Bei der neuen Kampfsportart Power Slap ist mit bleibenden Gehirnschäden zu rechnen

Organisierter Gehirnschaden

Bei der neuen Kampfsportart Power Slap geht es darum, möglichst kräftige Ohrfeigen zu verteilen. Mit gravierenden Folgen.

»Power Slap« lautet der Name einer neuen Kampfsport-Reality-Show in den USA. Das Konzept der von Dana White, dem Präsidenten der Ultimate Fighting Championship (UFC), präsentierten Sendung lässt sich mit »Ohrfeigen verteilen und einstecken« zusammenfassen. In drei Gewichtsklassen wird ein Meister gekürt.

Ein Match im Power Slap ist ein Duell: Zwei Männer oder Frauen stehen sich an einem kleinen Tisch ­gegenüber. Wer an der Reihe ist, geschlagen zu werden, muss das Kinn vorstrecken und außerdem einen kurzen Stab in die hinter dem Rücken gehaltenen Hände nehmen. Der oder die andere nimmt daraufhin Maß und gibt dem Gegner oder der Gegnerin eine Ohrfeige.

»Reine Ausbeutung. Was kommt als Nächstes, ›Wer kann eine Messerstecherei überleben‹?« Chris Nowinski, Neurowissenschaftler

Es bleiben 30 Sekunden, um sich von dem Schlag zu erholen und sich bereit zu zeigen, weiterzumachen. Dann werden die Rollen getauscht. Geht während der festgelegten Rundenzahl niemand zu Boden, entscheiden die Punkte verteilenden Kampfrichter über Sieg und Niederlage. Als Schutz vor den Schlägen ist es lediglich erlaubt, die Ohren mit Watte oder anderweitig zu verpfropfen – das ist auch das Mindeste, denn sonst wäre wohl schon beim ersten Schlag das Trommelfell hin.

Dass es den Machern letztlich nur um Gewalt geht, zeigten schon die ersten 60 Sekunden der ersten Folge von »Power Slap«. Gezeigt wurde eine Ohrfeige, die den getroffenen Sportler zu Boden sinken ließ. Obendrein aber zeigte er den fencing genannten Reflex, der Menschen, die eine schwere Gehirnerschütterung erleiden, die Hände und Unterarme unkontrolliert vor das eigene Gesicht heben lässt.

Das Phänomen der fencing re­sponse (Fechtreaktion) war in den USA erst vor wenigen Monaten in den Medien Thema gewesen, als der Quarterback Tua Tagovailoa von den Miami Dolphins bei einem Football-Spiel nach einer schweren Gehirnerschütterung mit verkrampften Fingern eindeutig diese Reaktion zeigte. Tagovailoa kehrte zwar nach einigen Wochen auf das Football-Feld zurück, erlitt aber im Dezember eine weitere Gehirnerschütterung, die seine Saison beendete. Inzwischen wird spekuliert, dass der 24jährige seine aktive Karriere beenden muss, auch wenn er selbst an eine Rückkehr glaubt.

Tagovailoas Gehirnerschütterung sorgte in den Medien über viele Wochen für Gesprächsstoff und für einige Regeländerungen in der Na­tional Football League (NFL) bezüglich der Frage, wie auf einen Verdacht von Gehirnerschütterung zu reagieren ist. Unterdessen wurden in der ersten Folge von »Power Slap« gleich mehrere solcher Verletzungen, die gravierende Langzeitfolgen haben können, gezeigt. Die Reporter reagierten lediglich, indem sie große Begeisterung über die immense Schlagkraft der Ohrfeigenverteiler äußerten. Chris Nowinski, Neurowissenschaftler und Gründer der »Concussion Legacy Foundation« (concussion heißt Gehirnerschütterung auf Englisch), tweetete umgehend einen Videoclip, der die drei schlimmsten Gehirnerschütterungen zeigte: »Beachten Sie die fencing-Haltung bei der ersten Hirnverletzung«, schrieb er. »Er wird vielleicht nie mehr derselbe sein.« Dana White und der Sender TBS sollten sich schämen, so Nowinski weiter. »Reine Ausbeutung. Was kommt als Nächstes, ›Wer kann eine Messerstecherei überleben‹?«

Klar, eine Menge Sportarten beinhalten Gewalt. Und egal ob beim American Football, Eishockey, Boxen oder MMA (Mixed Martial Arts), die Gefahr einer Gehirnerschütterung besteht immer. Doch diese Sportarten unterscheiden sich von den Po­wer Slappern in wichtigen Punkten: Die Sportler und Sportlerinnen sind hochtrainiert und haben einige Techniken gelernt, möglichen Gefahren oder Knockouts zuvorzukommen. Zudem werden sie, zumindest im Idealfall, von den Regeln vor schweren Verletzungen geschützt. Und sie dürfen sich verteidigen. Beim Boxen und bei MMA ist der Kampf sogar vorbei, wenn man sich nicht mehr verteidigen kann und Schläge ungeschützt hinnehmen muss. Power Slap besteht dagegen aus lediglich zwei Komponenten: Man schlägt gezielt ins Gesicht oder man lässt sich gezielt ins Gesicht schlagen, je nachdem, wer gerade dran ist.

