Ein junger Mitarbeiter der US-Armee hat Ermittlern zufolge Geheimdokumente geleakt

Maulwurf mit Interesse an Waffen

Geheimdokumente des Pentagons über die Lage im Ukraine-Krieg landeten über einen Discord-Server im Netz und wurden über putinnahe Kanäle weiterverbreitet.

Kein russischer Hacker, kein technikaffiner Friedensaktivist, nur ein 21jähriger, der seine teils noch minderjährige Online-Gefolgschaft mit internen Informationen beeindrucken wollte – das ist die derzeit gängige Interpretation der Geschehnisse, bei denen im großen Stil Geheimdokumente des US-Militärs geleakt und veröffentlicht wurden. Wochenlang kursierten die Unterlagen in sozialen Netzwerken. Sie sind wahrscheinlich echt, das Investigativ-Netzwerk Bellingcat wies aber nach, dass sie teils nachträglich manipuliert wurden.

Die Dokumente enthalten nach Berichten von US-Medien Informationen zu Waffenlieferungen an die Ukraine, Angaben zum Munitionsverbrauch und zu vermeintlichen Plänen der Nato und der USA, wie die ukrainische Armee auf eine Frühlingsoffensive vorbereitet werden könnte. Es gibt auch Landkarten, auf denen der Frontverlauf sowie Standorte und Personalstärke russischer und ukrainischer Truppen eingezeichnet sind.

Nach dem Spionagegesetz angeklagt
Am 13. April wurde ein IT-Mitarbeiter der Nationalgarde im Bundesstaat Massachusetts festgenommen. Der Verdächtige, Jack Teixeira, soll Abschriften der Geheimunterlagen von der Arbeit mit nach Hause gebracht und von dort über seinen Discord-Server mit einer Gruppe von Online-Freunden geteilt haben. Er wurde Freitag voriger Woche vor einem Bostoner Bundesgericht angeklagt und nach dem Spionagegesetz wegen unbefugter Aufbewahrung und Weitergabe von ­Informationen über die nationale Verteidigung sowie wegen unbefugter Entfernung von Verschlusssachen angeklagt.

Dabei hatte das Pentagon selbst die Online-Plattform Discord benutzt, um die Generation Z für eine militärische Laufbahn zu rekrutieren. Es betreibt einen eigenen Server für aktive Angehörige der Army, in dem sich die 17 000 Mitglieder über Ego-Shooter-Spiele unterhalten können, aber auch Karrieretipps erhalten. Das US-Militär sponsert E-Sport-Events und schaltet auf dem populären Streaming-Videoportal Twitch Anzeigen, um Gamer für sich zu begeistern. Dem engagierten Journalisten Jordan Uhl zufolge könne derartige Werbung zu weiteren Problemen führen. Sie ziehe junge Menschen an, die einen völlig »verzerrten Eindruck« vom Militärleben hätten, sagte er, »sie wachsen schließlich damit auf, Militärgames zu spielen und militärische Propaganda bei Youtube zu konsumieren«.

Soweit sie bekannt sind, passen die Ansichten des Verdächtigen in der Pentagon-Leak-Affäre nahtlos in die Alt-Right-Ideologie.

Die große Schwierigkeit des Pentagon bestehe darin, da sind sich Experten einig, junge Armeeangehörige zu kon­trollieren, die Zugang zu geheimen ­Informationen haben oder erhalten sollen, gleichzeitig aber wie andere Gleichaltrige ganz selbstverständlich auch ein Leben online haben. Zwei Drittel des Army- und Navy-Personals sind jünger als 30 Jahre. Auch im Fall des verhafteten Verdächtigen seien die herkömmlichen Sicherheitsvorkehrungen unzureichend gewesen, heißt es in einem Artikel der Washington Post vom Wochenende. Teixeira sei bei seiner Einstellung gerade 19 Jahre alt gewesen und habe keine nennenswerte Berufserfahrung gehabt. Wen außer Lehrern und Nachbarn kann man da schon nach dem Leben eines derart jungen Menschen fragen? Und wie will man ein Online-Leben beurteilen?

Idealerweise rekrutiert man keine Leute, die bereits auf den einschlägigen Plattformen aktiv sind und dort ihren Vorlieben für Waffen, Games und antisemitische Memes frönen. Denn daran, dass beispielsweise Admins Zugang zu geheimen Informationen haben, kann auch das Militär nichts ändern, das ist auch in der Wirtschaft ein gern übersehenes Problem. Über den bloßen Wunsch zu beeindrucken ging das, was Teixeira in seiner Gruppe trieb, weit hinaus. Ein von der Washington Post mit Zustimmung seiner Mutter interviewtes minderjähriges Mitglied versuchte zwar, den Alltag auf Teixeiras Discord-Server »Thug Shaker Central« möglichst als geschmacklos-pubertäre Scherze plus Begeisterung für Waffen und Technik zu verharmlosen, aber der Junge berichtete auch, dass Teixeira es sehr übelgenommen habe, wenn seine Leaks nicht zur Kenntnis genommen wurden.

»Katholizismus, Waffen und libertäre Politik«
Sein Ziel war es, seine Discord-Freunde darüber aufzuklären, was in der Welt vor sich gehe. Teixeira habe gern über »Katholizismus, Waffen und libertäre Politik« gesprochen, schreibt Drew Harwell dazu in der Washington Post, aber eben auch über Waco und Ruby Ridge. Beide Orte gerieten international in die Schlagzeilen. Im texanischen Waco belagerte das FBI 1993 wochenlang knapp 100 Angehörige der Branch-Davidians-Sekte, bei der Erstürmung ihrer Festung starb der Großteil der Gruppe. Ruby Ridge wird das Anwesen der Familie Weaver genannt, das 1992 ebenfalls vom FBI gestürmt wurde, weil der rechtsextreme Familienvater Randy Weaver sich nicht festnehmen lassen wollte.

