozent und ab 2022 die vollen fünf Prozent. Auch dies bedeutet angesichts einer Inflations­rate von 7,9 Prozent allein im Jahr 2022 einen erheblichen Reallohnverlust.

Für die Profite des Konzerns zahlen die Beschäftigten jedoch nicht nur mit niedrigen Löhnen, sondern auch mit ihrer Gesundheit. Insbesondere die Paketmenge ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Die meisten Pakete werden im Verbund, also ­gemeinsam mit der Briefpost zugestellt. Mehrere Tonnen bewegen Zu­stel­ler:innen Tag für Tag. Von den Beschäftigten wird erwartet, immer schneller, immer schwerer und immer mehr zu transportieren. Das hat Folgen. Seit Jahren beklagen Betriebsräte und betrieb­liche Schwerbehindertenvertretungen, die Deutsche Post nehme den Verschleiß ihrer Mitarbeiter:innen billigend in Kauf, um die Profite zu steigern. Im Barmer-Gesundheitsreport 2021 landen »Berufe für Post- und ­Zustelldienste« bei der Zahl der Krankentage pro Versichertem auf Platz zwei von 109. Für die stellvertretende Verdi-Bundesvorsitzende und Verhandlungsführerin im Tarifkonflikt, Andrea Kocsis, ist vor dem Hintergrund dieser Zustände und der enormen Gewinne des Konzerns die For­derung von 15 Prozent mehr Lohn »nicht realitätsfern, sondern notwendig, gerecht und machbar«.

Ob es den Beschäftigten jedoch gelingt, ihre berechtigte Forderung auch durchzusetzen, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. In den ersten beiden Verhandlungsrunden legte die Post kein Angebot vor. Auf die Verweigerungshaltung des Konzerns hat Verdi nun mit ersten Warnstreiks reagiert. Zumindest an Kampfeswillen scheint es den Beschäftigten nicht zu fehlen. Der Unmut in der Postbelegschaft ist wegen der ständigen Arbeitsverdichtung und steigender Krankenstände enorm. Entsprechend hoch fiel auch die Beteiligung an den Warnstreiks aus: Etwa 30 000 Beschäftigte legten am Wochenende die Arbeit nieder. Wie die Deutsche Post mitteilte, seien durch die kurzzeitigen Ausstände drei Millionen Briefe und eine Million Pakete liegen geblieben.

Schon das unternehmerische Handeln im Normalbetrieb zeigt allerdings auch, dass der Konzern kein Problem damit hat, Einschränkungen beim Service und eine eingeschränkte Zustellqualität aufgrund von Arbeitskämpfen hinzunehmen. Wollen die Beschäftigten ihre Forderung also durchsetzen, führt an längeren Arbeitsniederlegungen kein Weg vorbei. Dass die Post­ler:innen auch dazu durchaus in der Lage sind, haben sie im jüngsten großen Tarifkonflikt 2015 mit mehrwöchigen Streiks bewiesen.