Christian Petzolds neuer Film dreht sich um einen Waldbrand

Offenes Feuer

Christian Petzold treibt mit »Roter Himmel« sein Spiel mit den Elementen fort: Nachdem es in »Undine« um das Wasser ging, sieht sich nun ein Haufen Bohemekinder auf Landurlaub von einem Waldbrand bedroht.

Ein roter Himmel in einem Kinofilm kündet meist Umbrüche, ja gar Umwälzungen an, ob nun pri­vater oder politischer Natur. Man denke an die gleißend roten Technicolor-Panoramaaufnahmen in King Vidors Western »Duell in der Sonne« von 1946, in dem Ureinwohner und Weiße, eine Eisenbahngesellschaft und Rancher um ihre Rechte und Land kämpfen.

Oder an Michel­angelo Antonionis »Die rote Wüste« von 1964, der die industriell versehrten Brachlandschaften Norditaliens mit der synthetischen Farbgebung der Fabrikkomplexe kontrastierte – und darin die Idee eines Wirtschaftens bewahrt, das keinen Raubbau mehr an der Natur betreiben müsste. Uschi Obermeier und Marquard Bohm, die 1970 in Rudolf Thomes geschlechterpolitisch aufgeladener Liebesfarce »Rote Sonne« die Hauptrollen spielten, bringen sich bei einem Duell am Ufer des Starnberger Sees schließlich gegenseitig um. Gut vorstellbar, dass Christian Petzold seinen neuen Film gern in dieser Reihe sähe: rotes Licht, mit dem ver­änderte Verhältnisse einhergehen.

Zu Beginn von »Roter Himmel« scheint das gar nicht so abwegig. Es ist ein heißer Sommer, irgendwo an der Ostsee. Vier junge Erwachsene treffen in einer Datscha zusammen. Da sind die Freunde Leon, gespielt von einem herrlich schlechtgelaunten Thomas Schubert, und Felix, dem Langston Uibel eine Arglosigkeit mit auf den Weg gibt, die kein gutes Ende verheißt.

Der eine arbeitet am Nachfolger seines Debütromans, der andere hat fotografische Ambitionen und hofft, im Urlaub seine Bewerbungsmappe für die Berliner Universität der Künste komplettieren zu können. Die beiden entpuppen sich schnell als gegensätzliche Charaktere. Der korpulente Leon pflegt seinen Literatenhabitus im dunklen Leinenanzug, während sich der schwarze Felix ganz gut als mecklenburgischer Naturbursche gefällt.

Floh man früher vor der provinziellen Enge ins dunkle Westberlin, um in kohlebeheizten Wohnungen an seinen Kunstwerken zu arbeiten, achtet man als Berliner der Gegenwart penibel darauf, regelmäßig saubere Landluft zu schnuppern.

Bei der Ankunft gibt es eine Überraschung: Im Sommerhäuschen hat sich bereits jemand eingerichtet, nämlich die enigmatische Nadja. Paula Beer verkörpert sie als eine Art Femme Fatale aus dem Bioladen, die regelmäßig Besuch von Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs) erhält, einem so schönen wie unkomplizierten Eingeborenen. Potential genug, um zu streiten, zu beobachten, zu begehren, verschiedenste Konstellationen an Romanzen auszuprobieren, die Abläufe des all­täglichen Lebens ein wenig aufzubrechen.

Petzold scheint dieses Milieu der Bohemekinder auf Sommerfrische sehr genau zu verstehen. Floh man früher vor der provinziellen Enge ins dunkle Westberlin, um in kohlebeheizten Wohnungen an seinen Manuskripten und Kunstwerken zu arbeiten, achtet man als Berliner der Gegenwart penibel darauf, regelmäßig saubere Landluft zu schnuppern. Und weil die Mittel nicht mehr reichen für die Villa in der Toskana, dürfen es eben auch die weiten Kornfelder und Waldlandschaften in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern sein – obgleich man die Menschen, die dort leben, für ziemlich unkultiviert und rückwärtsgewandt hält.

Petzold zeigt sich angenehm locker und komisch, wie er den selbstbe­zogenen Leon über das sommerliche Idyll schimpfen lässt und all die ­Natur, die damit zusammenhängt. Moskitos! Sonne! Und überall diese gutgelaunten Leute! Petzolds Stammkameramann Hans Fromm findet dafür so einfache wie effektive Einstellungen, denen eine Ahnung von Spielerischem eignet, die sich aber immer wieder selbst mäßigt.