Und trotzdem gilt Power Slap als Sportart. Dana White erzählt in der ersten Folge, er habe Power Slap in Russland kennengelernt. Außerdem habe die Nevada State Athletic ­Commission (NSAC) das Ganze als Kampfsport anerkannt. Deshalb müsse man sich auch an deren Regeln halten. Verdeutlicht wird das durch einen Teilnehmer, der gerade ein Match bestritten hatte, eines, bei dem es darum ging, sich für weitere Folgen der Reality Show zu qua­lifizieren. Der Mann gewann zwar seinen Kampf, bekam aber keine Freigabe der NSAC, weil er auf einem Auge blind ist. Das sei schade, man hätte ihn gerne dabei gehabt, so White, aber da könne man eben nichts machen. Wieso aber Einäugigkeit das Verbot nach sich zieht, sich das Gehirn aus dem Schädel prügeln zu lassen, wird nicht erklärt – einen Schlag zu antizipieren und ihm auszuweichen, gehört schließlich nicht zum Konzept des Power Slap. Eigentlich müsste es egal sein, ob jemand auf einem Auge blind ist oder nicht.

Immerhin, nicht nur Neurowissenschaftler finden die neue Show abscheulich. Der Box-Promoter Dmitry Salita erklärte den großen Unterschied zum Boxen der Nachrichtenseite Insider.com: »Als Kinder wurde uns beim Boxen beigebracht, unsere Schläge zu tarnen.« Nicht zu weit auszuholen, weil der Gegner den geplanten Schlag dann sehen und ihm ausweichen, sich ducken oder den Angriff blocken könnte, beschrieb er die Grundlagen des Boxens. Power Slap biete dagegen keinerlei Verteidigungsmöglichkeit: »Bei dieser besonderen Form der Unterhaltung können Sie ausholen und zielen, und die andere Person kann sich nur darauf einstellen, das zu ertragen.« Dazu warnte Salita: »Wenn sich das Training verbessert und die Menschen leistungsfähiger werden, könnte alles nur noch schlimmer werden.« Und auch die Knockouts beurteilte er anders als die beim ­Boxen. »Wenn diese Typen bewusstlos werden, ist das eine Gehirnerschütterung der Art, wie sie etwa von einem Baseballschläger hervorgerufen wird.« Und er resümierte: »Aus meiner Sicht bringt das weder dem Kampfsport noch der Gesellschaft etwas.« Der Boxpromoter Lou DiBella ging noch etwas weiter und bezeichnete das Ganze als »organisierten Gehirnschaden«.

Bei der NSAC hat man sich im November 2022 dazu entschieden, ­Power Slap als Sportart anzuerkennen. Auf dem Meeting, das der Entscheidung vorausging, wurde von einem Treffen zwischen dem Unternehmer und NSAC-Leiter Stephen Cloobeck und Power-Slap-Vertreter Hunter Campbell (der bei der UFC zudem als Chief Business Officer fungiert) berichtet, bei dem Cloobecks Hauptfrage gelautet habe: »Sie werden dafür sorgen, dass niemand stirbt?« Campbell habe geantwortet, dies sei »Priorität eins bis zehn«, wobei er die Ziffern einzeln aufgezählt habe. »Das ist selbstverständlich«, habe er hinzugesetzt. Cloobeck soll danach nur noch gefragt haben, ob man sicherstellen würde, dass es keine schweren Hirnverletzungen geben werde. »Das ist richtig«, antwortete Campbell Insider.com zufolge.

Ob Cloobeck und Campbell damals bereits bekannt war, dass der polnische Bodybuilder und Kraftsportler Artur Walczak im November 2021 bei einem Slap-Event in Polen Gehirnblutungen erlitten hatte und einen Monat später an multiplem Organversagen gestorben war, ist nicht bekannt. Wenn die beiden Männer aber ihre Nachforschungen ernsthaft betrieben hätten, wäre es schwer geworden, davon keine Kenntnis zu erlangen.

Das Fazit von Lou DiBella war passend: »Wenn Sie Zweifel haben, dass unsere Gesellschaft zusammenbricht«, müsse man sich einfach ›Power Slap‹ auf TBS anschauen. ­Power Slap sei wie ein »plastisches, verstörendes Zugunglück, dem man sich nur schwer entziehen kann. Slap fighter … was zum Teufel bedeutet das überhaupt?!« Sein Tweet endete mit den Worten: »Dies ist ein Beweis dafür, wie beschissen wir alle sind.«