Im Kern waren beide Ereignisse Kampfansagen an den Staat, im einen Fall durch eine rechtsextreme Sekte, im anderen durch eine rechtsextreme Familie. In beiden Fällen waren die »three-letter agencies«, wie sie in diesen Kreisen gern verächtlich genannt werden, also unter anderem FBI und ATF (Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives), nicht in der Lage oder vielleicht auch nicht willens, den zugrundeliegenden Konflikt ohne Gewalt zu lösen. Waco und Ruby Ridge gelten rechtsextremen Milizen bis heute als Beleg für die tödliche Unterdrückung US-amerikanischer Libertärer durch den Staat. In diesen Kreisen ist neben Hass auf alles, was für links gehalten wird, auch große Liebe für angeblich starke Männer verbreitet, die allein das Abendland zu retten in der Lage seien. Russlands Präsident Wladimir Putin gilt als Idol, das Engagement der Nato für die Ukraine wird dagegen ­vehement abgelehnt.

Soweit sie bekannt sind, passen die Ansichten Teixeiras genau in die Alt-Right-Ideologie. Maßgeblich zur Verbreitung der geleakten Dokumente trug der Account einer vorgeblich russischen Pro-Putin-Bloggerin bei, von dem nach Recherchen der »North Atlantic Fella Organization«, die gegen russische Desinformation vorgeht, nun feststeht, dass er von einer ehemaligen Unteroffizierin der U.S. Navy betrieben wird. Zu den »Nafos«, wie sie sich selber nennen, gehört Pekka Kallioniemi, Informatik-Postdoktorand an der Universität von Tampere. Am Wochenende twitterte er zahlreiche Beweise für die wahre Identität der angeblichen Donbass-Russin.

Propaganda für Russland
Demnach hatte »Donbass Devushka«, Donbass-Mädchen, am 5. April auf Telegram vier der geleakten Dokumente gepostet und damit die Aufmerksamkeit großer russischer Social-Media-Accounts auf das Datenleck gelenkt. Zuvor waren die Dateien jedoch manipuliert worden, die Zahlen der ukrainischen Verluste wurden stark erhöht, während die russischen heruntergerechnet worden waren. In einem Interview mit dem Wall Street Journal gab die US-Amerikanerin Sarah Bils am Wochenende zu, eine der Betreiberinnen von »Donbass Devushka« zu sein. Unter diesem Namen werden unter anderem ein Podcast, ein Blog und diverse Social-Media-Accounts angeboten, die allesamt Propaganda für Russland sowie die russische Söldnergruppe Wagner verbreiten.

»Donbass Devushka« gehört zu den englischsprachigen kremlnahen ­Accounts mit den meisten Followern – der seit 2012 aktive, mittlerweile auf ­privat gestellte Twitter-Account hat ebenso wie der dazugehörige Telegram-Account mehr als 65.000 Follower. Sarah Bils beharrte jedoch darauf, dass sie nicht allein Betreiberin, sondern lediglich Teil eines 15 Personen umfassenden weltweiten Netzwerks sei. Nicht sie, sondern jemand aus diesem Kreis habe die geleakten Dokumente gepostet. Sie habe vielmehr die Postings nach einigen Tagen gelöscht.

Die Namen der angeblichen anderen Beteiligten wollte Bils nicht nennen. Sie gab jedoch zu, an Fundraising- und Merchandising-Aktionen beteiligt gewesen zu sein, deren Erlös unter anderem für die Wagner-Söldner im Donbass bestimmt waren. Das könnte Bils in Schwierigkeiten bringen, denn aufgrund der US-Sanktionen sind Spenden an das russische Militär, auch an die Wagner-Söldner, illegal. Entsprechend behauptet sie nun, mit den Geldern lediglich die technische Infrastruktur für die Devushka-Accounts finanziert sowie serbische, palästinensische, pakistanische, syrische und somalische Wohltätigkeitsorganisationen mit Spenden unterstützt zu haben. Der Vermerk »alle Spenden gehen an unsere Männer im Donbass« ist seit diesem Wochenende von der Devushka-Shop-Website verschwunden.

Die militärische Karriere von Sarah Bils ging November 2022 regulär zu Ende, es gibt bisher keine Hinweise dar­auf, dass sie selbst geheime Dokumente kopiert und geleakt haben könnte. Bis Ende vorigen Jahres hatte sie auf dem Militärflugplatz von Whidbey Island nahe Seattle gearbeitet und in dieser Zeit nach Informationen des Wall Street Journal trotz ihres prorussischen Engagements auch security clearance.

Gleichwohl zeigt sich in ihrer ­Militärlaufbahn eine Ungereimtheit, denn Bils wurde zwar 2020 zur leitenden Flugelektronikerin (im Rang eines Sergeants, E-7) befördert, bei ihrer ­ehrenvollen Entlassung zwei Jahre später hatte sie jedoch Navy-Unterlagen zufolge den deutlichen niedrigeren Rang E-5 inne. Warum sie herabgestuft wurde, ist derzeit nicht bekannt, Bils prorussische Umtriebe waren jedoch zumindest einigen ihrer Kollegen in der Armee bekannt. Eine Soldatin, die von 2018 bis 2020 zusammen mit Bils auf Whidbey Island gedient und mit ihr in einem Raum gearbeitet hatte, sagte in einem Interview, dass sie Verdacht geschöpft habe, als der Devushka-Twitter-Account ihr plötzlich folgte.