Leon (Thomas Schubert)

Bloß nicht den Kopf in den Sand stecken. Leon (Thomas Schubert) kommt mit dem Schreiben seines Buches einfach nicht voran

 

Bild:
SchrammFilm / Christian Schulz

Von Umwälzungen wie bei Vidor, Antonioni und Thome ist hier dementsprechend keine Spur. Dafür gibt es eine apokalyptische Feuerwalze, die sich unaufhaltsam dem Domizil der vier entgegenfrisst und unterwegs die Wildschweine des heimischen Walds röstet. Das passt sehr gut in eine Gegenwart, die sich von allen Utopien und Großen Erzählungen verabschiedet hat – mit Ausnahme der des klimabedingten Weltuntergangs.

So beginnt der Film damit, wie Leon und Felix eine Autopanne ­haben und den Wagen stehenlassen müssen. Der Verbrennungsmotor, früher einmal unverzichtbar für jedes sommerliche Abenteuer, bei dem sich junge Leute die Welt eigenständig erschließen, ist unschick geworden. Denn die Welt steht ja bereits in Flammen. »Mahlow brennt schon«, warnt Devid, als man zu viert vom Dach aus den rötlichen Schein am Horizont beobachtet. Das Ironische an all den Mahnungen und Warnungen vor der Klimaapokalypse ist freilich, dass in ihnen auch die geheime Sehnsucht angelegt ist, der Weltuntergang möge tatsächlich kommen. Denn wenn er nicht käme, wäre ja alles Mahnen und Warnen umsonst gewesen.

Schon Karl Marx amüsierte sich 1844 in seiner »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« über die Obsession der Deutschen mit ihren Wäldern.

In »Roter Himmel« erfüllt der näherrückende Waldbrand – besser noch als die Bemühungen der Klima­aktivisten – eine regelrecht päda­gogische Funktion. Leon, der mittlerweile Nadja verfallen ist, ringt in doppelter Hinsicht mit Ausdrucksproblemen. Als versierter Autor – oder einer, der es gerne wäre – kann er seine Gefühle der Bette Davis vom Demeter-Hof nicht mitteilen. Zugleich nimmt das neue Manuskript mit dem wunderbaren Arbeitstitel »Club Sandwich« nicht richtig Gestalt an und der angekündigte Besuch des von Matthias Brandt gespielten Verlegers hängt über dem jungen Schriftsteller wie ein Da­moklesschwert. Zu allem Überfluss stellt sich heraus, dass Nadia eigentlich Literaturwissenschaftlerin ist und Leons Buchprojekt für ausgemachten Unsinn hält.

So nimmt der sich anbahnende Klimahorror eine Abzweigung und wird zum Entwicklungsroman. Die lodernde Todesgefahr, die da ihren Kreis immer enger um das Sommerhaus zieht, erteilt dem bornierten Leon bitter nötige Lektionen in Achtsamkeit, Demut und Zurücknahme und Inspiration. »In my Mind«, der ätherische Eröffnungs- und Abspannsong der österreichischen Popband Wallners, dürfte mit Bedacht gewählt worden sein.

Mit Vidor, Antonioni oder Thome in eine Reihe zu treten, das gelingt Christian Petzold mit »Roter Himmel« sicherlich nicht. Aber man darf den Film gerne als eine durchaus treffende und auf eine sublime Weise womöglich kritische Bestandsaufnahme verstehen, die an die Wasser­thematik seines vorigen Spielfilms »Undine« von 2020 anschließt: als Inventur einer ökologischen Innerlichkeit und ­eines deutschen Kunstsinns, dem Großes nur aus großen Katastrophen entstehen kann – die Genese der Kunst als Götterdämmerung.

Schon Karl Marx amüsierte sich 1844 in seiner »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« über die Obsession der Deutschen mit ihren Wäldern: »Wodurch unterscheidet sich aber unsere Freiheitsgeschichte von der Freiheitsgeschichte des Ebers, wenn sie nur in den Wäldern zu finden ist? Zudem ist es bekannt: Wie man hineinschreit in den Wald, schallt es heraus aus dem Wald. Also Friede den teutonischen Urwäldern!« In diesem Sinne darf man Christian Petzold anerkennend auf die Schulter klopfen: Das Herz brennt, der Wald auch.

Roter Himmel (D 2023). Buch und Regie: Christian Petzold. Darsteller: Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs